Frage an Melih Günaydin bezüglich Raumordnung, Bau- und Wohnungswesen

Melih Günaydin
DIE LINKE
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Frage von Friedrich H. •

Frage an Melih Günaydin von Friedrich H. bezüglich Raumordnung, Bau- und Wohnungswesen

1. Wie stehen Sie zu Stuttgart 21?
2. Wie sehen Sie die Stadtentwicklungen?
3. Wie verhalten Sie sich gegenüber TTIP -CETA ?
4. Wie beurteilen Sie das Verhalten der BRD zu den Konflikten Ukraine(Russland) und Syrien?
5. Wie beurteilen Sie den Einsatz und Bewilligung von Glyphosat ?
6. Wie stehen Sie zum dringend notwendigen Naturschutz??

Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Hr. H.,

vielen Dank für Ihre Fragen. Ich hoffe, dass meine Antworten auch tatsächlich auf das abzielen, was Sie hören wollen, und sie für Sie zufriedenstellend sind. Wenn nicht oder falls sie noch Nachfragen haben sollten, dann schreiben Sie gerne noch einmal.

Mit freundlichen Grüßen
Melih Günaydin

1. Wie stehen Sie zu Stuttgart21?

Das Projekt Stuttgart21 lehne ich – wie meine gesamte Partei – entschieden ab. Ich bin kein Gegner von Fortschritt und Technik, wie die Befürworter von Stuttgart21 allen Skeptikern gerne vorwerfen, aber Fortschritt und Technik und damit auch innovative Bauprojekte müssen den Menschen dienen und ihnen nützlich sein. Bei Stuttgart21 kann hiervon gar keine Rede sein, vielmehr handelt es sich hierbei um ein teures und im Wesentlichen unsinniges Prestigeobjekt, das nichts anderes ist als eine gigantische Subvention für einige Baufirmen. Durch Stuttgart21 werden völlig falsche Akzente in der Verkehrs- und Infrastrukturpolitik gesetzt und mehrere Milliarden Euro für ein Projekt verschleudert, die an anderer Stelle dringend gebraucht würden.

Anstelle von Stuttgart21 brauchen wir im Bereich der Verkehrs- und Infrastrukturpolitik:

a). flächendeckender Ausbau des ÖPNV und vollständige Elektrifizierung der Eisenbahnlinien

b). Strukturförderprogramm für den ländlichen Raum, dies beinhaltet vor allem: Erhalt von ortsnahen Krankenhäusern und Pflegeheimen, Inbetriebnahme stillgelegter Bahnlinien, flächendecke Internet-Breitband-Versorgung und Schaffung von Senioren-Wohnungen

c). Wohnungsbauprogramm in den Großstädten: Bau von neuen staatlichen Wohnungen, Re- Kommunalisierung aller privatisierten Wohnungen, Senkung der Mieten in öffentlichen Wohnungen und somit Absenkung des Mietspiegels insgesamt Die kriminelle Mappus-Regierung wurde 2011 unter anderen wegen ihrer rücksichtslosen und ausufernden Stuttgart21-Politik aus dem Amt gejagt und durch eine grün-rote Regierung abgelöst, von der sich viele Menschen einen grundlegen Politikwechsel erhofft haben. Umso enttäuschender ist, dass dieser Wechsel ausgeblieben ist – auch beim Thema Stuttgart21. Ich bin der Meinung: Ziehen wir die Notbremse und verabschieden wir uns aus dem Projekt, bevor die Kosten immer noch weiter steigen. Für die bereits entstandenen Kosten sollen die aufkommen, die sie veranlasst haben! Ich sehe überhaupt nicht ein, warum ein Staat seinen politischen Gestaltungsspielraum irgendwelchen Verträgen mit privaten Baufirmen unterordnen sollte, die von irgendeiner Regierung einmal geschlossen wurden und deshalb bis auf alle Ewigkeit gelten sollen – zumal ebenjene Baufirmen durch Lug und Trug viel niedrigere Kosten vorgetäuscht haben, als nun tatsächlich zum Tragen kommen.

2. Wie sehen Sie die Stadtentwicklungen?

Die Entwicklungen der Städte in den letzten Jahren waren gekennzeichnet durch das Phänomen der Gentrifizierung (von engl. gentrification). Dies umfasst steigende Mieten (in einigen Städten, wie z.B. Berlin, durchschnittlich im dreistelligen Prozentbereich!), eine Verknappung des Wohnraums, Verdrängung weiter Teile der Bevölkerung aus den Stadtzentren in die Randbezirke. Befördert – und ich sage: bewusst gefördert! – wurden diese Entwicklung durch eine menschenfeindliche Wohnungspolitik im Interesse des Großkapitals, das seit der Finanzkrise von 2008 nicht mehr weiß, wohin mit seinem Geld (klassische Kapitalverwertungskrise). Wohin diese Entwicklung führt, ist am Beispiel von Städten wie etwa London zu beobachten, wo die Gentrifizierung nahezu abgeschlossen und Wohnen zum Luxus geworden ist. Diese Entwicklungen müssen rückgängig gemacht werden, wenn wir verhindern wollen, dass Städte in naher Zukunft für normale Menschen völlig unbezahlbar und damit unbewohnbar werden. Auch Grün-Rot hat in den letzten fünf Jahren bei diesem Thema sträflich versagt und die Politik des Nichts-Tun und Wegschauens fortgeführt. Das Gleiche gilt für die grünen Stadtregierungen in Stuttgart, Freiburg und Tübingen – mit der Folge, dass auch die Städte in Baden-Württemberg schier unbezahlbar geworden sind. Wir brauchen daher, um diese Entwicklung rückgängig zu machen:

- eine echte Mietpreisbremse, die den Namen wirklich verdient und die nicht nur Mieterhöhungen minimal beschränkt, sondern die völlig kranke Entwicklung der letzten Jahren rückgängig macht und die Mieten damit stückweise wieder auf das Niveau von vor 2008 senkt;

- Investitionen in den öffentlichen Wohnungsbau, d.h. Schaffung von öffentlichen und bezahlbaren Wohnungen; vor allem in den Großstädten ist dies notwendig, aber auch im ländlichen Raum führt der eklatante Mangel an Wohnungen, vor allem Ein-Zimmer- Wohnungen, dazu, dass immer mehr junge Menschen dazu genötigt werden, nach Abschluss der Schule in die Städte zu ziehen; ich kritisiere individuelle Entscheidungen keineswegs, aber ich möchte echte Wahlfreiheit und jungen Menschen, die nicht unbedingt weit weg ziehen wollen, ihren Wunsch ebenfalls ermöglichen;

- Re-Kommunalisierung der in den letzten Jahren privatisierten Wohnungen –
und zwar zu den Preisen, zu denen man sie damals verkauft hat und nicht zu den absurd
hohen Preisen von heute;

- in den Universitätsstädten: Schaffung von 10.000 neuen Wohnheimplätzen für Studierende, um jungen Menschen den Start in die Selbstständigkeit zu erleichtern und den Wohnungsmarkt insgesamt etwas zu entlasten; geleistet werden kann dies durch Ausstattung der Studierendenwerke mit ausreichenden Finanzmittel, die an diesen Zweck gebunden sein sollen. (Ich hoffe, dies beantwortet Ihre Frage. Falls Sie auf etwas anderes hinauswollten, fragen Sie bitte erneut nach.)

3. Wie verhalten Sie sich gegenüber TTIP und CETA?

Ich lehne die geplanten Freihandelsabkommen TTIP und CETA ab – ohne Wenn und Aber. Der sog. Freihandel, der seit dem Aufstieg des Neoliberalismus in 1980er Jahren bei den Herrschenden populär geworden ist, hat mit freiem und gleichberechtigtem Handel von Staaten auf Augenhöhe und im Interesse der Bevölkerungen nicht das Geringste zu tun, sondern ist verantwortlich für die Absenkung von Sozialstandards, für die Beschränkung des politischen Handlungsspielraums, für die Unterordnung der kleinen und wirtschaftsschwachen Staaten unter die mächtigen, für ökologische Zerstörung, für Privatisierung, für Verschleuderung von öffentlichem Eigentum, kurz: für nahezu alles, gegen das ich als Sozialist kämpfe. Die Tatsache, dass der genaue Text des Vertragswerkes immer noch nicht bekannt ist, deutet auf zweierlei hin: Erstens auf die immense Gefahr, die davon ausgeht (ansonsten könnte man den Text ja offenlegen), zweitens auf die himmelschreiende Arroganz und Selbstgefälligkeit der herrschenden Politik. CDU, CSU und SPD halten es nicht für nötig, hier die Notbremse zu ziehen, sondern stehen weiterhin hinter den Freihandelsabkommen – SPD-Chef Gabriel hat das mehrfach deutlich gemacht und sich gegen den Willen der Bevölkerung gestellt. Ich empfehle Ihnen unbedingt, sich die Abstimmungsergebnisse der deutschen Abgeordneten im Europäischen Parlament anzuschauen! Auf die genauen Folgen der Abkommen muss ich im Einzelnen nicht eingehen, da ich davon ausgehe, dass Sie darüber Bescheid wissen. Falls nicht, dürfen Sie gerne noch einmal nachfragen. Alternativ empfehle ich Ihnen das Informationsmaterial der LINKEN oder unserer parteinahen Rosa-Luxemburg- Stiftung oder die Homepage der Linksfraktion im Bundestag und im Europäischen Parlament.

4. Wie beurteilen Sie das Verhalten der BRD zu den Konflikten Ukraine (Russland) und Syrien?

Die BRD als Teil des NATO-Bündnisses ist nicht etwa einer Außenpolitik verpflichtet, die sich in erster Linie an Frieden, Fortschritt, Wohlstand und gleichberechtigter Entwicklung aller Staaten und Völker orientiert, sondern die auf die Erweiterung ihrer Einflusssphären und auf die Beseitigung ihr unangenehmer Regierungen ausgerichtet ist. Um die eigenen Interessen durchzusetzen, nutzt die BRD verschiedene Mittel: vor allem die Gewähr von Finanzmittel gegen drakonische Sparauflagen (wie in Griechenland, auf dem Balkan und – seit dem Putsch von vor etwa Jahren – in der Ukraine), durch die finanzielle und militärische Unterstützung gewaltsamer Aufstände von ihr wohlgesonnenen Truppen oder im äußersten Fall natürlich auch durch Militäreinsätze (Afghanistan, Mali, Syrien etc.). Entgegen weitverbreiteter Behauptungen ist dies auch in der Ukraine und Syrien der Fall. Hier geht es nicht, wie die Bundesregierung behauptet, um „Diktatur“ gegen „Demokratie“, sondern darum, die unangenehmen Regierungen Russlands und Syriens, die zugegebenermaßen beide brutal und rücksichtslos gegen die eigene Bevölkerung vorgehen und alles andere als unterstützungswürdig sind, loszuwerden oder einzudämmen und durch andere Regierungen zu ersetzen, die die Interessen des Westens, ohne zu zögern, umsetzen. In der Ukraine ist dies 2014 gelungen – im Osten der Ukraine erhoben sich daraufhin eine Reihe von Rebellen, die ich an dieser Stelle gar nicht schönreden oder als Freiheitskämpfer stilisieren will, aber die Feststellung, dass diese sich dem Diktat des Westens und der neuen ukrainischen Regierung nicht beugen wollen, ist angebracht und richtig. In Syrien wird Ähnliches versucht. 2011 kam es in Syrien wie in der ganzen arabischen Welt zu großen Volksaufständen, mit denen man sich 2011 solidarisieren musste! Jedoch: Der Widerstand gegen den Diktator Assad, der dort seit Anfang der 2000er Jahre regiert und einen engen Kontakt zu Russland und dem Iran pflegt, bestand nicht nur aus wirklich progressiven und linken Oppositionskräften, sondern zum Großteil aus Rebellen, die vom Westen und den Golf-Monarchien hochgerüstet und finanziert werden und Assad durch ein pro-westliches System ablösen sollen. Dabei ist es freilich egal, ob dieses System nachher islamisch-fundamentalistisch ist oder nicht: Hauptsache es agiert, wie die Goldmonarchien mit ihrem barbarischen politischen System, im Sinne des Westens. Der perverseste Auswuchs dieser Politik ist der sog. Islamische Staat, der inzwischen unkontrollierbar geworden ist. In beiden Fällen, vor allem aber in Syrien, handelt es sich um hochkomplexe und bedeutende Konflikte mit unterschiedlichen Konfliktparteien, die ich hier nicht in allen Einzelheiten ausführen, aber bei Bedarf gerne aus Literatur und Informationsmaterial verweisen kann. Mir ist es wichtig, klarzumachen, dass es nicht nur „die Amerikaner“ sind, die imperialistische Politik betreiben und die Destabilisierung ganzer Regionen vorantreiben. Für Deutschland und die anderen Staaten der EU gilt dies in gleichem Maße, sie sind lediglich die schwächeren Imperialisten. Insofern halte ich auch den Ruf nach einer eigenständigen europäischen Außenpolitik für falsch: Eine solche Politik wäre genauso rücksichtslos und interessengeleitet wie die derzeitige Politik der NATO.

- Beendigung aller deutschen Militäreinsätze im Ausland, namentlich in
Afghanistan, Mali und Syrien;

- Auflösung des westlichen imperialistischen Militärbündnisses NATO;

- Stopp aller deutschen Waffenexporte;

- Rücknahme aller Waffenherstellungslizenzen, die deutsche Firmen wie
Heckler und Koch an einzelne Werke in der Golfregion verliehen haben;

- keine Unterstützung für die sog. Rebellen in der Ukraine oder für die ukrainische Regierung, die u.a. aus Faschisten besteht;

- in der Ukraine: nationales Selbstbestimmungsrecht für die Ostukraine: die Bevölkerung soll per Referendum selbst entscheiden, ob sie Teil der Ukraine oder unabhängig oder Teil Russlands sein möchte;

- in Syrien: keine Unterstützung für die Freie Syrische Armee (FSA), Al Nusra (Al Qaida) und andere von den imperialistischen NATO- und Golfstaaten finanzierten „Rebellen“; bezeichnet sie als das, was sie sind: als Bodentruppen der Imperialisten, finanziert durch das Geld der Golf-Staaten und ausgerüstet mit deutschen Waffen;

- gleichzeitig: keine politische Solidarität mit Putin, Assad und anderen Bonapartisten; wir müssen diese Schlächter nicht schönreden oder verharmlosen, um unsere entschiedene Ablehnung der westlichen Politik auszudrücken

- Solidarität mit dem unvereinnahmten Widerstand der russischen, syrischen, ukrainischen Arbeiterklasse gegen Ausbeutung und Unterdrückung

5. Wie beurteilen Sie den Einsatz und Bewilligung von Glyphosat?

Glyphosat ist derzeit das meistgenutzte Herbizid auf der Welt und mit weitreichenden gesundheitlichen Risiken für den Menschen verbunden. Meiner Meinung nach muss nach gesundheitsunbedenklichen Stoffen geforscht werden. Sofern solche existieren, müssen auch Konzerne gezwungen werden, auf solche Stoffe umzusteigen, selbst wenn dies mit einem finanziellen Mehraufwand verbunden ist – die Gesundheit der Menschen hat Vorrang. Bitte verzeihen Sie, dass an dieser Stelle meine Kenntnisse im Bereich der Herbizide aufhören und ich es bei dieser allgemeinen Aussage belassen muss, dafür haben Sie sicherlich Verständnis. Ich würde mich aber freuen, wenn Sie mich über alternative Methoden aufklären würden, sofern Sie sich in diesem Bereich gut auskennen! Grundsätzlich gilt für mich: Gesundheitsschutz darf den Interessen des Kapitals nicht untergeordnet werden. Wer sich zu einem solchen Bekenntnis nicht aufraffen kann oder fadenscheinige Ausflüchte sucht, beweist, auf welcher Seite er steht und welche Interessen er wirklich vertritt. Die Linke ist bekanntlich kein Freund des Großkapitals und von internationalen Konzernen und hat deshalb auch keine Probleme damit, sich deutlich gegen deren Interessen zu positionieren.

6. Wie stehen Sie zum dringend notwendigen Naturschutz?

Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen im Interesse der Menschen ist eine elementare Aufgabe der Politik. Auch hier gilt Ähnliches, wie ich bereits weiter oben gesagt habe: Eine solche Politik zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, die einer sparsamen und nachhaltigen Verwendung von Ressourcen und der engagierten Eindämmung der globalen Erderwärmung verpflichtet ist, ist nicht im Interessen des Kapitals und wird daher im kapitalistischen System niemals vollständig zur Geltung gebracht. Umweltschutz und Klimaschutz verlangen nach einem anderen Wirtschaftssystem, in dem nicht mehr die Anarchie der Warenproduktion und die Steigerung des Profits, sondern eine geplante und nachhaltige Entwicklung im Interesse der Menschen die Produktion bestimmen und in denen nicht länger einige wenige über den Reichtum und die Produktionsmittel verfügen, sondern diese der ganzen Gesellschaft zur Verfügung gestellt werden. Dafür setze ich mich mit meiner ganzen Kraft ein.