Frage an Lisa Paus bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie

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Lisa Paus
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Andreas S. •

Frage an Lisa Paus von Andreas S. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie

Frau Paus,

Wie stehen Sie zu den neuen Abschlüssen BA und MA, die neuerdings an Berliner Hochschulen erworben werden können. Halten sie diese tatsächlich für international konkurrenzfähig?

Wie wollen Sie verhindern, dass Studenten immer länger studieren müssen, weil Sie mit mehreren schlecht bezahlten Jobs ihr Studium fianzieren müssen? Welche Finanzierungsmodelle haben Sie für Studenten?

Danke für die Antworten
Andreas Sander

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Sander,

Ich teile Ihre Skepsis über die derzeitige flächendeckende Umstellung der Studienabschlüsse in Deutschland auf Bachelor und Master. Es ist z.B. nicht einzusehen, warum in Deutschland der Bachelor auf Teufel komm raus nur 6 semsestrig sein darf, obwohl in anderen Ländern z.Zt. Bachelorstudiengänge reihenweise verlängert werden. Und es ist unübersehbar, dass momentan erhebliche "Umstellungsprobleme" an den Universitäten existieren, da einfach versucht wird, die bisherigen Studienordnungen in die neuen Strukturen zu pressen. Vor allem aber scheint das Hauptargument für die Umstellung ­ die Erleichterung bei der gegenseitigen Anerkennung von Studienleistungen ­ sich in sein Gegenteil zu verkehren. Weil es jetzt nicht mehr nur um die Anerkennung von Leistungsscheinen ja oder nein geht, sondern auch um die Anerkennung der Benotung gehen jedenfalls die Berliner Universitäten dazu über, solche Anerkennungen möglichst nur von anerkannten Partneruniversitäten tatsächlich anzuerkennen. Das Ergebnis ist nicht mehr, sondern weniger Mobilität für Studierende und Nachwuchswissenschaftler.

Dennoch: ich bin nicht grundsätzlich gegen die Umstellung der deutschen Abschlüsse auf Bachelor und Master, sondern dafür. Ich bin immer noch davon überzeugt, dass die deutsche Umstellungspraxis das Problem ist und nicht der Bolognaprozess als solcher. Ein Bachelor-Studiengang muss nicht automatisch zur ³Verschulung² führen wie beispielsweise Stanford und andere amerikanische Universitäten zeigen; eine Umstellung der deutschen Magister- und Diplomstudiengänge auf die Bachelor und Masterstruktur muß nicht automatisch dazu führen, dass alle nur noch den Bachelor studieren dürfen. Letzteres ist von anderen Parteien politisch gewollt und deshalb politisch gemacht. Wir hingegen stellen fest: im OECD-Vergleich ist Deutschland Schlusslicht bei der zahl der Studierenden. Wir haben deutlich zu wenig Bachelor-Absolventen und sollten deshalb daran arbeiten, dass hier mehr Kapazität zur Verfügung gestellt wird. Das darf aber nicht zu Lasten der Masterphase gehen, denn wir haben bisher ebensowenig zu viele Uni-Absolventen, sondern liegen im Gegenteil hier auch nur im internationalen Mittelfeld.

Wenn Sie an weiteren Informationen interessiert sind, möchte ich Ihnen eine
substanzielle Auseinandersetzung über das Für und Wider und unsere grüne
Positionierung ans Herz legen, die die Bundesarbeitsgemeinschaft
Wissenschaft/Hochschule/Technologie (BAG WHT) von Bündnis 90/die Grünen, die
ich auch als Sprecherin vertrete, Anfang diesen Jahres beschlossen hat: Sie
finden das Positionspapier unter http://basis.gruene.de/bag.hochschule/ Ein
Auszug daraus, um "Appetit" zu machen, habe ich Ihnen nachfolgend
reinkopiert:

Nach unserer Ansicht sollte der Bachelor nicht zum Regelabschluss werden, sondern Wahlmöglichkeiten eröffnen:
1. Jeder Bachelorabschluss soll den Studierenden einen Eintritt ins Berufsleben ermöglichen, ggf. in neu zu entwickelnde Berufsfelder (z.B. im Medizinbereich).
2. Das Angebot der Hochschulen muss so breit sein, dass Studierende nach dem Bachelorabschluss die Auswahl zwischen verschiedenen Masterangeboten haben.
3. Bei konsekutiven Bachelor-Masterstudiengängen darf es gar keine weitere Zugangshürde zwischen dem Bachelor- und dem direkt zugeordneten Masterstudium geben.
4. Bei nicht-konsekutiven Masterstudiengängen kann der Zugang zu Master- Studiengängen mit sachlich begründeten besonderen Zugangsbedingungen verknüpft werden, feste Übergangsquoten oder Mindest-Noten des ersten Studienabschlusses lehnen wir jedoch ab. Den Studierenden sollten bei der Auswahl des Masterstudiengangs ausreichende Beratungsmöglichkeiten geboten werden.
5. Sowohl in konsekutive als auch nicht-konsekutive Masterstudiengänge sollte die Aufnahme qualifizierter Personen mit mehrjähriger Berufserfahrung möglich sein.
6. Das Studium muss bis zum Masterabschluss gebührenfrei bleiben.
7. Studierende sollen bis zum Masterabschluss Ausbildungsförderung (z.B. BaföG, Stipendien) erhalten.
8. Dass Master-Studierende in der gesetzlichen Krankenversicherung und anderen Leistungen teilweise den Studierendenstatus verlieren, ist nicht hinnehmbar..

Zu Ihrer Zweiten Frage: Bündnis 90/die Grünen streiten seit ihrer Gründung, ich persönlich als hochschulpolitische Sprecherin meiner Fraktion seit 2002 und als Sprecherin der BAG WHT seit 2005 dafür, die finanzielle Situation der Studierenden zu verbessern. Immerhin hat es unter rot-grün eine deutliche Anhebung des Bafögs gegeben ­ eine Weiterentwicklung des BAfÖGs zu einer elternunabhängigen Finanzierung des Lebensunterhalts von Studierenden ist an dem damaligen Bundeskanzler Schröder gescheitert. Und unter der neuen Bildungsministerin Anette Schavan wird statt über die überfällige erneute Anpassung des Bafögs über die Abschaffung bzw. die vollständige Umstellung auf ein Kreditsystem diskutiert. Mit uns war und ist das nicht zu machen!

Die für die Landespolitik entscheidende Debatte ist aber die um Studiengebühren. Es ist auch uns Grünen und mir und unserem anhaltenden Druck aus der Opposition heraus zu verdanken, dass es bisher nicht zu Studiengebühren und Studienkonten in Berlin gekommen ist. Die nicht nur landes- sondern auch bundespolitische Ablehnung von Studiengebühren wurde auch auf mein Engagement hin auf einem grünen Parteitag Anfang letzten Jahres bekräftigt. Der von uns in Berlin unterstützte Druck der studentischen Basis hat dazu geführt, dass Senator Flierl sein ursprüngliches Studienkontenmodell wieder einpacken konnte. Nach der Wahl wird das Thema aber erneut auf der politischen Agenda in Berlin erscheinen. Wir Grüne haben uns erneut festgelegt: keine Studiengebühren in Berlin. Aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit, aus bildungspolitischen Gründen, aber selbst auch aus wirtschaftspolitischen Gründen. Anders als rot-rot sehen wir die Studierenden in der Stadt nicht als Last, sondern als das Pfund für die Zukunft der Stadt.

Keine Studiengebühren, keine Notwendigkeit, sie zu finanzieren!

Dennoch wird es auch weiterhin Berliner Alltag sein, dass viele Studierende ihr Studium de facto als Teilzeitstudium absolvieren ­ aus welchen Gründen auch immer. Hier setzen wir uns dafür ein, dass das endlich adäquat bei den Studienplänen berücksichtigt wird. Da derzeit mit der Umstellung auf BA und MA das Gegenteil passiert, muss hier offenbar offensiv auf die Hochschulen zugegangen werden, mit dem Ziel, die Verpflichtung zu Teilzeitstudienangeboten in die nächsten Verträge mit den Hochschulen aufzunehmen.

Ich hoffe, ich konnte Ihre Fragen einigermaßen befriedigend beantworten und
verbleibe

Mit herzlichen Grüßen,

Lisa Paus

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