Frage an Katja Dörner bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Katja Dörner
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Alexander S. •

Frage an Katja Dörner von Alexander S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Dörner,

ich habe erfahren, dass für den morgigen Freitag folgender Tagesordnungspunkt steht:

Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 93)
- Drs 17/...

Dies ist unter anderem hier zu finden:

http://www.bundestag.de/dokumente/tagesordnungen/173.html

Aufmerksam wurde ich darüber in einem Bericht auf einem Blog:

http://www.radio-utopie.de/2012/03/29/antrag-auf-verfassungsanderung-im-bundestag/

Interessanterweise wurde der TOP innerhalb der letzten Stunde von der Tagesordnung genommen.

Inzwischen kommen weitere Informationen zu dem Thema:

http://www.deutsche-mittelstands-nachrichten.de/2012/03/40921/

Dort wird unter dem Titel "Heimliche Grundgesetz-Änderung: Bürger soll nicht mehr in Karlsruhe klagen können" suggeriert, dass die Einreichung von Klagen eingeschränkt werden sollen.

Können Sie folgende Fragen beantworten:

1) Wer hat diese Drucksache erstellt, wer sind die Antragsteller und ist diese Drucksache einsehbar?

2) Welche Änderungen sollen eingebracht und diskutiert werden?

Ich denke, eine transparente Vorgehensweise in diesem Punkt ist sehr hilfreich, eventuell aufkommende Verschwörungstheorien direkt im Keim zu ersticken.

Ich freue mich auf Ihre Antwort.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Schneider,

vielen Dank für Ihre Anfrage auf abgeordnetenwatch.de.

Sie möchten wissen, was es mit der Grundgesetzänderung auf sich hat, die am 30.03.2012 im Deutschen Bundestag in erster Lesung beraten werden sollten, aber wieder von der Tagesordnung gestrichen wurde.

Es gilt zunächst, zwei unterschiedliche Reglungen auseinanderzuhalten.

Zum einen treffen sich seit Monaten Abgeordnete von CDU/CSU, SPD, FDP und von den GRÜNEN, um darüber zu beraten, wie Bürgerinnen und Bürgern im Zusammenhang mit der Bundestagswahl MEHR Rechte verschafft werden können.

Es geht konkret um Parteien, die nicht zur Wahl zugelassen werden, um Landeslisten und DirektkandidatInnen, die zurück gewiesen werden und um WählerInnen, die sich nicht auf den Wahllisten finden und deshalb nicht wählen können. Zwischen den Fraktionen kam es zu einer Einigung, die den BürgerInnen mehr Rechte zugesteht. Daraus wurden zwei Gesetzentwürfe, die am Mittwoch, den 28.3. im Rechtsausschuss und am Freitag, den 30.3. im Plenum in erster Lesung hätten beraten werden sollen.

Eines der beiden Gesetze beinhaltet eine Grundgesetzänderung. Art. 93 GG soll ERWEITERT werden. Parteien, die nicht zur Wahl zugelassen werden, sollen noch vor der Wahl vor dem Bundesverfassungsgericht klagen können. Dazu muss das GG geändert werden.

Mit dem zweiten Gesetz sollen die Rechte von ListenkandidatInnen, DirektkandidatInnen und WählerInnen verbessert werden.

Am Mittwoch, den 28.3. hat die CDU/CSU vor dem Rechtsausschuss plötzlich noch weiteren Diskussionsbedarf angemeldet, worauf die beiden Gesetzentwürfe von der Tagesordnung genommen worden sind.

Es wurde am 27.4.2012 in erster Lesung über die Entwürfe beraten. Sie befinden sich nun federführend im Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung.

Beide Gesetzentwürfe zum Wahlrechtsschutz finden Sie unter folgendem Link

- Drs. 17/9392 ( http://gruenlink.de/8hp ) und die damit verbundene

- Drs. 17/9391 ( http://gruenlink.de/8hq ).

Von einem heimlichen Vorgehen kann keine Rede sein. Außerdem ist es falsch, dass die Rechte der BürgerInnen beschränkt werden sollen. Das Gegenteil ist der Fall!

Zum anderen gibt es seit langer Zeit eine von diesem Vorstoß der Fraktionen zu MEHR Rechtsschutz im Wahlrecht völlig unabhängig Debatte über die Belastung des Bundesverfassungsgerichts mit Verfassungsbeschwerden. In wenigen Jahren hat sich die Zahl der Beschwerden von ca. 3000 pro Jahr auf über 6000 erhöht. Nur 2% der Beschwerden sind erfolgreich. Sehr viele sind unzulässig. Und es gibt Bürger – ich glaube fast nur Männer – die sich gehäuft beschweren. Die Spitze hält ein Bürger mit 782 Beschwerden. Es gibt etliche, die zwischen 50 – 100 Beschwerden einreichen. Dabei geht es z.B. um Briefmarken im Wert von unter 1 € oder um einen Rechtsanwalt, der gegen ein Fahrverbot vorgeht und dem Gericht eine Begründung von 1100 Seiten zum Lesen schickt.

Das BVerfG arbeitet alle diese Beschwerden akribisch ab, auch die völlig sinnlosen und mutwilligen. Es gibt zwar die Möglichkeit einer Missbrauchsgebühr, jedoch wird sie erst am Ende des Falles verhängt und kann oft nicht eingezogen werden. Sie bereitet also selbst wieder nur fruchtlose Arbeit.

Deshalb wirbt das BVerfG seit Monaten für die gesetzliche Einrichtung einer Mutwillensgebühr, die Beschwerdeführer bei offensichtlich sinnlosen Beschwerden erst bezahlen müssen, eher das Gericht den Fall weiter bearbeitet.

Der Präsident des BVerfG hat diese Idee inzwischen in allen Fraktionen vorgestellt, am 26.3. auch bei uns GRÜNEN. Es gibt aber in allen Fraktionen erhebliche Vorbehalte gegen eine solche neue Mutwillensgebühr, so dass ich im Moment nicht sehe, dass sich jemand im Bundestag dafür stark machen wird. Es gibt aber natürlich Diskussionen darüber, wie dem Bundesverfassungsgericht geholfen werden kann, damit es nicht so absäuft, wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrecht in Straßburg, bei dem über 140 000 Fälle unbearbeitet liegen.

Die Medien haben diese beiden Diskussionen durcheinander gebracht.

Ich hoffe, alle Unklarheiten ausgeräumt zu haben.

Freundliche Grüße, Ihre Katja Dörner