Frage an Niels Annen bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Niels Annen
SPD
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Frage von Erich H. •

Frage an Niels Annen von Erich H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Werter Herr Nannen,

früher haben wir gelernt mit gutem Beispiel voranzugehen. Das heisst, wer andere in den Krieg schickt, sollte sich selbst freiwillig melden.
Warum gehen Sie nicht mit gutem Beispiel voran?
In der Internationalen Konvention über grundlegende Menschenrechte steht sinngemäss:" Jedes Land hat das Recht, selbst zu entscheiden in welcher Ordnung es leben will."
ES GIBT KEINEN INTERNATIONAL GESUCHTEN AFGHANISCHEN TERRORISTEN. Woher nimmt sich die SPD das Recht, mit Truppen in dieses Land zu gehen?
Legt Ihre Partei die Konventionen so aus, wie sie es braucht?

Mit freundlichen Grüßen

E. Humplik

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SPD

Sehr geehrter Herr Humplik,

zunächst zu Ihrer Frage "woher nimmt sich die SPD das Recht, mit Truppen in dieses Land zu gehen?"

Es waren Vertreter des afghanischen Volkes, die die internationale Gemeinschaft um den Einsatz von Militär in Afghanistan gebeten haben. Und es ist die absolute Mehrheit der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die weit über die Bundestagsfraktion der SPD hinaus, Jahr für Jahr die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes unter dem ISAF-Mandat beschließt.

Zum Hintergrund: Die Unterzeichner der Bonner Vereinbarung haben als Repräsentanten des afghanischen Volkes im Dezember 2001 den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ersucht, die Aufstellung einer Internationalen Sicherheitstruppe zu autorisieren, die vornehmlich zur Aufrechterhaltung der Sicherheit in Kabul und Umgebung beitragen sollte. Diese Sicherheit wurde und wird nicht nur für den zivilen Wiederaufbau als unerlässlich erachtet, sondern auch für den damit einhergehenden politischen Prozess. Auf der Basis dieser Vereinbarung ermöglichte der UN-Sicherheitsrat ein UN-Mandat namens ISAF (International Security Assistance Force) für die zu entsendenden Soldaten. Auf dieser Basis beschloss der Deutsche Bundestag am 21.12.2001 den Antrag der Bundesregierung "Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1383 (2001) und 1378 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen". Der Einsatz wurde seitdem regelmäßig verlängert, da angesichts der schlechten Sicherheitssituation die Konsolidierung und der Wiederaufbau des Landes noch immer nicht so weit vorangeschritten sind, als dass der afghanische Staat sie allein gewährleisten könnte. Das aktuelle ISAF-Mandat für den Einsatz von Bundeswehrsoldaten in Afghanistan läuft bis zum 13 Oktober 2008.

Ich habe mir die Zustimmung zur Verlängerung der Mandate nicht leicht gemacht, sondern habe mir im vergangenen Jahr selbst ein Bild von der Lage in Afghanistan gemacht. Eine Woche lang habe ich in Kabul Gespräche mit afghanischen Politikern, zivilgesellschaftlichen Aktivisten, Menschenrechtlern, aber auch mit Bundeswehrsoldaten und deutschen Polizeiausbildern geführt. Dasselbe habe ich auch in diesem Jahr vor, um die Entwicklung der Sicherheitslage besser beurteilen zu können.

Bezüglich Ihrer Anmerkung zum Terrorismus in Afghanistan werden Sie mir angesichts der Meldungen über das jüngste Terrorattentat auf die indische Botschaft in Kabul, das über 40 Tote und über 200 Verletzte zur Folge hatte, vielleicht zustimmen, dass Terrorismus in Afghanistan durchaus ein Problem darstellt.

Die Einflusssphäre der Neo-Taliban ist im vergangenen Jahr deutlich größer geworden. Gewaltandrohung, Schutzgeldeintreibung, Zahlungen an arbeitslose junge Männer, gering entlohnte Verwaltungsangestellte oder Polizisten gehören zu den gängigen Methoden. Die Neo-Taliban machen es sich zunutze, dass sich infolge der steigenden Zahl ziviler Opfer durch internationale Militärschläge immer mehr Menschen enttäuscht und auch schutzlos von der neuen staatlichen Ordnung abwenden. Neo-Taliban, oppositionelle militante Kräfte und Drogenbarone bilden aber eine heterogene Interessenallianz, die keineswegs die gleichen ideologischen Vorstellungen teilt, sie ist sich jedoch einig im Hinblick die Schwächung der afghanischen Zentralregierung ist.

Die militärische Bekämpfung der Taliban und anderer oppositioneller militanter Kräfte wird ohne eine umfassende politische Initiative nicht gelingen. Das Hauptaugenmerk muss auf der Entwicklung eines demokratisch legitimierten und handlungsfähigen Staatswesens liegen, das in der Lage ist, die Lebensbedingungen der Bevölkerung zu verbessern und die Stabilisierung des Landes nachhaltig zu gewährleisten. Zu Beginn lag der Fokus überwiegend auf der institutionellen Stärkung der Zentralregierung in Kabul, die Provinzen sind lange Zeit vernachlässigt worden. Über den Erfolg der ISAF-Mission wird letztlich entscheiden, ob es Deutschland und der internationalen Gemeinschaft gelingt, zu einer positiven Entwicklung in ganz Afghanistan beizutragen und dies auch glaubhaft zu vermitteln.

Deutschland und die internationale Gemeinschaft setzen sich dafür ein, dass Afghanistan nicht wieder zum sicheren Hafen für Terroristen wird. Auch wollen wir durch unser Engagement erreichen, dass sich dem Land nach mehr als 20 Jahren Krieg und Bürgerkrieg eine eigene, friedliche Perspektive bietet. Wir verschließen aber auch nicht die Augen vor Fehlentwicklungen oder Tendenzen, die wir für problematisch halten. Wir sehen es als unsere Aufgabe an, den Ursachen hierfür nachzugehen und die aus unserer Sicht notwendigen Maßnahmen zu benennen und weiter zu verfolgen.

Vor allem aber setzen wir uns für den Wiederaufbau des afghanischen Staates und der afghanischen Gesellschaft als internationale Gemeinschaftsanstrengung ein. Der Staatsaufbau in Afghanistan ist eine große Gemeinschaftsaufgabe. Deutschland steht nicht allein in der Verantwortung. Grundlage bildet der Afghanistan Compact vom 31. Januar 2006. Dieser umfaßt sowohl die Sicherheitssektorreform als auch den Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. Der deutsche Beitrag zum zivilen Aufbau umfasst vor allem Vorhaben in den Bereichen Infrastruktur, Wirtschaftsförderung und Grundbildung, u. a. die Versorgung mit Strom aus nachhaltigen Energien, Neuvorhaben im Bereich der Verkehrsinfrastruktur, die Förderung des Wirtschaftslebens, die Unterstützung des afghanischen Mittelstands im Norden und im Nordosten. Außerdem engagiert sich Deutschland für den Aufbau einer Mikrofinanzbank, den Bau von Lehrerausbildungszentren und Schulen, Ausbildung von Lehrern, insbesondere Lehrerinnen für (Mädchen-)Schulen, Hochschulzusammenarbeit und Sekundarschulförderung, seit 2007 finanzielle Unterstützung des Nationalen Bildungsplans (NEP). Über diese Schwerpunkte hinaus wird die Arbeit von multilateralen Akteuren, NROen, politischen Stiftungen oder des Zivilen Friedensdienstes unterstützt.

In der Hoffnung, Ihnen meine Sicht auf den Einsatz von Bundeswehrsoldaten in Afghanistan etwas verdeutlicht zu haben, verbleibe ich mit freundlichen Grüßen,

Niels Annen

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