Frage an Sabine von der Beck von Ralf P. bezüglich Recht
Hallo, Frau von der Beck!
Auch wenn hier nicht der geeinete Ort ist, will ich es trotzdem sagen: ich gehöre nicht unbedingt zu Ihren politischen Gegnern ;-)
Deshalb möchte ich gern auch von Ihnen wissen, wie Sie zu derartigen Maßnahmen stehen, wie sie das jetzt in Berlin verhängte Flugverbot oder die pseudo-freiwillige totale Sicherheitsüberprüfung aller Piloten darstellen.
Ich wüsste gern, ob Sie persönlich sich *für* oder *gegen* derartige Maßnahmen aussprechen werden.
Momentan sehe ich - hauptsächlich allerdings bei Ihrem Noch-Koalitionspartner SPD, leider zu oft aber von den Grünen mitgetragen - immer öfter eine Art "Aktivismus" (fast schon als Selbstzweck) um sich greifen. (An das Schnellschuss-Gesetz für "Florida-Rolf" will ich gar nicht denken, da es unsere Kassen unterm Strich noch mehr belastet.)
Doch zurück zu meiner Frage:
Wer - außer der leider sehr großen Menge an Stammtischstrategen - meint denn, dass von einem Kleinflugzeug eine größere Bedrohung ausgeht als von einem LKW, der - wie letzte Woche auf der A2 - ungebremst auf ein Stauende auffährt? Ein Ultraleichtflugzeug besteht in der Regel aus ein paar Aluminiumholmen, die mit Stoff bespannt sind, trägt maximal 40 Liter Benzin in sich und wiegt leer unter 300kg! Ein solches gerät würde wahrscheinlich nicht einmal die Glaskuppel des Reichstages beschädigen. Mein VW Passat hat einen 60-Liter-Tank, wiegt leer 1,5 Tonnen und kann so viel besser für terroristische Anschläge verwendet werden.
Es ist daher tatsächlich nichts als Aktionismus, das Fliegen über Berlin zu verbieten und hat keinerlei Auswirkungen auf die Sicherheit. Lediglich der sogenannte "Volkszorn" wird befriedigt, "der Bürger" *fühlt* sich sicherer. Aber müssen wir tatsächlich damit leben, dass unsere Regierung sich mit derartigen "Bauchmaßnahmen" von einer Wahl zur nächsten rettet?
Werden Sie derartige Maßnahmen in Zukunft mittragen (Herr Schily ist da leider nicht viel liberaler als sein Möchtegern-Nachfolger aus dem rechten Lager)? Oder haben Sie vor, die Bürgerrechte auch in Zukunft vor unnötigen Eingriffen zu schützen?
Gruß, Pi (Ralf Pichocki).
Sehr geehrter Herr Pichocki,
auch wenn hier nicht der geeignete Ort ist, wollte ich immer schon mal ein gewisses 7-Stufen-Modell irgendwo zur Sprache bringen. Sie bieten mir jetzt eine gute Gelegenheit dafuer. Danke ;-)
Haben Sie schon mal darueber nachgedacht, wie oeffentlich mit Problemen umgegangen wird, die ganz klein und langsam anfangen, aber exponentiell wachsen und in einer Katastrophe enden? Epidemien, Umweltvergiftungen, Klimaveraenderungen, Kriege, Terrorismus zum Beispiel? Hier mein kleines, modellhaft verkuerztes 7-Phasen-Modell (frei nach dem Epidemiologen Michael Koch):
Phase 1. Die anfaenglichen Problemsymptome werden erstmal so gut es geht ignoriert, Warnungen von Experten als Spinnerei abgetan.
Phase 2. Wenn Ignorieren angesichts der stetig wachsenden Probleme nicht mehr moeglich ist, werden die Symptome geleugnet und energisch (auch mit "wissenschaftlicher" Hilfe) dementiert.
Phase 3. Wenn Dementieren angesichts wachsender und deutlich werdender Symptome nicht mehr glaubwuerdig ist, wird das Problem, das nun zwar mit erheblichem Aufwand, aber doch noch zu stoppen waere, laecherlich gemacht und verniedlicht.
Phase 4. Wenn "ploetzlich" und "schlagartig" und fuer jedermann ersichtlich klar wird, das das Problem die exponentielle Wachstumsphase erreicht hat und gewissermassen "explodiert", wird gejammert und gewehklagt und auf einmal machen sich alle fuerchterliche Sorgen.
Phase 5. Waehrend die meisten sich noch fuerchterliche Sorgen machen, treten die "Helden und Maenner der Stunde" auf den Plan und inszenieren hektische, aber jedenfalls grossartig und dramatisch wirkende, wenn auch voellig unzureichende Loesungen.
Phase 6. Wenn die heldenhaften Loesungen (notwendigerweise, weil sie naemlich viel zu spaet gekommen sind und die Ursachen weiterhin ignorieren) versagen, wird fieberhaft nach "Schuldigen" allerdings nur fuer das Versagen der Loesungen, nicht fuer das Ignorieren des Problementstehungszusammenhangs - gefahndet.
Phase 7. Wenn genuegend "Schuldige" gefunden worden und bestraft worden sind, finden sich die, die die Katastrophe (den Krieg, die Epidemie, den Terroranschlag, die Ueberflutung etc.) ueberlebt haben, notgedrungen trauernd mit den Ereignissen ab und ordnen sie als weitere quasi unabwendbare, tragische, nachrichtlich kaum noch interessierende Schicksalsschlaege in den Gang der Menschheitsgeschichte ein.
Nun konkret zur Ihrer Anfrage:
Das Flugverbot ueber Berlin ist m.E. ein klarer Fall von "Phase 5".
Ausfuehrungen: Die Menschen machen sich hierzulande berechtigterweise grosse Sorgen um den weltweiten Terrorismus. Dessen Ursachen liegen weit und lange zurueck, in Waffenlieferungen, Menschenrechtsmissachtungen, globaler Ungerechtigkeit (Weltwirtschaftsordnung, Kolonialherrschaften) und politischen Fehlentscheidungen usw. So, und nun kommt vor diesem Problemhintergrund dieses Gesetz zum Flugverbot ueber Berlin zustande, von dem jeder weiss, dass es ueberhaupt nichts bringt, weil die Flugzeuge einfach zu schnell sind. (Meinetwegen sind auch viele zu leicht, um Schaden anzurichten). Ein Klassiker fuer meine Schublade Phase 5. Ein Gesetz, um das "Zentrum der Macht" zu schuetzen: dass ich nicht lache! Fuer wie wichtig halten die sich eigentlich in Berlin? Zum Glueck haben wir noch relativ dezentrale Strukturen in Deutschland, da waere ein Flugzeug im Kanzleramt oder Reichstag sicherlich ein sehr schwerer Schaden und ein heftiger Schock fuer das Land, aber jedenfalls im Vergleich zu einem Terrorflugzeig im Atommeiler nur eine kleinere Katastrophe. Die Risikotechnologie Atomkraft ist naemlich das eigentliche schleichende Problem, ueber das wir in so einem Terrorismus-Zusammenhang mindestens diskutieren sollten, wenn wir schon diskutieren. Denn um die Atommeiler bestehen wesentlich kleinere Flugverbotszonen als um den Berliner Reichstag (aber sei´s drum, diese Zonen sind ja sowieso voellig nutzlos, siehe oben). Wenn aber so ein Atomkraftwerk von Terroristen aus der Luft hochgejagt werden sollte, dann haben wir die grosse Katastrophe, und zwar nicht nur im Zentrum der Macht, sondern in ganz Europa.
Um nochmal auf Ihre Fragen zurueckzukommen: die Einschraenkung von Buergerrechten ist sowieso die falsche Loesung, weil sie die Ursachen des Problems ignoriert (auch typisch), als da waeren aus meiner Sicht die gesellschaftliche Duldung von Risikotechnologien und die Ursachen des weltweiten Terrorismus (s.o.). Und weil ich nicht damit leben will, dass solche politischen Aktionen (Sie sagen dazu "Bauchmassnahmen", ich meine, es ist "Phase 5") weiter funktionieren, stelle ich hiermit das 7-Stufen-Modell oeffentlich zur Diskussion. Es ist sicherlich grob verkuerzt, eben nur ein Modell, nicht perfekt,(noch) nicht empirisch belegt, mehr ein plausibler Verdacht und ziemlich pessimistisch, aber ich - unverbesserliche Optimistin - glaube immer noch, an die (kollektive?) Lernfaehigkeit von Menschen. Mir hilft das Modell jedenfalls, die Probleme in einem laengeren Zeitzusammenhang zu sehen, vielleicht hilft es dem einen oder anderen auch.
Ich kandidiere uebrigens fuer die Gruenen, weil dies die einzige Partei ist, die den Leuten keinen Honig um den Bart schmiert und Langzeitprobleme nicht unter den Tisch kehrt. Wir muten unseren Waehlern zu, dass sie weniger Geld im Portemonaie haben, weil wir zum Beispiel Wege weg vom Oel und von der Atomkraft foerdern, Benzin staerker besteuern (Flugbenzin uebrigens erst recht.) Das tut weh, uns zu waehlen, ich weiss, aber ich kann Sie troesten: es ist halb so wild, es sind eigentlich nur kleine Piekser, sozusagen nur Schutzimpfungen im Kampf gegen die grossen, fatalen Epidemien...
Mit gruenen Gruessen
Sabine von der Beck
P.S. Ihre Anfrage zu Loemuehle beantworte ich uebers Wochenende. Habe jetzt keine Zeit mehr.