Frage an Nina Scheer bezüglich Gesundheit

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Nina Scheer
SPD
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Frage von Dirk G. •

Frage an Nina Scheer von Dirk G. bezüglich Gesundheit

Sehr geehrte Frau Scheer,

am morgigen Freitag, den 06.11.2020, soll über den Entwurf eines "Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung ....." im Bundestag beraten werden.
Mit diesem Gesetz werden weitreichende Grundrechtseinschränkungen unter dem Deckmantel eines "Gesundheitsdiktats" beschlossen.
Sie als Bundestagsabgeordnete aus Schleswig-Holstein haben jetzt die Gelegenheit, sich zu unseren unveräusserlichen Grundrechten zu bekennen und dieses Gesetz zu stimmen! Lassen Sie diesen Gesetzes-Albtraum nicht wahr werden! Ich bitte Sie inständig!
Wie wollen Sie Ihre Zustimmung zu diesen Gesetz vor sich und dem Land rechtfertigen?

Mit freundlichen Grüßen

D. G.

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Gerschau,

vielen Dank für Ihre Nachricht. Für die Verzögerung meiner Antwort angesichts der Vielzahl an Zuschriften bitte ich um Verständnis.

Aufgrund der rasanten Ausbreitung des Virus war der Staat aufgefordert schnell zu handeln, was zunächst insbesondere exekutives Handeln forderte. Das Parlament hat die Entwicklung aber von Beginn an begleitet und bereits im Frühjahr erste gesetzliche Entscheidungen mit Blick auf die Pandemie getroffen.

Durch das nun beschlossene Dritte Bevölkerungsschutzgesetz gibt der Deutsche Bundestag als demokratisches Parlament der Exekutive konkrete Handlungsvorgaben und -grenzen vor. Dies ist Zeichen unserer lebendigen Demokratie, nicht ihrer Abschaffung.
Der Staat ist dem Schutz der Bevölkerung verpflichtet. Diese grundsätzliche Schutzpflicht für menschliches Leben und Gesundheit ist im Grundgesetz in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 festgeschrieben und somit Ausdruck unseres Grundgesetzes.

Das Virus ist nicht nur ein neuartiger Krankheitserreger; er hat sich zu einer gefährlichen Pandemie entwickelt, die mit einer hohen Sterblichkeit und gesundheitlichen Folgeschäden einhergeht. Die ergriffenen Maßnahmen dienen dazu, die Intensivstationen unserer Krankenhäuser und unser gesamtes Gesundheitswesen vor einer Überlastung zu schützen, so dass wir nicht Situationen wie in Italien im Frühjahr oder den USA erleben.

Grundrechte sind ein essenzielles Element unserer Verfassung und unverzichtbarer Bestandteil eines freiheitlichen Rechtsstaats. Sie sind nach dem Grundgesetz aber niemals schrankenlos gewährleistet. Die Freiheit des einzelnen findet ihre Grenzen, wo die Beschränkung der Freiheit des anderen beginnt.
Eben aus diesem Grund ist beispielsweise der Freiheitsentzug durch Gefängnisstrafen ebenso rechtens oder wie etwa in bestimmten Fällen die Durchsuchung privaten Wohnraums, auch wenn dies in die Grundrechte auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 1) und auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13) eingreift.

Es bedarf für grundrechtseinschränkende Maßnahmen laut unserer Verfassung aber immer einer gesetzlichen Grundlage, die ihre Voraussetzungen und Grenzen festschreibt. Nichts anderes gilt auch für Infektionsschutzmaßnahmen, soweit sie grundrechtsrelevante Eingriffe bedeuten.

Die aktuellen Corona-Schutzmaßnahmen, die unserer Gesellschaft und jedem Einzelnen viel abverlangen, werden grundsätzlich nicht vom Bundesgesundheitsminister oder der Bundesregierung erlassen. Das liegt in der Verantwortung der Bundesländer.
Mit dem Dritten Bevölkerungsschutzgesetz macht der Bundestag der Exekutive hierfür nun noch konkretere Vorgaben, indem er eine besser ausgestaltete Rechtsgrundlage schafft.
Hierzu gehört, dass allein der Deutsche Bundestag – und nicht etwa die Bundesregierung oder die Regierungen der Länder – festzustellen hat, ob überhaupt eine Pandemie-Situation vorliegt. Tut er dies nicht oder hebt er seine Feststellung wieder auf, ist die Exekutive nicht befugt, Corona-Beschränkungen oder andere Schutzmaßnahmen zu veranlassen.
Darüber hinaus wurden mit dem neuen Gesetz konkrete Vorgaben gemacht, wann und wie lange bestimmte Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung des Corona-Virus zulässig sind und dass hierbei stets die sozialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen auf den Einzelnen und die Allgemeinheit einzubeziehen und zu berücksichtigen sind. Maßnahmen, die besonders intensiv in die Grundrechte eingreifen, sind ausdrücklich nur dann zulässig, wenn ohne diese Maßnahmen die Eindämmung des Virus erheblich gefährdet wäre. Das betrifft insbesondere die rechtliche Einschränkung der Versammlungsfreiheit ebenso wie von religiösen und weltanschaulichen Zusammenkünften, private Ausgangsbeschränkungen oder auch die Untersagung des Besuchs von Angehörigen in Alten- und Pflegeheimen.

Eine ebenso erfolgreiche wie rechtsstaatliche Bewältigung der Corona-Pandemie verlangt, dass Maßnahmen zur Eindämmung des Virus und zum Schutz von Menschenleben in jedem Einzelfall sorgfältig mit anderen Grundrechten der Bürgerinnen und Bürger abgewogen werden. Grundrechtssensible Schutzmaßnahmen sind nur dann verfassungsrechtlich legal und ethisch legitim, wenn sie im Einzelfall verhältnismäßig und gesetzlich bestimmt sind. Dies sicherzustellen ist der wesentliche Zweck des nun vom Deutschen Bundestag beschlossenen Dritten Bevölkerungsschutzgesetz.
Das Gesetz konkretisiert die Voraussetzungen für Grundrechtseingriffe und Anforderungen an dieselben. Es bekräftigt damit auch die parlamentarische Gestaltungshoheit und ist damit das Gegenteil von Ansätzen einer Aushöhlung des Rechtsstaates oder gar einer Diktatur.

Mit dem beschlossenen Gesetz, das im Parlamentarischen Verfahren umfangreiche Änderungen erfuhr und in dieser Form wie folgt abrufbar ist https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/GuV/B/BevSchutzG_BT.pdf,
wurden zudem viele begleitende Regelungen getroffen, die der Verlauf der Pandemie einforderte. So wurde richtigerweise ein Anspruch auf Impfung normiert, um beim Zugang zu einem Impfstoff ungerechtfertigte Ungleichbehandlungen auszuschließen. Eine Impfpflicht wurde übrigens nicht eingeführt und war auch nicht vorgesehen. Zudem wurden Rechtsgrundlagen zur Erweiterung von Testkapazitäten geschaffen und Kriterien festgelegt für Ausgleichsansprüche von Krankenhäusern, die Betten für Corona-Kranke freihalten oder auch ein Anspruch auf besondere Schutzmaßnahmen für besonders gefährdete Menschen, um nur einige Beispiele zu nennen.

Ich bitte und appelliere an Sie: überprüfen Sie Ihre Haltung. Die lautesten Stimmen haben nicht zwangsläufig das Recht auf ihrer Seite.

Sollten weitere Klärungsbedarfe bestehen, melden Sie sich gerne.

Mit freundlichen Grüßen

Ihre
Dr. Nina Scheer

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