Frage an Katja Dörner bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Katja Dörner
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Hendrik G. •

Frage an Katja Dörner von Hendrik G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

sehr geehrte Frau Dörner,

die Deutsche Industrie und Handelskammer betreibt aktive Lobbyarbeit um vermeintliche Interessen der Wirtschaft durchzusetzen. Als Unternehmer bin ich verpflichtet Beiträge an die IHK zu entrichten. Auch wenn mein Unternehmen von bestimmten Zielsetzungen der IHK unter Umständen profitiert, bezweifle ich häufig deren Sinn für die gesamte gesellschaftliche Entwicklung. Als zahlungspflichtiges Zwangsmitglied der IHK bin ich somit nach derzeitiger Gesetzeslage verpflichtet politische Lobbyarbeit zu unterstützen, deren Zielsetzung meiner persönlichen politischen Auffassung widerspricht.

Wie lässt sich die derzeitige Gesetzeslage zur Zwangsmitgliedschaft in einer politischen Organisation Ihrer Meinung nach mit Grundsätzen einer freien, demokratischen Gesellschaft vereinbaren? Und falls Sie hier ebenfalls Probleme erkennen, welche Maßnahmen sind in Ihrer Partei geplant um diesen Umstand zu verbessern?

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Göbel,

vielen Dank für Ihre Mail und Ihre Fragen bezüglich der IHK-Pflichtmitgliedschaft.

Sie greifen ein Thema auf, welches seit Jahren in Deutschland kontrovers diskutiert wird. Welche Bedeutung und Aufgaben haben die Kammern und dürfen diese sich durch Pflichtbeiträge finanzieren?

Um das Für und Wider des deutschen Kammerwesens möglichst breit zu erörtern, haben wir 2010 die wichtigsten Akteure zu einem Fachgespräch in den Deutschen Bundestag eingeladen. Neben den Vertretern der Kammerorganisationen und den Gewerkschaften waren auch Vertreter des Bundesverbandes für freie Kammern (bbfk) sowie Verfassungsrechtler anwesend. Als Ergebnis haben wir ein Positionspapier erarbeitet und darin unsere wesentlichen Kritikpunkte und Forderungen in Sachen Kammerwesen formuliert. Das Papier finden Sie auf unserer Internetseite unter http://www.gruene-bundestag.de/cms/beschluesse/dokbin/377/377247.kammern_der_zukunft.pdf

Die Kammern in Deutschland sind als Selbstverwaltungseinrichtungen der Wirtschaft organisiert und haben einen besonderen Stellenwert. Die rechtliche Grundlage wurde in der Vergangenheit mehrfach überprüft und zuletzt durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt. In ihrer Begründung schreiben die Verfassungsrichter: "...die Pflichtmitgliedschaft hat eine freiheitssichernde und legitimatorische Funktion, weil sie auch dort, wo das Allgemeininteresse einen gesetzlichen Zwang verlangt, die unmittelbare Staatsverwaltung vermeidet und stattdessen auf die Mitwirkung der Betroffenen setzt." Bereits 2006 stellte das Verwaltungsgericht Düsseldorf fest, dass kein Verstoß gegen das europarechtliche Diskriminierungsverbot sowie die Niederlassungsfreiheit vorliegt, da die Pflichtmitgliedschaft gleichermaßen für inländische und ausländische Gewerbetreibende gelte und zudem die Beitragsbelastung grundsätzlich geringfügig sei.

Unbestritten ist, dass die Kammern wichtige Aufgaben zur wirtschaftspolitischen Interessenwahrnehmung der Unternehmen im jeweiligen IHK- Bezirk übernehmen. Auch vielfältige Servicefunktionen werden für die regionalen Unternehmen angeboten. Vor allem im Bereich der Berufsausbildung und beruflichen Weiterbildung haben die Kammern öffentlich-rechtliche Aufgaben übernommen. Das Berufsbildungsgesetz bildet die rechtliche Grundlage für die duale Berufsausbildung. Wer soll bzw. kann diese Aufgaben übernehmen und zu welchem Preis bzw. welcher Qualität? Übernimmt der Staat die hoheitlichen Aufgaben und lässt sie vom öffentlichen Dienst bearbeiten? Finanziert aus Steuergeldern? Wenn das so ist, stellen sich folgende Fragen: Zum einen: Ist der Praxisbezug nicht besser gewährleistet, wenn wir dies bei der Wirtschaft lassen? Und zum zweiten: kann der Staat das wirklich besser? Als ein Ergebnis aus unserem Fachgespräch mussten wir feststellen, dass es derzeit keine Alternative zum bestehenden Finanzierungsmodell gibt. Zudem finden wir es fair, dass durch die Ausbildungsumlage, die Bestandteil der Pflichtbeiträge ist, die Finanzierung der dualen Ausbildung solidarisch von allen Wirtschaftsträgern geleistet wird.

Wir erwarten allerdings eine grundlegende Reformierung der Kammern und haben dies auch in unserem Positionspapier ausführlich formuliert. Dazu gehört mehr Transparenz, echte Interessenswahrnehmung, eine Aufwertung der Vollversammlung und eine Modernisierung und Entbürokratisierung der inneren Organisationsstruktur. Nur so lässt sich aus unserer Sicht das System der Pflichtmitgliedschaft auch weiterhin legitimieren.

Wir Grünen haben einen Reformpfad vorgelegt und erwarten von den Kammerverantwortlichen Bereitschaft zur Veränderung. In einigen Bezirken findet derzeit ein Generationenwechsel statt und damit auch die Erkenntnis, dass ein Modernisierungsprozess unumgänglich ist. Schaffen die Kammern es nicht, sich von innen heraus zu öffnen und ihre alten Zöpfe abzuschneiden, haben sie aus unserer Sicht keine Legitimation mehr.

Mit freundlichen Grüßen
Ihre
Katja Dörner

-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: abgeordnetenwatch.de [mailto:antwort@abgeordnetenwatch.de]
Gesendet: Sonntag, 23. Juni 2013 21:51
An: Katja Dörner MdB
Betreff: Eine Frage an Sie vom 23.06.2013 13:13

Sehr geehrte Frau Dörner,

Hendrik Göbel aus Köln hat als Besucher/in der Seite
www.abgeordnetenwatch.de (Bundestag) bzgl. des Themas "Demokratie und
Bürgerrechte" eine Frage an Sie.

Um diese Frage zu beantworten, schicken Sie diese Mail mit Ihrem
eingefügten Antworttext an uns zurück (als wenn Sie eine normale Mail
beantworten würden).
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sehr geehrte Frau Dörner,

die Deutsche Industrie und Handelskammer betreibt aktive Lobbyarbeit um
vermeintliche Interessen der Wirtschaft durchzusetzen. Als Unternehmer bin
ich verpflichtet Beiträge an die IHK zu entrichten. Auch wenn mein
Unternehmen von bestimmten Zielsetzungen der IHK unter Umständen
profitiert, bezweifle ich häufig deren Sinn für die gesamte
gesellschaftliche Entwicklung. Als zahlungspflichtiges Zwangsmitglied der
IHK bin ich somit nach derzeitiger Gesetzeslage verpflichtet politische
Lobbyarbeit zu unterstützen, deren Zielsetzung meiner persönlichen
politischen Auffassung widerspricht.

Wie lässt sich die derzeitige Gesetzeslage zur Zwangsmitgliedschaft in
einer politischen Organisation Ihrer Meinung nach mit Grundsätzen einer
freien, demokratischen Gesellschaft vereinbaren? Und falls Sie hier
ebenfalls Probleme erkennen, welche Maßnahmen sind in Ihrer Partei geplant
um diesen Umstand zu verbessern?

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Um die Frage direkt einzusehen, können Sie auch diesem Link folgen:
http://www.abgeordnetenwatch.de/frage-575-37539--f382284.html#q382284

Mit freundlichen Grüßen,
www.abgeordnetenwatch.de
(i.A. von Hendrik Göbel)

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