Frage an Maria Klein-Schmeink bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Maria Klein-Schmeink
Maria Klein-Schmeink
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Sebastian W. •

Frage an Maria Klein-Schmeink von Sebastian W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Klein-Schmeink,

ich bitte Sie mir Ihre persönliche Meinung zum folgenden Video zu geben:

http://www.youtube.com/watch?v=8kmcloVZu1o&feature=player_embedded

Es handelt sich hierbei um eine kurze Erklärung des ESM-Vertrages, der wenn man diesem Video glauben schenken kann, ein klarer Schritt weg von der Demokratie bedeutet. Hier geht es nicht um konservative oder liberale Gesinnungen - hier geht es um weit fundamentalere Prinzipien.

Ich werde ähnliche Fragen, an alle weiteren Abgeordneten aus meinem Wahlkreis senden und würde eine Stellungnahme von Ihnen sehr begrüßen.

Vielen Dank vorab

Sebastian Wissing

Maria Klein-Schmeink
Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Wissing,

vielen Dank für Ihre Frage. Zunächst möchte ich Ihnen eine Einschätzung zum ESM geben, bevor ich direkt auf die Vorwürfe des Videos zu sprechen komme.

Einordnung – ESM
Der ESM ist der dauerhafte Euro-Rettungsschirm. Er soll ab Juli 2013 den derzeitigen Euro-Rettungsschirm (EFSF) ablösen. Wir Grüne unterstützen diesen Rettungsschirm, weil er gegenüber der EFSF eine wesentliche Neuerung bringt: die Grundlage für eine geordnete Insolvenz. Kredite werden nur dann vergeben, wenn der notleidende Euro-Staat seine Schulden auch tatsächlich tragen kann. Ist ein Land nicht dazu in der Lage, muss es den Schuldenstand zuerst auf ein tragfähiges Niveau reduzieren. Und zwar durch einen teilweisen Verzicht der privaten Gläubiger. Zudem wird der ESM -wie bereits die EFSF- mit grundsätzlich guten Instrumenten ausgestattet.
Den Ankauf von Staatsanleihen am Sekundärmarkt fordern wir schon lange. Dadurch können die Schulden hochverschuldeter Länder reduziert und die EZB entlastet werden.
Kredite zur Re-Kapitalisierung von Banken und vorsorgliche Kreditlinien können Ansteckungseffekte vermeiden und einen Zusammenbruch des Finanzsystems verhindern. Der Deutsche Bundestag wird in wenigen Monaten ein Gesetz verabschieden, in dem die maximale Höhe der deutschen Beiträge und die Beteiligungsrechte des Bundestages festgelegt werden. Schon jetzt ist klar, wesentliche Entscheidungen des ESM, können nicht ohne die vorherige Zustimmung des Bundestages getroffen werden.
Weitere Infos: http://www.gruene-bundestag.de/cms/euro/dok/390/390764.fragen_und_antworten_zur_eurokrise.html

Vorwurf: Deutschland - der alleinige Zahlmeister; deutsches Geld fließt ohne Ende
Das ist falsch! Alle 17 Euro-Staaten müssen sich gemäß ihrer wirtschaftlichen Stärke am ESM beteiligen. Entsprechend beträgt der deutsche Anteil 27 Prozent oder 190 Mrd. Euro. Von diesen 190 Mrd. Euro wird Deutschland 21,6 Mrd. Euro als Bareinlage einzahlen. Die restlichen 168 Mrd. Euro sind Garantien. Diese Garantien werden aber nur dann fällig, wenn ein begünstigter Euro-Staat tatsächlich nicht mehr in der Lage wäre, die vom ESM erhaltenen Kredite zurückzuzahlen.
Die Bareinlage überweist Deutschland in fünf Jahrestranchen (à 4,32 Mrd. Euro) ab 2013 an den ESM. Mit den Garantien sichern die 17 Euro-Staaten die ESM-Hilfskredite ab. Der ESM nimmt diese Kredite am Markt auf und gibt sie mit einem angemessen Zinsaufschlag an notleidende Staaten weiter. Allerdings unter strikten Auflagen. Nur wenn ein notleidender Staat diese Kredite nicht mehr zurück zahlen kann, werden die Garantien für diese Kreditausfälle fällig. Erst in diesem Fall muss Deutschland über die Bareinlage hinaus Geld an den ESM überweisen!
Die bisherige Praxis zeigt jedoch das Gegenteil. Sowohl Irland als auch Portugal, bisher die einzigen Empfänger von Notkrediten, erfüllen die vereinbarten Kreditauflagen. Außerdem ist wichtig zu wissen, dass die Kredite nur dann vergeben werden, wenn der Empfänger seine Schulden auch tatsächlich tragen kann. Das wird in einer sogenannten Schuldentragfähigkeitsanalyse überprüft. Kann der Empfängerstaat das nicht, müssen die Schulden durch die Beteiligung privater Gläubiger zuerst auf ein tragfähiges Niveau reduziert werden.
Zu alledem genießen die Euro-Staaten einen bevorrechtigten Gläubigerstatus. Kann ein Empfängerstaat nicht mehr alle Schulden zurück zahlen (Zahlungsunfähigkeit), muss es zuerst die ESM-Kredite bedienen.

Vorwurf: ESM ist ein Fass ohne Boden, ein übermächtiger Gouverneursrat handelt ohne Legitimation und parlamentarische Kontrolle
Das ist falsch! Einer Ausweitung des ESM müssen alle 17 Euro-Staaten einstimmig zustimmen. In Deutschland geht das nicht ohne eine starke Beteiligung des Bundestags. Wie bei der EFSF (dem derzeitigen Euro-Rettungsschirm) gilt: ohne Zustimmung des Bundestages keine Erhöhung.
In der Praxis trifft der Gouverneursrat des ESM alle wesentlichen Entscheidungen, auch Entscheidungen über eine mögliche Ausweitung. Der Gouverneursrat setzt sich aus den 17 Finanzministern der Euro-Zone zusammen. Der Bundesfinanzminister ist als Regierungsmitglied demokratisch legimitiert. Wichtiger ist aber, dass er ohne vorherige Zustimmung der Abgeordneten des Bundestages keiner wesentlichen Änderung des ESM zustimmen darf. Das haben alle Fraktionen des Bundestages angekündigt und beim aktuellen Euro-Rettungsschirm (EFSF) auch entsprechend umgesetzt.
Doch nicht nur bei dieser Entscheidung ist der deutsche Finanzminister auf das Votum von gewählten Bundestagsabgeordneten angewiesen. Grundsätzlich gilt: keine wesentliche Entscheidung ohne Parlamentsbeteiligung!

Vorwurf: ESM agiert im rechtsfreien Raum
Das ist falsch!
Stichwort - Immunität: Die Immunität der ESM-Akteure (Mitglieder des Gouverneursrat, also die Finanzminister; die Mitglieder des Direktoriums) bezieht sich auf ihre amtlichen Handlungen. Das heißt, niemand soll etwa angeklagt werden können, weil er ein bestimmtes Land zum Beispiel für nicht solvent befunden hat. Die Immunität erstreckt sich jedoch nicht auf strafbare Handlungen, die nichts mit Amtshandlungen zu tun haben. Zudem kann die Immunität aufgehoben werden.
Stichwort - keine Besteuerung und Schuldverschreibungen: Da der ESM eine gemeinschaftliche Einrichtung ist, werden seine Erträge nicht direkt besteuert. Ertragssteuern fallen i. d. R. national an, und diese wäre bei einer Gemeinschaftseinrichtung nicht zu rechtfertigen. Da mögliche Erträge des ESM ohnehin seinen Gründungsmitglieder fließen, ist dies aus unserer Sicht nicht zu beanstanden. Gleiches gilt für indirekte Steuern, zum Beispiel die Mehrwertsteuer. Die Besteuerung, beispielsweise im Rahmen der Abgeltungssteuer oder anderen Steuern auf Zinseinnahmen ist nur dann unzulässig, wenn ESM-Wertpapiere alleine aufgrund ihrer Herkunft besonders besteuert werden. Eine normale Besteuerung von Zinseinkünften, in Deutschland im Rahmen der Abgeltungssteuer auf Zinserträge, bleibt davon unberührt.
Stichwort - keine Klagemöglichkeit: Die Vertragspartner (17 Eurostaaten) entscheiden Streitigkeiten innerhalb des Gouverneursrats (Euro-Finanzminister). Diesbezügliche Entscheidungen des Gouverneursrats können vor dem Europäischen Gerichtshof anhängig gemacht werden. Das Urteil dieses Rechtsstreits ist verbindlich.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit dieser ausführlichen Antwort einen Einblick in meine Sicht des ESM und die Entscheidungen der grünen Bundestagsfraktion geben.

Mit freundlichen Grüßen,
Maria Klein-Schmeink MdB

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