Frage an Katja Keul bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Katja Keul
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Klaus Dieter L. •

Frage an Katja Keul von Klaus Dieter L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Frau Keul!

Warum werden wichtige Werte unserer Verfassung nicht in Übereinstimmung mit unserer Wirtschaft gebracht?

Was ist da von den Grünen zu erwarten?

Heute werden alle Unternehmen zu gleichen Bedingungen zum Markt zugelassen – ganz gleichgültig, wie sehr sie die Werte der Verfassung (Verpflichtung zum Gemeinwohl) erfüllen oder verletzen, ganz unabhängig von ihrer ethischen Performance. Diese Gleichbehandlung führt dazu, dass sich in der Regel die Rücksichtsloseren und Verantwortungsloseren am Markt durchsetzen, weil sie billiger anbieten können. Wer sich unethisch verhält, wird belohnt, das ist die Wirkung des falschen Leitsterns in der Wirtschaft.

Es fehlt der entscheidende Schritt: die Kopplung des Gemeinwohl-Bilanz-Ergebnisses an eine differenzierte rechtliche Behandlung. Je mehr Gemeinwohl Punkte ein Unternehmen erzielt, desto mehr rechtliche und finanzielle Vorteile soll es genießen.

Welche "Geeignete Anreizinstrumente" stehen heute schon zur Verfügung,
um die Marktgesetze in Übereinstimmung mit den ethischen und in der Verfassung garantierten Grundwerten zu bringen?

Wie stehen Sie, Frau Keul, Ihre Partei, zu einer Umgestaltung unserer Wirtschaft; ein Deutschland innerhalb der EU sollte welchen Weg gehen?

Mit freundlichen Grüßen

K. D. L.

Zitate aus

•) Gemeinwohlökonomie, Christian Felber

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr L.,

vielen Dank für Ihre E-Mail vom 28. August 2017, in der Sie eine Umgestaltung der Wirtschaft in Deutschland und der EU fordern, die an eine Gemeinwohl-Bilanz gekoppelt ist. Danach sollen Unternehmen, je mehr Gemeinwohl Punkte es erzielt, mehr rechtliche und finanzielle Vorteile genießen.

Die technologischen Sprünge der vergangenen beiden Jahrhunderte haben den Wohlstand und die Lebensqualität vieler Menschen außerordentlich verbessert. Doch seit Langem ist klar, dass die industrielle Wirtschaftsweise nicht nur Wohlstand schafft, sondern auch systematisch unsere gemeinsamen Lebensgrundlagen zerstört. Materielles Wachstum steigert nicht in jedem Fall die Lebensqualität.
Die sozial-ökologische Transformation der Wirtschaft ist die existenzielle Aufgabe unserer Zeit. Denn heute verschwendet unsere Art zu wirtschaften noch wertvolle Ressourcen, heizt unser Klima auf und bedroht weltweit unser Trinkwasser, unsere Luft und unsere Böden. In unserem eigenen Menschheitsinteresse müssen wir das dringend ändern. Und es ist möglich. Wir können unser Leben verbessern, ohne immer weiter materiell wachsen zu müssen.

Wir GRÜNE treten seit unserer Gründung für die ökologische Modernisierung der Industriegesellschaft ein. Viele Menschen gehen diesen Weg mit uns. Bürger*inneninitiativen und Nicht-Regierungsorganisationen kämpfen für Natur- und Umweltschutz. Unternehmen schreiben mit grünen Ideen schwarze Zahlen, Unternehmensinitiativen setzen sich für Klimaschutz ein. Unser Land ist dabei seit den 1970er-Jahren ein gutes Stück vorangekommen. Abgase werden inzwischen gefiltert, Abwässer nicht mehr einfach in die Flüsse geleitet, es wird ökologischer gebaut und produziert. Innovative Unternehmer*innen und Tüftler*innen entwickeln Produkte und Dienstleistungen, die dabei helfen, unsere Lebensqualität zu verbessern und den Ressourcenverbrauch zu senken. Sie sind die Pionier*innen des grünen Wandels, eines neuen, nachhaltigen Wohlstands.

Jetzt geht es darum, die Begrünung der Wirtschaft und vor allem der Industrie quer durch alle Branchen voranzutreiben. Die grüne Energiewende hat gezeigt, dass es geht: Deutschland hat sich auf den Weg gemacht, seine hoch entwickelte Industriegesellschaft ohne Klimagase und Atommüll mit Strom zu versorgen. Nun braucht es mutige grüne Politik und engagierte Bürger*innen, Ingenieur*innen und Unternehmer*innen, um die ökologische Modernisierung zum Ziel zu bringen.

Grüne Wirtschaftspolitik macht ehrgeizige Vorgaben in Form von Grenzwerten, CO2-Reduktionszielen und Produktstandards, die in realistischen Zeiträumen erreicht werden können. Das mutet manchen energieintensiven Unternehmen zwar etwas zu, schafft aber Planungssicherheit und gibt Impulse für Investitionen. Wir sind die Partei an der Seite der Unternehmen, die bei dieser Transformation vorangehen und beispielsweise schon heute einen CO2-Preis bei ihren Investitionsentscheidungen zugrunde legen. Gleichzeitig fördern wir dabei neue Technologien und Wissen. So können wir es schaffen, die ökologische Modernisierung in den verschiedenen Sektoren umzusetzen. Klar ist auch, dass die öffentliche Hand bei der ökologischen Modernisierung nicht hinterherhinken darf, weswegen wir die öffentliche Beschaffung konsequent auf die jeweils ressourcenschonendsten Produkte und Dienstleistungen ausrichten wollen.
Wir werden dafür sorgen, dass Preise die ökologische Wahrheit sagen, denn die Verursacher*innen von Umweltzerstörung dürfen die Kosten nicht länger auf die Allgemeinheit abwälzen. So setzen wir auch die richtigen Anreize dafür, dass andere – umweltfreundlichere – Techniken entwickelt und schnell marktfähig werden. Ein Wettstreit um die beste ökologische Lösung kommt in Gang. Ökologisch ehrliche Preise belohnen Unternehmen, die mit Ressourcen pfleglich umgehen und Emissionen senken.

Die ökologische Modernisierung ist die Zukunftssicherung für alle Industriezweige in Deutschland. Alle Branchen müssen ihren Beitrag zu Klima- und Ressourcenschutz leisten. Und für alle Branchen gilt: Wenn wir den Anschluss verpassen, wie es zum Beispiel beim Elektroauto droht, gehen Arbeitsplätze und Wohlstand verloren. Konkret heißt das: weg vom Verbrennungsmotor und hin zum Elektroantrieb beziehungsweise emissionsfreien Antrieb. In der Schifffahrt weg vom Schweröl hin zu alternativen Antrieben. Weg vom Öl und Gas und hin zu nachwachsenden Rohstoffen in der Chemieindustrie. Die Bauwirtschaft kann mit Holzbau oder Textilbeton Ressourcen und Emissionen einsparen. Damit sichern wir den Industriestandort Deutschland. Denn auch in der Zukunft wird unser Wohlstand von guten und sicheren Arbeitsplätzen abhängen. Wir tun das im Dialog mit Unternehmen, Gewerkschaften und der Wissenschaft. Doch wenn nötig, auch im Konflikt mit den Lobbys der alten Industrien.

Wachstum muss weltweit vom Umweltverbrauch entkoppelt werden – und Wohlstand wie Lebensqualität vom Wachstum. Wir wollen eine Wirtschaft, die nicht blind immer weiter wachsen muss und in der langfristige Nachhaltigkeit mehr zählt als kurzfristige Renditeziele. Wir GRÜNE möchten dem gesellschaftlichen Zwang zum „Immer mehr und immer schneller“ entgegenarbeiten. Dazu werden technische Innovationen allein nicht reichen. Es braucht auch die Unterstützung durch nachhaltigen Konsum und eine andere Art des Wirtschaftens. Es geht zum Beispiel nicht nur darum, den Verbrennungsmotor einfach durch den Elektromotor abzulösen, sondern auch darum, auf innovative Formen der Mobilität wie Carsharing umzusteigen, ÖPNV sowie Fuß- und Radverkehr zu fördern und so den Bedarf an Autos zu reduzieren, wie das etliche Menschen auch schon tun. Andere engagieren sich beim gemeinschaftlichen Wohnen, in der solidarischen Landwirtschaft, bei Energiegenossenschaften oder Tauschringen im Sinne einer solidarischen Ökonomie, was wir befördern wollen. Gleiches gilt für das Bauwesen, das einen überwiegenden Teil der Ressourcen unserer Erde in Anspruch nimmt, die es gilt, verantwortungsvoll zu nutzen. Hierzu braucht es eine nachhaltige Baukultur, die alle Aspekte des Planens und Bauens berücksichtigt. Gute Baukultur ermöglicht Akzeptanz, Beteiligung und Teilhabe ebenso wie das Recycling von Baustoffen, sie ist Grundlage für die ökologische Modernisierung und für mehr Lebensqualität in unseren Städten und Dörfern.

Wir wollen zuallererst die Art, wie wir Wohlstand überhaupt messen, ändern. Wir schlagen dafür eine neue Form der Wirtschaftsberichterstattung vor. In den Zahlen des Bruttoinlandsproduktes (BIP), das bisher die zentrale Messgröße ist, bilden sich Lebensqualität und Wohlstand nicht wirklich gut ab. Auch die unbezahlte Sorgearbeit, die vor allem von Frauen geleistet wird und eine unverzichtbare Grundlage unseres Wohlstands bildet, wird derzeit nicht berücksichtigt. In unserem Jahreswohlstandsbericht werden neben ökonomischen auch ökologische und soziale Entwicklungen anhand messbarer Kriterien dargestellt. Auch bei öffentlichen Unternehmen sollte der Beitrag zum Gemeinwohl transparent werden. So wollen wir als ersten Schritt für die Deutsche Bahn die Gemeinwohlbilanzierung einführen. Und alle größeren privaten Unternehmen sollen in ihrem Jahresabschluss zukünftig über Nachhaltigkeitsindikatoren wie CO2-Emissionen berichten. Bestehende Ausnahmen für nicht börsennotierte Unternehmen sowie für viele Banken und Versicherer wollen wir abschaffen.

Des Weiteren verweise ich Sie noch auf unsere drei grünen Anträge, die wir in den Deutschen Bundestag eingebracht haben und die sich mit dem Thema der Unternehmensverantwortung (Sanktionenrecht, menschenrechtliche Sorgfaltspflichten und CSR-Richtlinie) befassen. Diese können Sie hier abrufen:

Unser Antrag zu wirksamen Sanktionen für Unternehmen:
http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/18/100/1810038.pdf

Unser Antrag zu menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten:
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/102/1810255.pdf

Unser Antrag Nachhaltigkeitsberichte wirksam und aussagekräftig ausgestalten ‒ Umsetzung der CSR-Richtlinie:
http://dip21.bundestag.btg/dip21/btd/18/100/1810030.pdf

Meine Rede zu dem Thema können Sie hier nachlesen:
http://katja-keul.de/userspace/NS/katja_keul/Dokumente_2017_1/170126_Rede_HPUnternehmensverantwortung.pdf

Ich hoffe, dass ich Ihnen meine Linie und die meiner Partei näher bringen konnte und dass auch Sie am 24. September 2017 wählen gehen und damit Sorge tragen, dass Ihre Wahl und Ihre Stimme ein Stück weit zu der politischen Zukunft Deutschlands beiträgt.

Mit freundlichen Grüßen,
Katja Keul

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