Frage an Marco Bülow bezüglich Umwelt

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Marco Bülow
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Frage von Michael L. •

Frage an Marco Bülow von Michael L. bezüglich Umwelt

Sehr geehrte Herr Bülow,

die schwarz-gelbe Bundesregierung will ja bekanntlich die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängern. Wenn es nach der FDP ginge, hätten die Atomkraftwerke sogar noch megalange Laufzeiten. Da die schwarz-gelbe Mehrheit jetzt im Bundesrat die erforderliche Mehrheit verloren hat, wurde jetzt ja sogar angeführt, die Laufzeiten durch Umgehen des Bundesrates zu verlängern. Falls das gelingen sollte, muss man die Befürchtung haben, dass der Bundesrat dann bei heiklen Sachen immer umgangen wird.

Was ist Ihre persönliche Meinung dazu und wie werden Sie bzw. die SPD dagegen vorgehen.

Mit freundlichen Grüßen
Michael Lux

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Die PARTEI

Sehr geehrter Herr Lux,

zunächst vielen Dank für Ihre Anfrage vom 24.05.2010 zum Thema Umgehung des Bundesrates bei Laufzeitverlängerungen. Bitte entschuldigen Sie die etwas verspätete Antwort.

Ihre Bedenken kann ich sehr gut nachvollziehen. Ich war schon vor meiner Abgeordnetentätigkeit ein sehr engagierter Atomkraftgegner. Je mehr Fakten und Daten ich ansammle, desto deutlicher wird für mich, dass die Atomenergie keine Zukunft haben darf.

Es wäre wirklich beschämend, wenn die Bundesregierung versucht, Laufzeitverlängerungen von Atomkraftwerken mit Tricksereien durchzubekommen. Anders wird sie es allerdings nicht schaffen. Denn namenhafte Verfassungsrechtler kommen zu dem Ergebnis, dass eine Laufzeitverlängerung ohne Zustimmung durch den Bundesrat rechtlich nicht durchsetzbar ist. Dies bestätigen sowohl der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, als auch der Verwaltungswissenschaftler und Professor für öffentliches Recht, Joachim Wieland. Auch Experten in den Ministerien haben "erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken" gegen eine Laufzeitverlängerung ohne Beteiligung des Bundesrates. Der Bundesregierung wird also nichts anderes übrig bleiben, als zu versuchen, die Laufzeitverlängerungen mit handwerklichen Tricksereien gegen allen Sachverstand durchzuboxen, z. B. durch Zerstückelung des Gesetzes.

Doch selbst wenn es verfassungsrechtlich unbedenklich wäre, den Bundesrat nicht zu beteiligen, so sollten bei einer solch wichtigen Entscheidung mit dieser Tragweite die Länder immer mitreden. Ansonsten riskiert man, dass die sowieso geringe Akzeptanz von Laufzeitverlängerungen komplett schwindet.

Denn die Ablehnung der Bevölkerung gegenüber der Atomenergie ist ungebrochen. Die Anti-Atom-Demonstrationen am 24. April 2010, an der sich rund 120.000 Menschen in ganz Deutschland beteiligten, haben einmal mehr eindrucksvoll bewiesen: Mit ihren Plänen der Atomenergie zu einem Comeback zu verhelfen, handelt die Bundesregierung gegen den Willen der Menschen. Der unter rot-grün ausgehandelte Atomausstieg hat einen über Jahrzehnte lang schwelenden Konflikt endlich befriedet, jetzt bricht er wieder auf.

Auch wenn die Atomlobby seit Jahren versucht die Öffentlichkeit mit umfangreichen PR-Kampagnen zu blenden, lassen sich die angeblichen Argumente „Pro-Atomenergie“ allesamt entkräften: So stimmt es z. B. nicht, dass die Atomenergie besonders klimafreundlich ist. Der Bau sowie der Rückbau von Atomkraftwerken, Wiederaufbereitungsanlagen und Endlagerstätten, die Erschließung, der Abbau, Transport und Veredelungsprozess von Uran sowie die Brennstäbeaufbereitung verursachen erhebliche Mengen klimaschädlicher Gase. Da bei Atomkraftwerken die Abwärme ungenutzt bleibt, ist außerdem der Wirkungsgrad mit ca. 35 Prozent sehr viel geringer als bei Kraftwerken mit Kraft-Wärme-Kopplung (ca. 90 Prozent). Die benötigte Wärme im Bereich Heizung und Warmwasser muss anderweitig erzeugt werden, was in der Regel mit zusätzlichen Kohlendioxidemissionen verbunden ist. Die Klimabilanz eines Erdgas-Blockheizkraftwerks ist daher, laut einer Studie des Ökoinstituts, ähnlich gut wie bei einem AKW, wenn man die zusätzlich nötige Wärmeerzeugung auf Öl- oder Gasbasis berücksichtigt. Dabei umfasst die Studie beispielsweise nicht einmal die durch die Endlagerung verursachten Emissionen. Dazu kommt, dass Atomkraftwerke weltweit einen Anteil von weniger als 2,5 Prozent des Endenergieverbrauchs decken und somit keinen maßgeblichen Beitrag zum Klimaschutz leisten können. Auch stimmt es nicht, dass eine weitere Nutzung der Atomenergie Deutschland unabhängiger macht: Deutschland ist zu 100 Prozent abhängig von Uranimporten. Die Erneuerbaren Energien sind die einzigen Energieträger, bei denen Deutschland vollständig unabhängig von Importen ist und die gleichzeitig den Klimaschutz sichern. Daneben ist es auch völliger Quatsch, dass Atomstrom angeblich billig sei. Atomstrom ist für die Betreiber günstig, weil die AKW abgeschrieben sind und der Steuerzahler die Atomenergie mit Milliardenbeträgen subventioniert hat. Die günstigen Produktionskosten für Atomstrom wirken faktisch nicht preisdämpfend, sondern erhöhen lediglich die Gewinne (über 300 Millionen Euro pro AKW und Jahr) der vier großen Energieversorgungsunternehmen. Die Bürger profitieren nicht vom „günstigen“ Atomstrom. Dazu kommt, dass die Atomenergie eine Risikotechnologie ist und bleibt und zudem die Endlagefrage weltweit weiter ungelöst ist. Endlagerung wird niemals völlig sicher sein. Das zeigen massive Probleme im ehemaligen DDR-Atommüllendlager Morsleben und im Endlager-Forschungsbergwerk Asse II. Hochradioaktive Abfälle müssen für mehr als eine Million Jahre sicher von der Biosphäre abgeschirmt werden. Für einen so langen Zeitraum zu planen, ist allerdings unmöglich. Kein Mensch kann vorhersehen, was in den nächsten 10.000 Jahren passieren wird. Eine Laufzeitverlängerung um zehn Jahre würde bis zu 4.500 Tonnen hochradioaktiven Abfall zusätzlich bedeuten. Dazu kommt, dass man bei einem Festhalten am „Auslaufmodell Atomenergie“ wichtige Investitionen in Erneuerbare Energien verhindert. Das aktuelle Gutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen (Beratergremium der Bundesregierung) hat noch einmal bestätigt, dass eine sichere Stromversorgung mit bis zu 100 Prozent Erneuerbaren Energien im Jahre 2050 möglich ist und die Laufzeitverlängerungen das Erreichen dieses Ziels gefährden würde.

Meiner Meinung nach spürt man sehr deutlich, dass die Bürgerinnen und Bürger es mehr und mehr suspekt finden, dass die Regierungskoalition aus Union und FDP bei kaum einem Projekt so rücksichtslos vorgeht wie bei ihrer Atompolitik. Wohl wissend, dass die Endlagerfrage ungeklärt ist, die Menschen einem verstärktem Risiko ausgesetzt werden, der Ausbau der Erneuerbaren Energien gebremst und der Wettbewerb unter den Energieanbietern nicht gesteigert, sondern verringert wird, hält die Bundesregierung an ihrem Laufzeitverlängerungswahn fest. Sie scheint wohl bei den Atomkonzernen besonders in der Schuld zu stehen. Außerdem möchte sie sicher nach den Senkungen der Hotelsteuern wenigstens noch ein weiteres im Koalitionsvertrag beschlossenes Projekt realisieren, nachdem alle anderen Vorhaben bisher im Chaos untergingen.

Wir können nur hoffen, dass sich Frau Merkel eines Besseren besinnt und endlich die Realitäten anerkennt, anstatt sie sich zurechtzubiegen. Sollte sie sich allerdings doch dafür entscheiden, den Bundesrat zu umgehen, wird die SPD Verfassungsklage einreichen.

Eine verfassungsrechtliche Klärung wird dann zudem hoffentlich auch dazu beitragen, dass die Bundesregierung in Zukunft auf Tricksereien bei anderen nicht durchsetzungsfähigen Vorhaben verzichtet (momentan sieht es ja so aus, als würde man auch bei großen Teilen des sogenannten „Sparpakets“ versuchen, den Bundesrat zu umgehen).

Für mich und die SPD steht eindeutig fest: Wir stehen zum Atomausstieg und werden ihn verteidigen. Wir sind der Ansicht, dass die sich abzeichnenden veränderten Mehrheiten im Bundesrat einer Laufzeitverlängerung die politische Grundlage entzogen haben. Wir fordern deshalb die Bundesregierung in unserem Antrag „Laufzeitverlängerung nicht mehr durchsetzbar - Energiekonzept neu justieren - Energiepolitische Bremsen lösen“ (Bundestags-Drucksache 17/1980) das von der Bundesregierung geplante Energiekonzept entsprechend anzupassen und dabei insbesondere auf eine Berücksichtigung von längeren Laufzeiten von Atomkraftwerken zu verzichten.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit meiner Antwort weiterhelfen. Viele weitere Informationen zu meinen politischen Inhalten und besonders auch zur Energiepolitik finden sie auf meiner Internetseite (dort finden sie auch meine Bundestagsreden zu diesem Themengebiet) http://www.marco-buelow.de/

Mit freundlichen Grüßen

Marco Bülow