Frage an Martin Schwanholz bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

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Martin Schwanholz
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Frage von Felix B. •

Frage an Martin Schwanholz von Felix B. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Guten Tag Herr Schwanholz,
mich würde es sehr interessieren ob Sie den EU-Vertrag von Lissabon gutheißen wie Ihr Kollege Herr Thiele, der die Ihm gestellte Frage nun wirklich sehr unkonkret und oberflächlich beantwortet hat.

Sehen Sie im "Lissabon Vertrag" keine klaren Nachteile was die souveränität Deutschlands betrifft und wenn nein warum?
Bitte schreiben Sie uns Ihre eigene persönliche Meinung dazu.

MfG
Felix

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr But,

vielen Dank für Ihre Anfrage über abgeordnetenwatch.de. Ich werde Ihnen gerne alsbald meine Stellungnahme zukommen lassen. Sollten Sie darüber hinaus weitere Fragen oder Anregungen haben, so können Sie sich auch jederzeit gerne direkt an mich wenden, z.B. über meine E-Mail-Adresse martin.schwanholz@bundestag.de .

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Martin Schwanholz, MdB

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SPD

Sehr geehrter Herr But,

vielen Dank für Ihre Anfrage vom 10. Juli 2009. Sehr gerne möchte ich Ihnen meine persönliche Meinung dazu ausführlich erläutern.

Ich sehe die Souveränität Deutschlands durch den Lissabon-Vertrag nicht
gefährdet. Dafür gibt es mehrere Gründe:

1. Das Bundesverfassungsgericht hat den Lissabon-Vertrag am 30. Juni 2009 im Grundsatz für verfassungskonform erklärt. Diese Entscheidung zeigt, dass es mit dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags zu keinem Souveränitätsverlust Deutschlands kommt, da genau dieser Punkt u. a. vom Bundesverfassungsgericht geprüft wurde.

Der Deutsche Bundestag hat mit Zustimmung zum Lissabon-Vertrag im April letzten Jahres einer Übertragung von Handlungskompetenzen Deutschlands auf EU-Ebene eingewilligt. Diese Kompetenzübertragung ist wichtig, da viele Probleme nur in Gemeinschaft gelöst werden können. Eine mit der Kompetenzübertragung mutmaßlich verbundene Aushöhlung der Nationalstaaten wird jedoch durch das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung und das Subsidiaritätsprinzip verhindert.

a) Auf Grundlage des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung ist die Gemeinschaft nur dann zur Rechtssetzung befugt, wenn die Verträge ausdrücklich eine Ermächtigung zum Tätigwerden der Gemeinschaftsorgane enthalten. Insofern darf die Gemeinschaft auch nur innerhalb der ihr übertragenen Zuständigkeiten tätig werden. Die Mitgliedsstaaten ent-scheiden dabei selbst, welche Kompetenzen sie in die Zuständigkeit der Europäischen Union übertragen. Kompetenzen, die besonders sensible Bereiche wie z. B. Strafrecht, Polizei und Militär, Steuer- oder Sozialpolitik betreffen, verbleiben weiterhin bei den Nationalstaaten.

b) Auch wahrt der Lissabon-Vertrag das System der Subsidiarität, mit der die Zuständigkeit der Gemeinschaft begrenzt wird: Das Subsidiaritätsprinzip besagt, dass die übergeordnete Ebene (Gemeinschaft) nur dann tätig werden darf, wenn die untergeordnete Ebene (Mitgliedstaat) nicht tätig wird oder werden kann. Die Verlagerung von Handlungskompetenzen auf EU-Ebene ist oft erforderlich, da viele Ziele in Gemeinschaft besser gelöst werden können als dies für einen Mitgliedsstaat alleine möglich wäre. Insofern kann man vielmehr von einem Souveränitätsgewinn für die Nationalstaaten sprechen. Als Beispiel hierfür ist die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise zu nennen, die aufgrund ihrer internationalen Verflechtung überhaupt nur gemeinschaftlich gelöst werden kann.

Indem die Übertragung der Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaft eindeutig durch den Vertrag festgelegt wird, findet aus völkerrechtlicher Perspektive kein Souveränitäts-verlust einzelner Mitgliedsstaaten statt. Alle Mitgliedsstaaten "teilen" höchstens ihre Souveränität, die Souveränität jedes einzelnen Mitgliedsstaates der EU bleibt aber gleich.

2. Weiterhin werden mit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags den nationalen Parlamenten grundsätzlich neue Rechte, Aufgaben und damit auch mehr Verantwortung übertragen. Konkret bedeutet dies für Deutschland, dass Bundestag und Bundesrat erstmalig direkte Mitwirkungsrechte gegenüber den Organen der Europäischen Union bei der Subsidiaritätskontrolle sowie bei institutionellen Entscheidungen erhalten. So können Bundestag und Bundesrat zukünftig Gesetzesentwürfe zurückschicken, die besser auf nationaler Ebene geregelt werden sollten oder Vorschläge zur Änderung der Verträge einbringen. Grundsätzlich geht mit der Stärkung der nationalen Parlamente daher auch eine Stärkung des Nationalstaates innerhalb des Gefüges der EU einher, da sich dieser über seine politischen Organe stärker an dem europäischen Entscheidungsprozess beteiligt.

Das Bundesverfassungsgericht legt nach dem Urteil vom 30. Juni 2009 auf die Stärkung der nationalen Parlamente besonderen Wert: Für die Bundesrepublik Deutschland ergibt sich aus der Präambel des Grundgesetzes und aus Artikel 23 GG heraus der "Verfassungsauftrag zur Verwirklichung eines vereinten Europas", welcher eindeutig unter Mitwirkung von Bundestag und Bundesrat erfolgen soll. Dies wird in dem so genannten Begleitgesetz festgehalten. Das Begleitgesetz regelt die Beteiligung des Parlaments und der Länder beim Erlass europäischer Vorschriften. Mit der Urteilsverkündung zum Lissabon-Vertrag hat das Bundesverfassungsgericht dem Bundestag den Auftrag erteilt, das Begleitgesetz fortzuentwickeln, um die Mitwirkungsrechte von Bundesrat und Bundestag noch mehr zu stärken. Dies beweist, dass strengstens darauf geachtet wird, dass Deutschlands Souveränität nicht gefährdet wird. Das überarbeitete Begleitgesetz wird voraussichtlich am 8. September vom Bundestag verabschiedet. Erst dann kann die Ratifizierungsurkunde durch Bundespräsident Horst Köhler hinterlegt werden.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts stellt außerdem klar, dass es keinen Europäischen Bundesstaat geben wird. Um einen Europäischen Bundesstaat verwirklichen zu können, müsste sich das deutsche Volk vom Grundgesetz lösen und eine neue Verfassung schreiben. Dies würde in der Tat gegen die vom Grundgesetz zugesicherte "souveräne Staatlichkeit der Bundesrepublik" verstoßen. Auch hier beweist die Urteilsverkündung zum Lissabon-Vertrag, dass das Bundesverfassungsgericht genau darüber wacht, dass das demokratische System Deutschlands nicht durch den europäischen Einigungsprozess ausgehöhlt wird: Daher sieht es mit seinem Urteil auch von der Definition der EU als einem Europäischen Bundesstaat ab. Rein definitorisch bleibt die EU weiterhin eine supranationale Institution, d.h. ein Zusammenschluss einzelner souveräner Staaten. Allein schon per Definition ist die Souveränität der Nationalstaaten innerhalb der EU damit nicht gefährdet.

Zusammengefasst wird durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, durch das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung sowie das Subsidiaritätsprinzip der deutsche Nationalstaat innerhalb der EU gestärkt.

3. Auch geht der Lissabon-Vertrag, der das Ziel hat, die EU demokratischer, effizienter und transparenter zu machen, mit grundsätzlichen Verbesserungen einher, die sich mittelbar positiv auf die Stärkung des Nationalstaates auswirken. Einige der Neuerungen fördern gezielt die direkte Demokratie: Zum einen durch das Europäische Bürgerbegehren nach Art. 11 EUV, das die Beteiligung der Bürger bei der Mitbestimmung politischer Anliegen fördert. Bei Vorliegen von über mehr als 1 Millionen Unterschriften muss die Europäische Kommission das vorgeschlagene Vorhaben einbringen. Dadurch gewinnt sogar der einzelne Staatsbürger an Souveränität. Zum anderen erhalten die EU-Bürger durch die Stärkung des Europäischen Parlaments mehr Entscheidungsmacht. Mit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags ist das Europäische Parlament an der Entscheidung von 95% der Gesetze beteiligt. Insofern werden die Bürger über ihren direkt gewählten Vertreter mehr Einfluss auf die Gesetze gewinnen. Indem die Nationalstaaten nun mehr Einfluss auf den europäischen Einigungsprozess gewinnen, geht damit wieder eine Stärkung des Nationalstaats einher.

An dieser Stelle seien die aussagekräftigsten Argumente genannt. Abschließend möchte ich noch einmal betonen, dass der Lissabon-Vertrag für die Nationalstaaten innerhalb der Europäischen Union vielmehr ein Souveränitätsgewinn bedeutet.

Ich hoffe, dass ich Ihnen mit meiner Antwort weiterhelfen und Ihre Zweifel beseitigen konnte!

Ihr Dr. Martin Schwanholz