Frage an Katja Dörner bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Katja Dörner
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Rahel S. •

Frage an Katja Dörner von Rahel S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Dörner,
ich gehe davon aus, dass Sie darüber informiert sind, dass dem Verein change.org die Gemeinnützigkeit aberkannt worden ist. Das erfülllt mich mit großer Sorge, da der Verein doch die Bürgerrechte und unsere Demokratie stärkt. Dass die Arbeit von change.org so manch einem nicht genehm ist, steht außer Frage, aber dass nun auf diese Weise agiert wird, hat nichts mehr mit dem Deutschland zu tun, in dem ich mich beheimatet und demokratisch gut aufgehoben fühlen kann. Ich selbst habe gemeinsam mit meinen Fachkolleginnen und - kollegen im Rahmen einer Petition einer Kollegin dafür sorgen können, dass Jens Spahn die Änderung eines Gesetzes im Gesundheitsbereich nicht gelungen ist. Jeder meiner Patientinnen und Patienten hatte auf die geplante Änderung entsetzt reagiert, weil es eine deutliche Verschlechterung mit sich gebracht hätte. In Hinblick auf die Behandlung von Erkrankungen hätte es einen Rückschritt bedeutet.

Ich habe nun weniger eine Frage als ein Anliegen: Ich beobachte immer mehr ein Abbröckeln des Vertrauens in die Politik sowohl in meiner beruflichen als auch privaten Umgebung. Bitte sorgen Sie im Rahmen Ihrer Möglichkeiten dafür, dass nicht einseitige politische Machtinteressen die Vielfalt einschränken und dadurch zunehmend unser Vertrauen in die Demokratie unterhöhlen. Können Sie dem Vorgehen bezüglich change.org mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit widmen, indem Sie dieses Thema aufrecht erhalten und immer wieder in die Diskussion einbringen?

Ich befürchte, dass dies wichtiger denn je ist.

Herzlichen Dank und freundliche Grüße
R. S.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau R. S.,

vielen Dank für Ihre Frage und Ihr damit verbundenes Engagement. Über beides habe ich mich gefreut.

Die von staatlichen Einflüssen unabhängige Selbstorganisation der Zivilgesellschaft ist eine der wesentlichen Säulen eines liberalen, pluralen und demokratischen Rechtsstaats. Dennoch sehen sich verschiedene Nichtregierungsorganisationen mit massiven Problemen konfrontiert und müssen auch weiterhin um ihre Unabhängigkeit und ihr Überleben kämpfen.

Auch innerhalb der EU haben sich rechtliche Beschränkungen, eine Politisierung der Vergabe öffentlicher Mittel, Einschüchterung durch Repressionen und entsprechende Kampagnen zugenommen. Vor diesem Hintergrund ist es für Deutschland und für die weitere Entwicklung der Wertegemeinschaft innerhalb der EU unerlässlich, jedem Versuch einer Einflussnahme durch Parteien, Bundes- oder Landesregierungen auf die Finanzierung oder die Betätigungsmöglichkeiten einzelner Organisationen eine deutliche Absage zu erteilen. Die Gewaltenteilung ist auch und gerade in diesem Zusammenhang strikt zu beachten und zu stärken, die Alleinzuständigkeit der Verwaltung für Einzelfallentscheidungen und der Gerichte für deren Überprüfung zu wahren.

Weder einzelne Parteien noch der Deutsche Bundestag sind dazu berufen, Einzelfallentscheidungen der Verwaltungen, Finanzämter oder Gerichte in Hinblick auf konkrete Organisationen zu fördern oder zu erzwingen. Die politische Billigung der Positionen oder Forderungen einer Organisation im Einzelfall durch Parteien oder Regierungen kann in einem Rechtsstaat niemals maßgeblich sein. Ebenso haben sich weder einzelne Parteien noch der Bundestag oder die Bundesregierung in die Tatsachenermittlung und -bewertung der Finanzämter einzumischen, etwa im Hinblick auf das Vorliegen oder die Zurechenbarkeit rechtswidrigen Verhaltens zu Organisationen.

Das Steuerrecht der Bundesrepublik Deutschland fördert zivilgesellschaftliche Organisationen durch den Status der Gemeinnützigkeit nach § 52 der Abgabenordnung (AO). Ziel von Gesetzgebung und Politik muss es sein, die erforderliche Rechtssicherheit und Gleichbehandlung verschiedener zivilgesellschaftlicher Akteure sicherzustellen. So stärken wir die Möglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger, sich für das Gemeinwohl zu engagieren und die Vielfalt der zivilgesellschaftlichen Organisationen, von der lokalen Initiative bis zum bundesweiten Verband. So senden wir auch ein klares Signal an unsere europäischen Partner, dass Demokratien unabhängige NRO nicht zu fürchten brauchen, sondern stärken müssen.

Die Regelungen über die förderfähigen Zwecke in § 52 AO sind zu modernisieren, so dass zivilgesellschaftliche Themen wie der Einsatz für Frieden oder Menschenrechte, der Umwelt-, Natur-, Tier- und Klimaschutz sowie der Einsatz für eine gleichberechtigte Teilhabe an der digitalen Gesellschaft durch „Freifunk“-Initiativen und für die Förderung von JournalistInnen und Medienvielfalt bundesweit einheitlich als gemeinnützig gewertet werden können. Im Gesetz ist entsprechend der Rechtsprechung der Finanzgerichte klarzustellen, dass politische Äußerungen von Vertreterinnen und Vertretern gemeinnütziger Organisationen im Rahmen des satzungsgemäßen gemeinnützigen Zwecks die Gemeinnützigkeit nicht hindern. Um die Transparenz gemeinnütziger Organisationen und ihre Vergleichbarkeit zu erhöhen, sollen einheitliche Publizitäts- und Transparenzpflichten geschaffen werden.

Zu alledem haben wir die Bundesregierung in einer parlamentarischen Initiative (http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/074/1907434.pdf), die wir im Januar 2019 in den Deutschen Bundestag eingebracht haben, aufgefordert.

Hinweisen möchte ich Sie an dieser Stelle außerdem noch auf einen Gastbeitrag meiner in der grünen Fraktion federführend zuständigen Abgeordneten Manuela Rottmann, der im vergangenen Sommer im Tagesspiegel veröffentlicht wurde. Den Beitrag finden Sie hier: https://www.tagesspiegel.de/politik/die-frage-nach-der-gemeinnuetzigkeit-vereine-und-wirtschaftsverbaende-nicht-unterschiedlich-behandeln/24862590.html

Mit besten Grüßen!
Katja Dörner