Frage an Olaf Michael Ostertag bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Olaf Michael Ostertag
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DIE LINKE
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Frage von Oliver M. •

Frage an Olaf Michael Ostertag von Oliver M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Ostertag,

die Wahlen zum Abgeordnetenhaus stehen bevor und Ihre Partei kam bis vor Kurzem für meine Stimmabgabe in die nähere Auswahl. Zu meinem großen Verdruss hat sich Die Linke im Bundestag jedoch kürzlich mit ihrem Positionspapier zum öffentlich-"rechtlichen" Rundfunk einen vollkommen unnötigen Kniefall vor dem Prototyp einer Umverteilungsmaschinerie von unten nach oben (von Niedriglöhnern, Armutsrentnern und nicht-Bafög-berechtigten - z.B. ausländischen - Studenten zu balltretenden Multimillonären, deren korrupten Verbänden, steuerhinterziehenden Fernsehköchen, schwerstverdienenden Intendanten und Moderatoren und den Luxusrentnern von ARD [ca. 1600 EUR/Monat] und ZDF [ca. 2050 EUR/Monat - zusätzlich zur gesetzlichen Rente!] unwählbar gemacht. Das einzige "Kritikchen" im Positionspapier war die ziemlich vage gehaltene Bitte, Einsparpotentiale zu identifizieren und zu nutzen. Was damit gemeint ist, demonstrierte erst neulich der WDR: bei einer Auktion von (beitragsfinanzierten!) Kunstwerken wird insgesamt ein Erlös von ca. 3 Mio. Euro erwartet - gerade genug um die derzeitigen Altersrücklagen des Intendanten (3.1 Mio. Euro) abzudecken.
Die generelle Frage, wieviel öffentlich-rechtlicher Rundfunk in Zeiten des Informationsüberflusses durch zahllose ausländische Medien, Zeitungen und das Internet überhaupt noch notwendig wäre, wird auch von der Linken nicht ansatzweise gestellt. Ebenso spielt die Frage, ob Nichtnutzer der öffentlich-rechtlichen Anstalten oder Menschen, die lediglich über ein Radio verfügen im selben Maße zur Kasse gebeten werden dürfen wie die tatsächlichen Fernsehzuschauer im Positionspapier der Linken keine Rolle. Nun ist Rundfunk ja bekanntlich Ländersache und die bevorstehende Wahl nicht die zum Bundestag sondern zum Abgeordnetenhaus. Deswegen möchte ich Sie bitten, mir zu erläutern welche Reformansätze Sie in Bezug auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und dessen Finanzierungsmodell sehen.

Olaf Michael Ostertag
Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr M.,

vielen Dank für Ihre Frage. Lassen Sie mich zunächst vorausschicken, dass mir die Positionierung unserer „Medienpolitischen Sprecher_innenkonferenz" „Rundfunkbeitrag sozial gestalten - Öffentlich-Rechtliche Sender stärken" vor Ihrer Anfrage nicht bekannt war und ich mich in die Materie erst einarbeiten musste, bevor ich Ihnen eine fach- und sachgerechte Antwort geben konnte.

Das Papier stellt eine Verständigung aller Verantwortlichen unserer Fraktionen im Bundestag und in Landtagen für Medienpolitik dar. Damit wir sicher sind, dass wir vom selben Text reden, hier der direkte Link: http://media.wix.com/ugd/54be0d_c7fce8c09c1d412fa19c47d8539e471a.pdf

Detaillierte Aussagen zu Programmgestaltung, Gehaltsstrukturen und Mittelverwendung sind nicht Inhalt des Papiers. Hier werden vielmehr unsere Position zur Beschränkung der Internetangebote sowie speziell unsere Forderungen zur Erhebung des Rundfunkbeitrages festgehalten. Diese bauen auf unseren früheren Aussagen zum Thema auf, siehe diese kurzen Pressemitteilungen:

http://linksfraktion.de/pressemitteilungen/rundfunkbeitrag-muss-gerecht-gestaltet-werden/

http://linksfraktion.de/pressemitteilungen/rundfunk-alle-allen-braucht-sozialen-ausgleich/

http://linksfraktion.de/interview-der-woche/der-neue-rundfunkbeitrag-ungerecht/

http://linksfraktion.de/pressemitteilungen/senkung-rundfunkbeitrags-derzeit-falsch/

http://linksfraktion.de/pressemitteilungen/rundfunkgebuehr-individueller-berechnen/

Dass wir zu wenig Kritik an der Verwendung der Gebührengelder äußern würden, weise ich zurück. Am 14.02.2013 hat unsere Bundestagsfraktion ein Gutachten zur Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vorgestellt. Sie finden es hier: http://blog.die-linke.de/digitalelinke/wp-content/uploads/Gutachten-Rundfunkbeitrag-Praxis-2013.pdf Darin sind große Vorbehalte und generelle Kritik an den Sendeanstalten aufgeführt. In der Einleitung heißt es: „Allerdings nimmt seit einigen Jahren die Kritik an ARD und ZDF zu. Diese ist nicht nur Ausdruck von durch mächtige Verleger und große Presseorgane auch aus Eigeninteresse betriebener Negativberichterstattung, sondern ebenso von einem die Markenidentität erodierenden Prozess der Selbstkommerzialisierung. Quoten- und Marktanteilsdenken, Schleichwerbung, überteuerte Rechte im Spitzensport, Verdrängung von Kultur und Dokumentation ins Nachtprogramm sind nur einige der damit verbundenen Schlagworte. Die gesellschaftliche Legitimation und Akzeptanz für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sinkt. Immer mehr Menschen beschweren sich über das Programmangebot und entsprechend über den von ihnen zu leistenden Anteil an der Finanzierung des Rundfunks. (…) Der seit dem 1. Januar 2013 geltende neue Rundfunkbeitrag ist nach nicht einmal vier Wochen gesellschaftspolitisch diskreditiert. Beinahe täglich gibt es Meldungen über seine soziale, wirtschaftliche und datenschutzrechtliche Schieflage. Die Sender sehen sich - etwa im Falle der Pflegeheime sowie der Lauben in Kleingärten - gezwungen, die geltende Gesetzesgrundlage auszusetzen. Mehrere Verfassungsklagen sind anhängig, weitere werden erwogen. Landkreise und Kommunen wollen die Zusatzlasten nicht tragen. Einige haben die Beitragszahlung ausgesetzt. Nach und nach wird den Bürgerinnen und Bürgern bewusst, welche Belastungen auf sie zukommen."

Insofern kann ich nicht erkennen, inwieweit wir „kürzlich" unsere Haltung zum Rundfunkbeitrag geändert hätten. Es ist vielmehr eindeutig, dass wir uns strikt gegen die unsoziale Ausgestaltung der Rundfunkbeiträge gewendet haben. Wir lehnen jede Umverteilung von unten nach oben ab.

Sie haben mich aber ebenfalls allgemein nach meiner persönlichen Haltung zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk gefragt, und hier gebe ich Ihnen gerne eine ausführliche, grundsätzliche Antwort.

Ich bin anders als Sie nicht der Auffassung, dass wir heutzutage in einer Gesellschaft des „Informationsüberflusses" leben. Im Überfluss vorhanden ist lediglich sogenannter „content" („Inhalt"), der aber zumeist keinerlei Informationsgehalt aufweist. Harte Fakten sind immer noch selten, und die Selbstproduktion von Nachrichten durch Nutzerinnen und Nutzer ist weit entfernt von ehernen journalistischen Standards.

Es ist außerdem auffallend, dass die ungeheure Zahl an verbreiteten Informationen sich in den allermeisten Fällen letztlich doch auf eine Quelle aus „klassischen" Redaktionen (wozu ich auch Internetportale wie krautreporter.de zählen möchte, ausdrücklich jedoch nicht typische Zweitverwerter wie z.B. die Huffington Post) zurückführen lassen. Das heißt, harte Fakten stehen nicht einfach so zur Verfügung, die massenhafte Duplizierung im Internet ist nach wie vor auf die Recherchearbeit von hauptberuflich Tätigen angewiesen.

Nichts im Internet ist umsonst, auch wenn es oberflächlich betrachtet den Anschein haben mag. Gerade die Kannibalisierung der Printmedien durch ihre eigenen Internetangebote stellt eine Bedrohung für die Weiterexistenz von seriösem Journalismus dar. Ihre Frage berührt damit eine der zentralen Grundlagen für unsere Demokratie. Nicht von ungefähr werden die Medien auch als „die vierte Gewalt" bezeichnet. Deshalb bin ich unbedingt der Auffassung, dass die existierenden journalistischen Strukturen erhalten werden müssen. Der freie Markt hat sich nicht nur als unfähig erwiesen, ein ausreichend vielfältiges Medienangebot zu erzeugen, er ist heute im Gegensatz zu früher leider auch nicht mehr in der Lage, Qualitätsjournalismus zu finanzieren.

Interessanterweise ist dies ein internationales Phänomen. Ich kann Ihnen hierzu den Beitrag aus der Sendung „Last Week Tonight" des US-amerikanischen (privaten Bezahl-)Senders HBO empfehlen. https://www.youtube.com/watch?v=bq2_wSsDwkQ Falls Sie des Englischen mächtig sind, werden Sie feststellen können, dass hier der Beweis angetreten wird, wie wichtig die Fortexistenz professioneller Redaktionen ist.

Es existiert bislang kein dauerhaft tragfähiges Geschäftsmodell, das Online-Redaktionen auskömmlich finanzieren könnte, in einem für aufwendige Recherchen ausreichenden Umfang, so wie es in früheren Zeiten Zeitungen möglich war und heute durch den „Content"-Überfluss (sprich: die unbezahlte Weiterverbreitung von Inhalten) nicht mehr möglich ist. Oft können Redaktionen nur durch dauerhafte Verlustübernahmen aufrechterhalten werden.

Welche Interessen dahinter stehen, wenn solche Verlustübernahmen durch wohlhabende Private (Einzelpersonen oder Unternehmen) durchgeführt werden, wird immer intransparent bleiben. Deshalb bin ich der Auffassung, dass heute ein journalistisches Angebot, das durch die Allgemeinheit finanziert wird, nötiger ist denn je. Ich unterstütze daher grundsätzlich das Modell des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und habe an ihn den Anspruch, höchsten Qualitätsstandards in journalistischer, künstlerischer und arbeitsrechtlicher Hinsicht zu genügen.

Ich bin wie die Parteivorsitzende der LINKEN Katja Kipping der Meinung, dass es nicht nur einen Mindestlohn, sondern auch ein Höchsteinkommen geben sollte. Es ist schon häufiger berichtet worden, dass die Gehälter der Intendanten der beiden ARD-Anstalten WDR und MDR um mehrere 10.000,- EUR über dem der Bundeskanzlerin liegen. Das halte ich für unangemessen. Ebenso sind zahlreiche Gehälter in der Verwaltung der Sender möglicherweise überhöht. Genauso ist aber auch richtig, dass die Bezüge der Kreativen (Autoren, Dokumentaristen, Korrespondenten usw. usf.) viel zu niedrig sind, um attraktive Berufsperspektiven in diesen wichtigsten Kernbereichen des Programms zu eröffnen.

Wussten Sie beispielsweise, dass seit 1983 Sprecherinnen und Sprecher aller ARD-Radioanstalten nicht mehr festangestellt werden dürfen, sondern maximal als sogenannte „feste Freie" beschäftigt werden, die nicht mehr als 99 Einsätze pro Jahr haben dürfen, da sie sich ansonsten in eine Festanstellung einklagen könnten? Wussten Sie, dass Zulieferer von Radiobeiträgen häufig nach Minutensätzen entlohnt werden, die in den letzten Jahrzehnten massiv gesenkt wurden und keine Existenzgrundlage als freier Radiojournalist mehr bieten? Wussten Sie, dass früher übliche Wiederholungshonorare komplett gestrichen wurden und das gesamte kreative Personal der Sender heute unter prekären Bedingungen arbeitet?

Diese Arbeitsbedingungen sähe ich gerne verbessert. Deshalb glaube ich, die Gesamtetats der Rundfunkanstalten sollten im Wesentlichen so bleiben, wie sie sind. Persönlich bin ich auch der Auffassung, dass Fußballübertragungen nicht zur Grundversorgung gehören und die öffentlich-rechtlichen Sender aufhören sollten, bei den Übertragungsrechten mitzubieten. Allerdings sehe ich großen Nachholbedarf bei der Stoffentwicklung fiktionaler Programme (Spielfilme, Serien), und halte insofern zwar Veränderungen für nötig, diese ergeben aber in der Summe kein Einsparpotenzial.

Ebenso teile ich nicht Ihre Auffassung, dass „zahllose ausländische Medien, Zeitungen und das Internet" alleine ausreichend wären, die Öffentlichkeit in Deutschland über das Weltgeschehen zu informieren. Das Korrespondentennetz der ARD ist neben dem der britischen BBC eines der größten der Welt. Informationen aus aller Welt in eigener Sprache zu erhalten, ist ein Vorzug, den sich bei weitem nicht alle Länder leisten können. Ich möchte nicht darauf verzichten.

Die Erhebung eines Rundfunkgebührenbeitrags statt einer Steuerfinanzierung wird mit dem Gebot der Staatsferne begründet. Dieses Gebot wird jedoch eklatant durch die Besetzung der Aufsichtsgremien (Rundfunkräte) verletzt. Hier muss klar eine Veränderung geschehen und die Aufsicht von parteipolitischer Präferenz hin zur fachlich kompetenter Besetzung umgestaltet werden. Eine Affäre wie die Ablösung des ZDF-Chefredakteurs Nikolaus Brender durch Einflussnahme der Bundesregierung muss strukturell unmöglich werden.

Und hier liegt auch der eigentliche Grund dafür, dass eine Umstellung der Finanzierung der Sendeanstalten auf Steuerfinanzierung nicht sinnvoll ist. Die Verteilung des Steueraufkommens zwischen Bund, Ländern und Kommunen ist Gegenstand ständiger politischer Auseinandersetzungen. Das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren einschlägigen Urteilen festgestellt, dass die Freiheit der Berichterstattung durch den Rundfunk unzulässig eingeschränkt wäre, wenn die Finanzierung der Sendeanstalten aus den allgemeinen Haushalten erfolgen würde.

Die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks soll auch dadurch sichergestellt werden, dass seine Finanzierung weitgehend aus dem politischen Streit herausgehalten wird. Aus meiner Sicht ist dafür eine parteipolitisch nicht beeinflussbare, nach rein fachlichen Kriterien zusammengesetzte Kommission zur Ermittlung des Finanzierungsbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) eine zentrale Voraussetzung. Auch hier besteht Verbesserungsbedarf (siehe oben, Rundfunkräte). Die Einflussmöglichkeiten der Parteien und Regierungen auf die Sendeanstalten sind auch ohne deren direkte finanzielle Abhängigkeit viel zu groß. Reformen müssen daher darauf abzielen, die Sendeanstalten von den staatlichen Stellen zu entflechten, statt sie noch enger aneinander zu binden, wie es bei einer Steuerfinanzierung der Fall wäre.

Sie haben natürlich Recht, wenn Sie die Erhebung von Rundfunkbeiträgen von Niedriglöhnern und nicht BAFöG-berechtigten Studenten abgeschafft sehen möchten. Da bin ich ganz bei Ihnen. So ist auch die Aufzählung unserer medienpolitischen Sprecher_innen zu verstehen: „Eine Befreiung vom Rundfunkbeitrag muss aus sozialen Gründen auch für Menschen mit niedrigem Einkommen wie z.B. Rentnerinnen und Rentner, Studierende oder Geringverdienende möglich sein." DIE LINKE ist generell dafür, dass die finanzielle Belastung der Bürgerinnen und Bürger durch Steuern und Abgaben viel stärker als heute ihrer tatsächlichen Einkommenssituation angepasst werden muss.

„Armutsrentner" (= Empfänger von Grundsicherung im Alter oder bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuchs, §§ 41 bis 46 SGB XII) allerdings werden schon heute auf Antrag von den Gebühren befreit, ebenso wie Menschen mit Behinderungen, Bezieher von Sozialgeld, Arbeitslosengeld II und etlichen weiteren Leistungen.

Ebenso wie unsere medienpolitischen Sprecher_innen möchte ich die Personenkreise, die vom Rundfunkbeitrag befreit werden, ausweiten. Dabei hielte ich eine Faustregel „Wer ein so geringes Einkommen hat, dass er/sie keine Steuern darauf zahlen muss, der/die wird auch vom Rundfunkbeitrag befreit" für sinnvoll. So stelle ich mir eine Reform der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vor.

Mit freundlichen Grüßen

Olaf Michael Ostertag