Frage an Marco Bülow bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Marco Bülow
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Frage von Raimond K. •

Frage an Marco Bülow von Raimond K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Bülow,

der VdK Deutschland e.V., Bonn, sammelt zur Zeit Unterschriften zur Absenkung der ust auf -
von 19 auf 7 % für Medikamente. Wie beurteilen Sie Ihr weiteren Möglichkeiten zu einer diesbezüglichen Beschlussfassung durch den Bundestages/Bundesrates?

Zur Reform des Kommunalwahlrechtes in NRW werden derzeit Unterschriften gesammelt (Panaschieren und kulminieren).

Ich würde begrüßen, wenn Sie sich für die Stärkung plebeszitärer Elemente auch auf Bundesebene einsetzen würden (z.B. EU-Verfassung).

Mit freundlichen Grüßen
R. Kruze

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Sehr geehrter Herr Kruze,

zunächst vielen Dank für Ihre drei Anmerkungen bzw. Fragen, die ich Ihnen gerne ausführlich beantworten möchte.

Ihre erste Frage bezieht sich auf die aktuelle Unterschriftensammlung der VdK Deutschland e.V. zur Absenkung der Umsatzsteuer von 19 auf 7 % für Medikamente.

Die SPD-Gesundheitspolitiker fordern seit langem einen ermäßigten Umsatzsteuersatz auf Arzneimittel, der sich jedoch aus Haushaltgründen nicht durchsetzen kann. Nach Auskunft des BMF wurde die Gesamtkonzeption für die Besteuerung der Umsätze im Gesundheitsbereich bereits bei Einführung des Mehrwertsteuersystems in Deutschland zum 01. Januar 1968 in eingehenden Beratungen entwickelt:

Der einheitlichen Besteuerung der Arzneimittelumsätze zum allgemeinen Umsatzsteuersatz stehen danach umfassende umsatzsteuerrechtliche Begünstigungen gegenüber, die Sozialversicherungsträgern und Privatpersonen gleichermaßen zugute kommen sollen. So enthält das Umsatzsteuergesetz z.B. eine Steuerbefreiung für die meisten Umsätze der Heilberufe und Krankenhäuser. Lieferungen orthopädischer Hilfs- und Fortbewegungsmittel für Kranke und Körperbehinderte unterliegen einem ermäßigten Steuersatz, ebenso u.a. die Lieferung und die Wiederherstellung von Zahnprothesen und kieferorthopädischen Apparaten. Die 6. EU-Richtlinie von 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften über die Umsatzsteuern ermöglicht den Mitgliedstaaten die Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes auf Arzneimittellieferungen, schreibt dies aber nicht etwa vor. Tatsächlich unterscheiden sich die Steuer- und Gesundheitssysteme in den Mitgliedstaaten hinsichtlich ihrer Finanzierung und Leistungsansprüche so stark voneinander, dass ein isolierter Vergleich der Steuerbelastung einer Gesundheitsleistung schlicht unsinnig ist.

Die geforderte Steuerermäßigung vom VdK Deutschland e.V: wäre auch nicht geeignet, die weit überdurchschnittlichen jährlichen Ausgabenzuwächse der gesetzlichen (und der privaten) Krankenkassen für die Arzneimittelversorgung wirksam und langfristig zu begrenzen. Im Umsatzsteuerbereich lässt sich die Weitergabe einer Steuerersparnis vom Unternehmer an den Endverbraucher nicht sicherstellen. Würden die Arzneimittelpreise aber nicht (im Umfang von 9 bzw. künftig 12 %) dauerhaft gesenkt, müssten die Krankenversicherungsträger und somit letztlich ihre Versicherten diese Gewinnerhöhung der Unternehmer finanzieren, wenn gleichzeitig die Zuzahlungen der medikamentös behandelten Patienten gesenkt würden.

Unstreitig ist die Umsatzsteuer nur ein Kostenbestandteil im Gesundheitswesen. Der Koalitionsvertrag sieht vor, Fehlentwicklungen bei der Arzneimittelversorgung durch Gesetzesänderungen im Zuständigkeitsbereich des BMG zu korrigieren – auch zur Stärkung des Pharmastandortes Deutschland (u.a. Ausschluss von Naturalrabatten an Apotheker, Abgrenzung der echten von Scheininnovationen, Korrektur des Festbetragssystems). Die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes von 7 % würde nach den Berechnungen des BMG zu folgenden Steuermindereinnahmen führen:

- bei einem Normalsatz von derzeit 16 %: 2,8 Mrd. Euro/Jahr
- bei einem Normalsatz von künftig 19 %: 3,7 Mrd. Euro/Jahr

Die Mehrwertsteuereinnahmen können ebenso nicht zur Refinanzierung den Krankenkassen bzw. dem Gesundheitssystem zur Verfügung gestellt werden, da im Steuersystem der Bundesrepublik Deutschland keine Zweckbindung vorgesehen ist.

Für die SPD gilt trotz allem auch weiterhin, dass wir ein Krankenversicherungssystem brauchen, in dem die Reichen für die Armen und die Gesunden für die Kranken einstehen. Unser Gesundheitssystem bietet seit vielen Jahrzehnten umfassende Versorgungsleistungen, die zeitnah jedem Patienten zur Verfügung stehen. Trotz steigender Kosten hat sich das System der GKV bewährt, auch wenn es immer wieder an die sich verändernden Rahmenbedingungen angepasst werden muss.

Zu Punkt 2:
Ich stehe einer Einführung von Kumulieren und Panaschieren als neues Wahlrecht in NRW eher skeptisch gegenüber. Das Wahlrecht aus einer Kombination von Direkt- und Listenwahlverfahren hat sich bis jetzt in NRW bewährt und entspricht den Wahlrechtsgrundsätzen „allgemein, frei, gleich, geheim und unmittelbar“ am besten.

Beim Wahlverfahren Kumulieren und Panaschieren wird die Auseinandersetzung immer mehr auf einzelne Personen statt auf Themen und Programme konzentriert. Ich finde es wenig transparent. Dadurch kann das Wahlergebnis meistens erst nach mehreren Tagen nach dem Wahlvorgang veröffentlicht werden.

Erfahrungen zeigen, dass dieses Wahlverfahren eher die Kandidaten begünstigt, die in der Gesellschaft ein höheres Ansehen und finanziell besser gestellt sind. Andere Kandidaten, wie zum Beispiel Frauen, werden benachteiligt. Kandidaten mit viel Geld können viel Werbung machen und schaffen sich damit anderen Bewerbern gegenüber einen deutlichen Vorteil. Das Wahlverfahren begünstigt darüber hinaus eine Antiparteienhaltung, die eine Politikverdrossenheit stärken kann. Es wird weniger dazu beigetragen, alle gesellschaftlichen Gruppen in der Politik zu versammeln.

Zu Punkt 3:
Ich begrüße eine stärkere Verankerung plebiszitärer Elemente in der deutschen Politik. Die SPD-Bundestagsfraktion hatte bereits 1993, im Anschluss an die Beratungen der Gemeinsamen Verfassungskommission, einen Gesetzentwurf eingebracht, mit dem ein Volksentscheid auf Bundesebene ermöglicht werden sollte. Im Jahr 2002 hatten wir zusammen mit dem Koalitionspartner erneut einen Gesetzentwurf zur Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid eingebracht. Da es sich hierbei jedoch um eine Verfassungsänderung handeln würde, bedürfte es einer Mehrheit von zwei Dritteln in Bundestag und Bundesrat, die nicht zustande kommt, solange die CDU/CSU-Fraktion das Vorhaben ablehnt. Im vergangenen Jahr haben wir deshalb nochmals versucht, die CDU/CSU-Fraktion umzustimmen, was leider nicht gelungen ist.

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland sieht bis jetzt keine direktdemokratische Beteiligung für die Bürgerinnen und Bürger am legislativen Prozess vor. Dies wird mit dem nicht zu bewältigenden bürokratischen Aufwand begründet, der entstehen würde, wenn man die Entscheidung über außenpolitische Themen, wie beispielsweise die EU-Osterweiterung, den Bürgerinnen und Bürgern überlassen würde. Weil jedoch die Bundesrepublik mit 80 Mio. Einwohnern das bevölkerungsreichste Land Europas ist, sind bei uns solche direktdemokratischen Elemente auf Bundesebene in der Gesetzgebung nicht vorgesehen. In einem Kleinstaat wie der Schweiz ist eine direkte Demokratie leichter durchzuführen.

Ein Referendum zur EU-Verfassung, wie es beispielsweise in Frankreich, den Niederlanden und Luxemburg durchgeführt wurde, hätte ich allerdings auch in Deutschland gerne durchgesetzt. Aus diesem Grund habe ich bei der Abstimmung im Deutschen Bundestag für ein solches Referendum gestimmt.

In Art. 20 unseres Grundgesetzes steht: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ In Deutschland haben die Bürgerinnen und Bürger aus diesem Grund die Möglichkeit auf Bezirks-, Landes-, Bundes- und Europaebene die Abgeordneten als Volksvertreter in den Parlamenten zu wählen. Hier werden Meinungen gebündelt und Entscheidungen getroffen, die die Ansichten der Bürger repräsentieren. Das bedeutet keineswegs, dass die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland „unmündig“ sind oder ihnen solch komplexe Entscheidungen nicht zugetraut werden. Eine relativ geringe Wahlbeteiligung bei den Bundestagswahlen 2005 (77,7%) und eine erschreckend niedrige deutsche Wahlbeteiligung bei den Europawahlen 2004 (43,0%) haben jedoch gezeigt, dass viele Deutsche kein Interesse bzw. nicht mehr das Interesse haben, von der Möglichkeit, die Politik zu beeinflussen, Gebrauch zu machen.

Mehr direktdemokratische Elemente sind meiner Ansicht nach jedoch wichtig für eine gefestigte Demokratie, wie wir sie in der Bundesrepublik Deutschland haben. Ich bin mir sicher, dass das die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland mit einer größeren politischen Verantwortung umzugehen verstünden und mehr Volksentscheide unsere Demokratie nur positiv beeinflussen können. Wir werden aus diesem Grund das Vorhaben der stärkeren Verankerung plebiszitärer Elemente in der deutschen Politik weiter verfolgen.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen meine Standpunkte ausreichend erläutern und wünsche Ihnen alle erdenklich Gute.

Mit besten Grüßen

Marco Bülow