Frage an Paul Sigloch bezüglich Verkehr

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Paul Sigloch
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Frage von Franziska V. •

Frage an Paul Sigloch von Franziska V. bezüglich Verkehr

Sehr geehrter Herr Sigloch,

Die Umwelt liegt mir sehr am Herzen und ich sehe den Klimawandel als das große Problem unserer Zeit, dem sich die Grünen meinem Empfinden nach nicht mit der nötigen Konsequenz widmen. Daher stieß ich auf die Klimaliste.
Nun meine Frage: wo liegt in der Landespolitik denn überhaupt der "Hebel" der Politik, Klimaschutz zu erzwingen?
Die CO2-Steuer ist bundesgesetzlich geregelt und kann nur dort erhöht werden, der Kohleausstieg kann nur im Bund beschleunigt werden, etc.
Nun war meine Hoffnung, dass das Land ja wenigstens den Straßenbau einstellen könnte. Aber da las ich, dass der Bund nun auch direkt die Autobahnen baut und das Land zwingen kann, Bundesstraßen wie die Dietwegtrasse zu bauen.
Könnte man es landesgesetzlich schaffen wenigstens den Bau bzw die Sanierung von Bundesstraßen zu verbieten oder gibt es Hebel, die Wünsche des Herrn Scheuer schlicht im Land zu ignorieren?

Herzlichst,
Ihre Franziska Veltroni

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Antwort von
Klimaliste

Sehr geehrte Frau Veltroni,

vielen Dank für Ihre Frage. Das ist letztlich die zentrale Frage schlechthin, wenn es darum geht, was wir uns von den kommenden fünf Jahren von der Landespolitik in BW erhoffen können.

Die Bundespolitik hat starke Hebel, aber auch die Landespolitik hat in Deutschland starke Hebel, mit denen sich viel bewegen ließe - wenn denn ein starker Wille da wäre.

Beginnen wir mit der Energiepolitik. In Baden-Württemberg gilt ab dem Jahr 2022 die Pflicht, geeignete Dächer mit Solaranlagen auszustatten. Diese Solarpflicht ist ein ganz starker Hebel. Allerdings gilt diese Solarpflicht - so, wie sie nun beschlossen ist - nur für Neubauten, nicht für Bestandsgebäude. Und auch nicht für Wohngebäude. Diese Einschränkungen sind sicher als Zugeständnisse der Grünen an die Koalitionspartnerin CDU zu lesen (wobei sich natürlich die Frage stellt, was die CDU als Partei davon hat, die Energiewende ohne erkennbaren Nutzen zu verzögern). Aber bei Ihrer Frage ging es ja darum, die Hebel zu benennen. Das Potenzial, auf bereits versiegelten Flächen Solarstrom zu ernten, ist immens. Es ist völlig unverständlich und absolut nicht vermittelbar, warum Wohngebäude von der Solarpflicht ausgenommen wurden, und warum keine verbindliche Regelung zur Nachrüstung von Bestandsgebäuden vorgesehen wurde. Der zweite große Lieferant erneuerbarer Energien ist der Wind. Spricht man Regierungspolitiker:innen in BW darauf an, dass unser Land beim Ausbau der Windkraft nicht voran kommt, wird regelmäßig auf den Bund verwiesen: Seit der Bau neuer Windenergieanlagen bundesweit ausgeschrieben werden muss, ist der Ausbau 2018 bundesweit eingebrochen. Das ist korrekt. Es erklärt allerdings nicht, warum wir in Baden-Württemberg nach sieben Jahren Grün-geführter Landesregierungen bis 2018 nicht schon viel weiter waren. Und die Hürden und Hemmnisse des Bundes gelten ja für alle Bundesländer gleichermaßen. Trotzdem kommen einige CDU-geführte Bundesländer bei der Energiewende besser voran, als das Grün-geführte Baden-Württemberg. Stattdessen werden in BW nach wie vor fünf Kohlekraftwerke betrieben. Das ist nicht zuletzt deshalb bemerkenswert, weil es in diesem Land gar keine Kohlevorkommen gibt. Es muss extra Steinkohle aus Südafrika importiert werden, damit wir unsere Kohlekraftwerke befeuern können. Vier dieser Kraftwerke (Ausnahme: das Großkraftwerk Mannheim) werden von der EnBW betrieben, bei der das Land Baden-Württemberg Mehrheitseigner ist. Diese Mehrheitseignerschaft beim größten Stromkonzern des Landes wiederum ist ein starker landespolitischer Hebel, wenn es um die Entwicklung intelligenter Stromnetze geht. Um die Grundversorgung auch zu Hauptlastzeiten ohne Großkraftwerke zu gewährleisten, ist eine intelligente Steuerung aller flexiblen Stromverbraucher erforderlich. Das Land kann hierfür den rechtlichen Rahmen bereiten und hat über die EnBW sogar gleich die Partnerin zur Hand, mit der sich das umsetzen ließe.

Bei der Verkehrspolitik haben Sie zunächst einmal ebenfalls Recht, dass Autobahnen und Bundesstraßen in der Zuständigkeit des Bundes liegen. Bis Ende 2020 war es allerdings so, dass das Land das komplette Paket - von Planung über Bau bis zum Betrieb - in Auftragsverwaltung für den Bund erledigt hat. Für die Bundesstraßen ist dies auch weiterhin der Fall. Das heißt: Faktisch zuständig sind die Straßenplanungsbehörden an den vier Regierungspräsidien, deren oberster Dienstherr dafür in den vergangenen zehn Jahren der Grüne Verkehrsminister Winfried Hermann war. Hermann hatte damit stets die Möglichkeit, Projekte zu priorisieren, auch andere Projekte in die Liste mit aufzunehmen (z.B. Radschnellwege) - und er kann die Planungs- bzw. Baukapazitäten umverteilen. Damit lag die Hoheit über Planung und Bau von Autobahnen und Bundesstraßen die letzten zehn Jahre über zwar juristisch gesehen beim Bund, faktisch aber in der Hand unseres Grünen Landesverkehrsministers. Er trägt die volle Verantwortung für alle Planungen der letzten zehn Jahre.

Bei der Bauwirtschaft liegt die Hauptzuständigkeit bei den Kommunen und Kreisen. Dort ist oft eine große Bereitschaft vorhanden, in Modellprojekten zu klimaneutralem Bauen, über die Bestimmungen der Bebauungspläne oder über Nahwärmenutzung den Energieverbrauch deutlich zu senken. Oft mangelt es aber an Expertise. Das Land könnte hier eine große Unterstützung sein, alleine, indem es beratend zur Seite steht, lokale Initiativen vernetzt, und überall dort, wo die Kommunen Neuland betreten, die rechtlichen Risiken übernimmt. Darüber hinaus kann das Land über die Landesbauordnung weitere Rahmenbedingungen definieren, etwa bei den zulässigen Baustoffen oder Stellplätzen. Auch eine umfassende Solarpflicht (siehe oben) wäre ein wirksames Instrument zur Energieautarkie der Privathaushalte und damit zur deutlichen Verbesserung unserer CO2-Bilanz.

Das hier ist nur ein grober Abriss der wichtigsten Baustellen für die nächsten fünf Jahre. Und natürlich sind all diese Hebel auch unserer Landespolitik längst bekannt. Es läuft also letztlich auf die Frage hinaus, warum sie in den vergangenen zehn Jahren nicht betätigt wurden, bzw. wie die KlimalisteBW den entscheidenden Beitrag dazu leisten kann, dass diese Hebel (und weitere) in der nächsten Legislaturperiode betätigt werden.

Aber darauf einzugehen sprengt den Rahmen Ihrer Frage. Bei weitergehendem Interesse können Sie dazu natürlich gerne eine neue Frage auf abgeordnetenwatch.de formulieren.

Es grüßt Sie
Paul Sigloch