Frage an Robert Bauer bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Robert Bauer
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Frage von Gabî D. •

Frage an Robert Bauer von Gabî D. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Vielen Dank für die Nennung des Georg-Schramm-Links, der im übrigen in allen Schulen zum Pflichbeitrag werden sollte und hiermit allen Wählern nochmals entschieden ans Herz gelegt werden soll.

Sehr geehrter Herr Bauer,

Sie wurden mehr als drei mal gefragt; sie haben mehr als drei mal geantwortet. Ihr Mikro darf damit wohl offen bleiben...

Wenn man Ihre Partei so aus den Augenwinkeln im Blick behält, dann hat man in den letzten Jahren, trotz der vielen interessanten Positionen gelegentlich einen etwas zerstreuten, eher lose bröckelnden Eindruck gewonnen und nicht wirklich eine tragfähige zielgerichtete Einigkeit hervorstechen sehen. Eigentlich erscheint es mir sowieso eher, als ob Ihre Partei sich für Belange einsetzt, die Parteien in letzter Konsequenz eher überflüssig machen. Wie wollen Sie verhindern, dass eine Stimme für Ihre Partei eine verlorene ist, weil im Falle nennenswerter Wahlergebnisse dann doch innere Konflikte oder fehlender Teamgeist die Piraten zerreißen oder sie nur noch mit sich selbst beschäftigt sind?

Mit der Bitte um Wahrhaftigkeit in den Sätzen,
G. D.

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Antwort von
PIRATEN

Sehr geehrte Frau D.,

danke für Ihre natürlich etwas unbequeme Frage. Die Antwort fällt (leider?) etwas länger aus.

Richtig ist, dass die PIRATEN in den verangenen Jahren unter ihrer eigenen Streitkultur gelitten haben. Dafür gibt es meines Erachtens verschiedene Gründe: Die Partei entwickelte sich zunächst im Netz, weil dort Menschen durch das veraltete Urheberrecht und durch Zensurbestrebungen sowie aufgrund technischen know hows früh sensibilisiert waren für die fortschreitende Kontrolle und Bevormundung durch Regierungen wie z.B. jüngst erneut mit der Vorratsdatenspeicherung. Gleichzeit gab es flache nicht hierarchische Kommunikationsstrukturen in Internetforen etc., so dass das Internet, neben Wissensaustausch und der Möglichkeit, sich zu organisieren, sehr emanzipatorisch wirkte. Es zeigte sich, dass der Wunsch nach Freiheit von Bevormundung und einer modernen sozialen Infrastruktur sich keineswegs auf Zensur im Internet und eine verändertes Urherberrecht beschränkten, so dass die PIRATEN sich zur linksliberalen (oder libertären) progressiven Menschenrechtspartei mit Vollprogramm entwickelten. Daraus ergaben sich Konflikte zwischen den Vertretern der reinen "Kernthemen" und den auf ein Vollprogramm hinarbeitenden. Dieser Konflikt besteht natürlich weiter, aber auch wenn klar ist, dass die PIRATEN hier immer noch einen "Markenkern" haben, ist diese Debatte weitgehend abgeschlossen.

Durch diese Entwicklung verließen die Partei viele, denen sie zu weit nach links driftete oder - im Falle einiger prominenterer Austritte der letzten Zeit - sich die Partei in der Wahrnehmung der Austretenden nicht stark genug mit einigen Themen beschäftigte (Gendergerechtigkeit, Antifaschismus, Partizipation), wobei ich mich dieser Sichtweise nicht anschließen kann. Ein Grund für die hohe Personalfluktuation war sicher auch die Jugend vieler Mitglieder, die noch nicht "das sitzfleisch" älterer Parteimitglieder hatten. Die junge Struktur der Partei wurde ihr also etwas zum Verhängnis.

Dadurch, dass die PIRATEN nun nicht mehr Projektionsfläche für jeden sind, der in der Partei das sieht, was er/sie sehen will, ist die Partei gewissermaßen gesundgeschrumpft. Ein weiteres Problem war die Ablehnung bestehender politischer Strukturen. Die Notwendigkeit, zu mehr Transparenz in der Politik wurde dahingehend fehlinterpretiert, dass man jeden kleinsten internen Entscheidungsprozess nach außen tragen müsse. Auch wurde eine Bezahlugn von Vorständen abgelehnt, um das Entstehen einer von der Basis losgelösten Politikerkaste zu verhindern. (Wie dies in extremer Form in der EU-Kommission aber auch z.B. bei der SPD zu sehen ist.) Dadurch wurden Vorstände überfordert und schnell ausgebrannt. Frustration und Streit fanden so einen fruchtbarne Nährboden. Gefördert wurde dies durch das auch weiterhin zurecht bestehende Credo, dass Politik niederschwellig sein muss.Leider führte dies zur Verteidigung zu niedriger Mitgliedsbeiträge für alle Mitglieder und nicht nur für die Einkommensschwachen. So war nicht genügend Geld für bezahlte Bürokräfte und Buchhalter*innen oder für ein Grundeinkommen für den Bundesvorstand.

Hier muss die Partei erkennen, dass eine Professionalisierung nicht zwingend dazu führen muss, dass einzelne ihre Pfründe verteidigen. Eine Partei mit der Mitgliederzahl einer 2%-Partei und dem Budget einer 0,5%-Partei versuchte nun ein Auftreten zu schaffen, wie es ihren Wahlerfolgen entsprach. Dies führte zum Ausbrennen und internen Streit. Auch stellte das Medium twitter hier meines Erachtens ein Problem dar. Auch hier führte eine unreflektierte Überhöhung von Ablehnung einer Politikerkaste und von Transparenz dazu, dass private und politische Accounts nicht klar getrennt wurden, und Streitereien oder Details über das Privatleben öffentlich kommuniziert wurden. Hier hat die Partei deutlich dazu gelernt. Die PIRATEN haben aus diesen Fehlern gelernt. Insofern schaue ich hier hoffnungsvoll in die Zukunft. Die größten Richtungsstreitigkeiten wurden hinter sich gelassen, und zuletzt wurde konzentrierter und nüchterne gearbeitet. Die PIRATEN haben gelernt, Streit nicht so sehr eskalieren zu lassen, wenngleich sie immer noch eine ausgrptägte Debattenkultur haben und auch beahren müssen. Dies harmoniert allerdings nicht mit dem Bedürfnis vieler Bundesbürger*innen nach Ruhe und Ordnung.

Ein anderes Problem ist die mediale Darstellung. Ich will hier nicht Verschwörungstheoretiker*innen oder einer allgemeinen Medienschelte Vorschub leisten, dennoch will ich das Thema in aller Vorsicht ansprechen: Zunächst hochgejubelt als Retter der Politik wurden die PIRATEN später von weiten Teilen der Medienlandschaft mit negativer Presse überzogen. In Berichten über die Medien interessierten selten unsere Inhalte sondern oft nur 2 Fragen: "Wie funktionieren die PIRATEN?" und "Haben die PIRATEN noch eine Chance?"
Aktionen der PIRATEN imzuge des NSA-Abhörskandals blieben oft unerwähnt. Ein Paradebeispiel war z.B. die Freiheit statt Angst-Demo in Berlin, auf der ich hunderte Flaggen von PIRATEN und LINKE sah, und wo nach meinen Schätzungen 12.000-15.000, nach anderen Schätzungen je nach Couleur 10-20 Tausend Demonstrant*innen waren.
Im ZDF heute-Bericht blieb davon ein zwanzigsekündiger clip übrig, in dem erwähnt wurde, dass "mehrere Tausend Demonstranten" am Nachmittag durch Berlin gezogen sein, dass "verschiedene Organisationen und Parteien" dazu aufgerufen hätten und ein Video, in dem in einem Meisterwerk der Schnitttechnik und Kameraführung weder eine Flagge der LINKE noch der PIRATEN zu sehen war. Ich fühlte mich massiv an die alten DDR-Nachrichtensendungen erinnert.

Ein letzter Punkt ist natürlich eine gesamtgesellschaftliche Dynamik. Besonders deutlich bei der letzten Niedersachsenwahl war das Problem, dass die PIRATEN relativ früh erkennbar nicht die 5%-Hürde schaffen würden und die Wähler*innen dann lieber Grün wählten, um schlimmeres zu verhindern. Mit zweifelhaftem Erfolg. (Die Grünen stellten sich in der Koalition dann nicht energisch gegen das Fracking.) Bei der Bundestagswahl galt Ähnliches. Hier erhielten wir mehr Erst- als Zweitstimmen. Diese Dynamik, dass die PIRATEN als "abgefrühstückt" galten, war für uns nicht zu stoppen.

Nun muss die Partei durch beharrliche Arbeit auch im kommunalen Bereich mühsam wieder Vertrauen zurückgewinnen. Da ich fest davon überzeugt bin, dass die Themen echte Bürgerbeteiligung, humane Wirtschaftspolitik im Zeitalter der Globalisierung und Kampf gegen den fortschreitenden Überwachungsstaat in keiner Weise als entschärft zu betrachten sind, halte ich die PIRATEN nach wie vor für unverzichtbar. Von einem echten Demokratieupdate sind wir sehr weit entfernt. Andere Parteien haben diese Porblematiken nie ausreichend und oft nur mit Lippenbekenntnissen transportiert und konzentrierten sich weiter auf Kernthemen wie soziale Umverteilung innerhalb der Bundesrepublik statt sich mit der notwendigen Systemfrage zu beschäftigen. Insofern finde ich es sehr sehr wichtig, dass von dieser Bürgerschaftswahl ein deutliches Signal mit einer möglichst hohen Stelle vor dem Komma ausgeht, dass die PIRATEN keineswegs erledigt sind, und dass ihre Themen die Menschen immernoch drängen und interessieren.

Deshalb werbe ich dafür, den PIRATEN alle 5 Stimmen zu geben und sich nicht der Sichtweise anzuschließen, dass die PIRATEN zu einer Zersplitterung des links-emanzipatorischen Lagers beitrügen. Die Folgen für die Entwicklung der Gesellschaft wären in meinen Augen fatal; die PIRATEN werden noch gebraucht.
Zusammenfassend:
Viele Kinderkrankheiten sind überwunden, die Debattenkultur innerhalb der Partei hat sich gebessert, die politische ausrichtung ist klarer definiert. Problematisch sind weiterhin die geringen finanziellen Mittel und die im Zusammenhang stehende Überlastung vieler Mitglieder. Es ist an den Aktiven, hier für eine Erhöhung der Mitgliederbeiträge zu sorgen und bislang stille Mitglieder und Menschen von außen wieder stärker für die Partei zu gewinnen.
Ich hoffe, sie fanden meine Ausführungen aufrichtig und zufriedenstellend.

lieben Gruß
Robert Bauer