Frage an Konstantin von Notz bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Konstantin von Notz
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Frank D. •

Frage an Konstantin von Notz von Frank D. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr v. Notz,
ich wende mich an Sie zum Thema Rechtsstaat. Ich frage mich mittlerweile, bezogen auf die Bundesrepublik Deutschland, was genau – außer einer Phrase – das sein soll.
Konkret beziehe ich mich auf den § 93 b BVerfGG. Demnach kann das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde ohne Nennung einer Begründung nicht zur Entscheidung annahmen, also ablehnen. Wenn man die Statistiken des Bundesverfassungsgerichtes anschaut, so werden tatsächlich die meisten Verfassungsbeschwerden ohne Nennung einer Begründung erst gar nicht zur Entscheidung angenommen.
Eine solche Verfassungspraxis ist nach meiner Auffassung zutiefst bedenklich, weil die Gründe für die Nichtannahme zur Entscheidung im Verborgenen bleiben. Dieser Mangel an Transparenz betrifft zum einen den Beschwerdeführer, zum anderen aber auch die interessierte Öffentlichkeit.
Es wäre zumindest theoretisch nach geltender Gesetzgebung (s.o.) möglich, dass Bundesverfassungsrichter wegen Arbeitsüberlastung oder wegen Unlust Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung annehmen. Außerdem ist durch die jetzige Regelung eine uneinheitliche Rechtsanwendung von Verfassungsbeschwerden möglich bzw. nicht überprüfbar. Tatsächlich werden der Öffentlichkeit (und dem Beschwerdeführer) die Gründe für die Nichtannahme von Verfassungsbeschwerden nachgeltender Rechtslage vorenthalten. Es ist folglich auch nicht verwunderlich, wenn nach einer aktuellen Umfrage von focus online eine Mehrheit der Bürger dem deutschen Rechtssystem misstraut.
Die vorgelagerten Instanzen, die sog. Fachgerichte, haben im Falle von Grundrechtsverletzungen aktuell wenig zu befürchten, da die meisten diesbezüglichen Verfassungsbeschwerden, wie bereits ausgeführt, ohne Begründung abgeschmettert werden.Von einem funktionierenden Grundrechtsschutz der Bürger dieses Landes kann aufgrund der herrschenden Rechtslage wohl kaum die Rede sein. Was konkret tun die Grünen dafür, um die Entscheidungen des BVerfG transparent zu machen? MfG

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Sehr geehrter Herr D. B.,

haben Sie besten Dank für Ihre Frage und Ihr Interesse an meiner Arbeit. Über beides habe ich mich sehr gefreut. Kurz vorweg: Ihre eher allgemeinen Ausführungen zum Zustand unserer Demokratie und der Frage, ob wir in einem Rechtsstaat leben oder nicht, teile ich nicht.

In diesem Kontext ist es mir ein persönliches Anliegen auf einen Aspekt aufmerksam zu machen:

Die meisten Länder unserer Welt beneiden uns um den Zustand unserer Demokratie und unsere rechtsstaatlichen Standards. Das heißt, bitte verstehen Sie mich nicht falsch, jedoch nicht, dass unsere Demokratie nicht stetig im rechtsstaatlichen Sinne weiterentwickelt werden muss.

Ich bin aber der Meinung, dass ein Misstrauen gegenüber dem Bundesverfassungsgericht und seiner Richterinnen und Richter nicht angebracht scheint, wenn es in dessen Ermessen steht, ob es die Nichtannahme einer Verfassungsbeschwerde begründet.

Nachdem die Zahl der Verfassungsbeschwerden stark angestiegen war, wurde die früher bestehende Pflicht des Gerichts, auf den maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkt bei einer Nichtannahme hinzuweisen, vom Gesetzgeber durchaus bewusst aufgegeben.

Dies geschah mit dem ausdrücklich erklärten Ziel, dass das Gericht sich auf grundsätzliche und verfassungsrechtlich bedeutende Entscheidungen beschränken können soll. Zu der Änderung kam es auch vor dem Hintergrund, dass nur rund 3% der Verfassungsbeschwerden erfolgreich sind.

Angesichts der weiter zunehmenden Eingangszahlen beim Bundesverfassungsgericht gilt dieses Argument heute in meinen Augen erst recht.

Zwar scheint, hierauf weist bspw. der Rechtswissenschaftler Martin Eifert in der SZ vom 27.12.2018 hin, die Forderung nach einer Begründungspflicht auf den ersten als eine Stärkung von Bürgerrechten und Rechtsstaat. Schaut man jedoch genauer hin, kann dieses zunächst plausibel klingende Anliegen durchaus auch als gut getarnter Angriff auf den demokratischen Verfassungsstaat gesehen werden.

Eine Begründungspflicht bei Nichtannahmen wäre deshalb aus meiner Sicht keine Stärkung, sondern vielmehr eine Schwächung des Gerichts und unserer Rechtsstaatlichkeit.

Mit besten Grüßen nach Lohne!

Konstantin von Notz

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