Frage an Martin Gerster bezüglich Finanzen

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Martin Gerster
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Frage von Christian O. •

Frage an Martin Gerster von Christian O. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Gerster,

ich habe eine steuertechnische Frage:

Sie werden mit mir übereinstimmen, dass unser Bruttosozialprodukt selbst in diesen schwierigen Zeiten immer noch wächst. Wie kann es dann sein, dass dann viele Ausgaben gekürzt werden? Ich werde es ihnen sagen: Dies geschieht, weil die Zinsbelastung durch die Staatsverschuldung immer größer wird. Das stellt leistungsloses Einkommen für die da, die dem Staat Geld geliehen haben.

Nun meine Frage:

- Warum wird in der Öffentlichkeit jedem Posten (z.B. Kultur, Soziales usw.) ein immer größeres Sparpotential angedichtet, aber der Posten der jährlichen Zinszahlung bleibt unangetastet? Er wird noch nicht mal in die Diskussion gebracht, obwohl er einer der größten(!) Posten ist.

Ich bitte Sie, auch wenn Sie eine große Arbeitsbelastung habe, einen Blick auf den Ökonomen Bernd Senf zu werfen. Er hat eine eigene Seite im Internet und hat kostenlose Vorlesungen eingestellt.

Seine und bis jetzt wohl auch meine Einschätzung ist:
Unser Geldsystem bewirkt einen stillen Transfer von Wohlstand von unten nach oben, Das ist mathematisch nachweisbar. Über Engagement ihrer Seite würde ich mich freuen.

Mit freundlichen Grüße,

Christian Oehme

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Sehr geehrter Herr Oehme,

herzlichen Dank für Ihre Zuschrift über abgeordnetenwatch, in der Sie die Schulden- und Zinsbelastung der öffentlichen Haushalte thematisieren. In Ihrer Analyse kann ich Ihnen leider nur bedingt zustimmen.

So fürchte ich, dass über die von Ihnen prognostizierte positive Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes im Zuge der aktuellen finanz- und realwirtschaftlichen Verwerfungen noch zu sprechen sein wird. Mit Sicherheit ist jedoch die Unterstellung unzutreffend, die Entwicklung der Staatsschulden würde seitens der Politik nicht thematisiert.

Finanzminister Peer Steinbrück hat in der Vergangenheit immer wieder klargestellt, dass die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte im Rahmen der Finanzpolitik der Bundesregierung höchste Priorität genießt. Hierzu lege ich Ihnen den zweiten Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen ans Herz:

http://www.bundesfinanzministerium.de/nn_54192/DE/Wirtschaft__und__Verwaltung/Finanz__und__Wirtschaftspolitik/Finanzpolitik/Weitere__Informationen__Links/001__a__Bericht__Tragfaehigkeit__oeffentl__Finanzen,templateId=raw,property=publicationFile.pdf

Mit seiner aktuellen Kritik an undurchdachten Konjunkturprogrammen und vorschnellen Steuersenkungen hat der Minister seine Haltung in dieser Frage nochmals verdeutlicht. Wie ernst das Thema Staatsverschuldung von Regierungsseite genommen wird, können Sie auch einem Brief des wissenschaftlichen Beirats beim Ministerium entnehmen, der bereits 2007 eine Eindämmung der aus dem Ruder gelaufenen Staatsverschuldung gefordert hat:
http://www.bundesfinanzministerium.de/nn_4342/DE/BMF__Startseite/Service/Downloads/Abt__I/0707091a3002,templateId=raw,property=publicationFile.pdf

Dass der Staat seinen Schuldnern geliehenes Geld im Rahmen der getroffenen vertraglichen Vereinbarungen zurückzahlen muss, ist denke ich selbstverständlich. Gleichzeitig gilt es, die Neuverschuldung schnellstmöglich auf Null zurückzufahren. Dieser Konsolidierungskurs darf aber nicht auf Kosten wichtiger Weichenstellungen gehen, die eine nachhaltige Verbesserung der Einnahmensituation und somit der Haushaltslage begünstigen.

Der Bundeshaushalt 2009 sieht deshalb - entgegen Ihrer Behauptung - keineswegs nur Kürzungen vor. Mit einem Gesamtvolumen von 288,4 Milliarden Euro gibt der Bund rund 1,8 Prozent mehr aus als im Haushaltsjahr 2008. Erhöht werden die Mittel für Entwicklungshilfe, Forschung und Entwicklung. Auch für Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur gibt es 2009 eine Milliarde Euro zusätzlich:
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Magazine/MagazinWirtschaftFinanzen/060/t2-haushaltsentwurf-2009.html .

Noch ein Wort zu Bernd Senf. Die von ihm vertretenen Theorien stehen in in der Tradition von Silvio Gesell, der die Wurzel aller wirtschaftlichen Probleme in der Verknüpfung von Geld und Zins erkannt zu haben glaubte. Die Übertragung der Anfang des 20. Jahrhunderts formulierten Gesellschen Überlegungen auf das heutige Geldsystem, wie sie Senf in seinem Hauptwerk "Der Nebel um das Geld" vornimmt, erscheint mir in der Sache nicht sonderlich schlüssig. Überdies boten Gesells "freiwirtschaftliche" Theorien zahlreiche Anknüpfungspunkte für antisemitisches Gedankengut. Dies will ich Senf nicht anlasten - da er aber seine Analysen zur Finanzmarktkrise gegenwärtig auch auf dem dubiosen, verschwörungstheoretisch argumentierenden Portal infokrieg.tv anpreist, verbietet es sich in meinen Augen, seine Thesen zum Gegenstand seriöser politischer Debatten zu machen.

Wo ich Ihnen und Professor Senf allerdings zustimme ist, dass sich die Kluft zwischen Arm und Reich in unserer Gesellschaft tendenziell verbreitert und hier politischer Handlungsbedarf besteht. Diese Problematik auf das Geldsystem und den Zins zu verkürzen, wird der Komplexität der Zusammenhänge aber nicht gerecht.

Mit besten Grüßen
Martin Gerster

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