Frage an Lisa Paus bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Lisa Paus
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Frage von Reinhard W. •

Frage an Lisa Paus von Reinhard W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Paus,

nun sickern ja mehr und mehr Informationen über die Bilderberg-Treffen zu uns Bürgern durch. Ich muss zugeben, dass es mich erstmal geschockt hat, zu erfahren, wie lange man diese Veranstaltungen geheimhalten konnte und was für (nicht immer unplausible) Spekulationen darüber im Internet zu finden waren, nicht zuletzt wegen dieser Geheimniskrämerei.

Erst danach erfahre ich, dass doch Frau Merkel und Herr Westerwelle und andere MdBs an diesen Treffen beteiligt waren, face-to-face mit den Herren Ackermann, Rockefeller, Döpfner, mit dem Geldadel und mit Nato-Generalsekretären und mit noch etwa 100 anderen aus denselben „Branchen“. Was für ein Vertrauensbruch v. a. angesichts einer nun intensiv betriebenen Sparpolitik der Regierung, in der die Wohlhabensten bislang so glimpflich davonkommen.

Es mag ja mitunter nützlich sein, einen „privaten“ Gedankenaustausch mit einflussreichen Persönlichkeiten aus der Wirtschafts-, Finanz- und Medienwelt zu haben, aber wenn ich diese Meetings vor dem Hintergrund der Duckmäuserei der regierenden Politiker gegenüber der Finanzwelt betrachte, reduziert sich mein Verständnis dafür drastisch.

1) Welchen Eindruck haben Sie von diesen Treffen?
2) Wie bekannt sind diese Meetings unter den Bundestagsabgeordneten überhaupt?
3) Werden sie im Plenum namentlich zur Sprache gebracht?
4) Wenn sich bei den Bilderberg-Treffen MdBs mit und ohne Regierungsverantwortung freiwillig dem Einfluss äußerst reicher und mächtiger Personen aussetzen, für wie plausibel halten Sie dann
a) eine beabsichtigte (Weiter)Verschuldung der Staatshaushalte und damit Machtübertragung der Politik an die Finanzwelt, eine Konsolidierung des Niedriglohnsektors und Sozialabbau in Deutschland?
b) eine mittels Regierungen verdeckte Inszenierung von Finanz- und Wirtschaftskrisen?
5) Gab es schon parlamentarische Anfragen einer Fraktion zur Aufklärung der Inhalte der Treffen und der Legitimität des Schweigens darüber?

Schöne Grüße

Reinhard Weng

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Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Weng,

vielen Dank für Ihre Fragen zu den Bilderberg-Treffen, zu denen ich gern Stellung nehmen möchte. Ich selbst habe nie an solchen Treffen teilgenommen und kann Ihnen daher nichts über deren Inhalte berichten. Es hat speziell zur Teilnahme von Regierungsmitgliedern an diesen Treffen unterschiedliche parlamentarische Anfragen gegeben. Die Antworten der Bundesregierung sind kurz und verweisen stets auf den privaten Charakter dieser Veranstaltungen. Mitglieder der Regierung oder des Bundestages nehmen also als Privatpersonen und nicht als Amts- oder Mandatsträger an den Bilderberg-Treffen teil. Mit einem geringen Rechercheaufwand können Sie, zum Beispiel auf der Seite von Abgeordnetenwatch, einige Politiker finden, die von sich selbst sagen, dass sie schon einmal dabei waren. Wenn Sie genaueres erfahren wollen, würde ich Ihnen empfehlen, sich direkt an diese Personen zu wenden.

Ich persönlich halte nicht viel von Verschwörungstheorien, die sich um mysteriöse Zirkel wie die Bilderberg-Treffen ranken. Ich halte es generell für falsch, uns Politikerinnen und Politikern zu unterstellen, dass wir dem Einfluss von Lobbyisten und wichtigen Wirtschaftsvertretern geradezu hilflos ausgeliefert sind. Politikerinnen und Politiker werden unter anderem deswegen gewählt, weil man ihnen zutraut, Verantwortung zu tragen. Politisch verantwortlich handeln heißt auch, sich die Argumente unterschiedlicher Interessengruppen anzuhören und sich dazu selbst eine Meinung zu bilden. Es ist also nicht verwerflich, wenn man auch in einen Dialog mit wichtigen Vertretern der Wirtschaft tritt. Aber man muss in der Lage sein, deren Argumente kritisch zu hinterfragen und darf sie nicht blind und einseitig übernehmen. Es ist allerdings eine traurige Tatsache, dass es immer wieder zu einer problematischen Vermischung von Politik und Wirtschaftsinteressen kommt, die sich zum Beispiel in undurchsichtigen Treffen manifestiert. Ich erinnere nur an die Geburtstagsparty von Herrn Ackermann im Kanzleramt. Das Hauptproblem ist dabei aus meiner Sicht die Intransparenz. Wenn solche Treffen und Kontakte geheim gehalten werden, entzieht sich die Politik der notwendigen öffentlichen Kontrolle. Es kann somit keine fundierte Kritik an überbordendem Lobbyismus oder bedenklicher Interessenverquickungen geleistet werden. Schlimmer noch: Spekulationen, die das Vertrauen in die Politik untergraben, wird Tür und Tor geöffnet.

Man sollte die Bedeutung solcher Treffen generell nicht überschätzen. Mächtigen Lobbygruppen stehen weit mehr Werkzeuge zur Verfügung, um ihre Interessen durchzusetzen. So werden PolitikerInnen mit lukrativen Beraterverträgen geködert oder Lobbyisten steigen als vermeintlich neutrale Experten direkt in den Politikbetrieb ein, wo sie weiterhin die Agenda ihrer Interessengruppen verfolgen. Auch darüber berichtet Lobbycontrol regelmäßig hier: http://www.lobbycontrol.de/blog/index.php/schwerpunkte/lobbyisten-in-ministerien/

Eins der wirkungsvollsten Instrumente zur Beeinflussung von Politik sind Parteispenden. Der bekannteste Fall in der letzten Zeit waren Großspenden der Hotelbranche an die FDP und die CSU. In der Folge wurden die Mehrwertsteuersätze für Hotels gesenkt, was man mit Fug und Recht als bitteres Beispiel bezeichnen kann, dass diese Bundesregierung käuflich ist. Auch die Finanzbranche hat mit gezielter Lobbyarbeit und großen Spenden erheblichen Einfluss auf die Gestaltung von Politik genommen. Allein im Vorfeld der Bundestagswahl 2009 flossen aus diesem Sektor Großspenden in Höhe von mehreren Hunderttausend Euro an die FDP und die CDU. Akteure der Finanzbranche finden sich mit Abstand am häufigsten unter in der Liste der Spenden über 50.000 Euro, die Sie hier finden können: http://www.bundestag.de/bundestag/parteienfinanzierung/fundstellen50000/2009/index.html Anderswo sieht es nicht besser aus: In den USA flossen laut Lobbycontrol von 1998 bis 2008 1,725 Mrd. Dollar aus der Finanzbranche an die beiden großen Parteien. Eine Gruppe von EU-ParlamentarierInnen hat erst kürzlich einen Aufruf veröffentlicht, in dem sie die Übermacht der Finanzlobby in Brüssel anprangert. Den Aufruf können Sie hier einsehen: http://www.finance-watch.org/.

Wer dieses Panorama sieht, kann sich leicht denken, warum die deutsche Bundesregierung es bis heute versäumt hat, ihre politische Macht einzusetzen, um die entfesselten Finanzmärkte wieder in die Schranken zu verweisen. Der schwarz-gelben Bundesregierung fehlen die Ideen, der Mut sowie der politischen Gestaltungswille, um in eine harte Auseinandersetzung mit dem Finanzsektor zu treten. Stattdessen spart sie da, wo sie weniger Widerstand erwartet, nämlich bei dem ärmeren Teil der Gesellschaft und nimmt die Spenden der Finanzbranche dankbar an. Es liegt an uns allen, der schwarz-gelben Politik des sozialen Kahlschlags entschieden entgegenzutreten und eine gerechte Verteilung der Lasten der Krise einzufordern. Sich mit Verschwörungstheorien zu beschäftigen, wird uns dabei nur wenig helfen,

mit freundlichen Grüßen

Lisa Paus MdB

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