Warum werden mittellose Diabetiker*Innen in der Politik überhaupt nicht beachtet?

Kerstin Tack
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Frage von Hildegard J. •

Warum werden mittellose Diabetiker*Innen in der Politik überhaupt nicht beachtet?

Sehr geehrte Frau Tack! Diabetes Typ 1 und 2 bedeuten immer einen finanziellen Mehraufwand: Eine vielseitige und gesunde Ernährung mit viel Obst und Gemüse (das immer teurer wird) zusammen mit viel Bewegung (Sportvereine kosten Geld) ist für Menschen, die von Grundsicherung leben müssen, nicht mehr zu stemmen! Wer noch eine weitere Behinderung hat, aber kein Merkzeichen, muss oft auf den viel zu teuren ÖPNV zurückgreifen. Weil das nicht mehr möglich ist, erkranken Mehrfachbehinderte an den gefährlichen und doch dabei vermeidbaren Folgenschäden. Warum nimmt die Politik die enorme Lebensbelastung durch eine der zunehmend häufigen Krankheiten nicht genügend wahr? Und warum lässt sie Betroffene in prekären Lebenslagen im Stich? Die diabetische Therapie hat sich gebessert, aber sie kostet auch sehr viel Eigeninitiative, welche die Gesetzlichen Krankenkassen eben nicht bezahlen oder vollständig erstatten!
Mit freundlichem Gruß,
H. J.

Kerstin Tack
Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau J.,

vielen Dank für Ihre Anfrage, die ich gerne beantworte.

In Deutschland leiden etwa sieben Millionen Menschen an Diabetes. Darüber hinaus sind zwei Drittel der Männer, die Hälfte der Frauen und 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen leicht bis stark übergewichtig. Damit haben sie ein hohes Risiko, an Diabetes zu erkranken.

Deshalb haben wir in der Großen Koalition konkrete Vorgaben für eine Nationale Diabetesstrategie erarbeitet und am 3. Juli 2020 mit dem Antrag „Start einer Nationalen Diabetes-Strategie – Gesundheitsförderung und Prävention in Deutschland und Versorgung des Diabetes mellitus zielgerichtet weiterentwickeln“ (Drucksache: 19/20619) beschlossen.

Der Deutsche Bundestag fordert mit diesem Antrag die Bundesregierung unter anderem auf, Prävention und Versorgungsforschung zu Adipositas und Diabetes mellitus deutlich voranzutreiben. Auch soll gegenüber der Bundesärztekammer darauf hingewirkt werden, dass Adipositas und damit auch die Notwendigkeit einer gesunden Ernährung und ausreichenden Bewegung in der ärztlichen Fort- und Weiterbildung verstärkt berücksichtigt wird.

Des Weiteren wird mit dem Antrag angestrebt, dass eine individuelle, multimodale und interdisziplinäre Versorgung von Menschen mit Adipositas Grad 1 bis 3 in der vertragsärztlichen Versorgung zulasten der Krankenkassen ermöglicht und eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Krankenbehandlung sichergestellt wird.

Die hier nur auszugsweise dargestellten Ziele des Antrages müssen aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion perspektivisch in eine ressortübergreifende Strategie für Gesundheitsförderung und Prävention in Deutschland einmünden. Diese muss alle chronischen und lebensstilbedingten Volkskrankheiten in den Blick nehmen.

Für Erwerbsfähige gibt es auch heute schon die Möglichkeit eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung. Welche Krankheiten hierfür in Betracht kommen ist jedoch nicht im Gesetz geregelt. Die Jobcenter orientieren sich an den Vorgaben bzw. Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Vorsorge.

In der entsprechenden Empfehlung wird Diabetes mellitus jedoch unter folgender Passage aufgeführt: „Nach dem aktuellen Stand der Ernährungsmedizin ist bei folgenden Erkrankungen und Nahrungsmittelunverträglichkeiten diätetisch eine Vollkost bzw. individuell angepasste Vollkost angezeigt, die regelhaft nicht zu einem Mehrbedarf führt:“

Quelle:

https://www.deutscher-verein.de/de/uploads/empfehlungen-stellungnahmen/2020/dv-12-20_kostenaufwaendige-ernaehrung.pdf

Ich halte es auch weiterhin für richtig, die mehrbedarfsfähigen Krankheiten nicht im Gesetz festzulegen, weil auf diese Weise neue Erkenntnisse in der Ernährungsmedizin schneller berücksichtigt werden können.

Unabhängig von der Frage der Mehrbedarfe sehen wir als SPD aber Reformbedarf bei der Berechnung der Regelsätze. In unserem Zukunftsprogramm steht deshalb hierzu:

„Die Regelsätze im neuen Bürgergeld müssen zu einem Leben in Würde ausreichen und zur gesellschaftlichen Teilhabe befähigen. Das Bürgergeld muss absichern, dass eine kaputte Waschmaschine oder eine neue Winterjacke nicht zur untragbaren Last werden. Die Kriterien zur Regelsatzermittlung werden wir weiterentwickeln und Betroffen und Sozialverbände mit einbeziehen.“

Mit freundlichen Grüßen

Kerstin Tack