Frage an Siegfried Lehmann bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie

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Siegfried Lehmann
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage an Siegfried Lehmann von Lutz H. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie

Sehr geehrter Herr Lehmann,

die Bundesländer haben mit Schulbuchverlage und Verwertungsgesellschaften einen “Gesamtvertrag zur Einräumung und Vergütung von Ansprüchen nach § 53 UrhG” abgeschlossen. In diesem Vertrag heißt es:

"Die Verlage stellen den Schulaufwandsträgern sowie den kommunalen und privaten Schulträgern auf eigene Kosten eine Plagiatssoftware zur Verfügung, mit welcher digitale Kopien von für den Unterrichtsgebrauch an Schulen bestimmten Werken auf Speichersystemen identifiziert werden können. Die Länder wirken – die technische und datenschutzrechtliche Unbedenklichkeit der Software vorausgesetzt – darauf hin, dass jährlich mindestens 1 % der öffentlichen Schulen ihre Speichersysteme durch Einsatz dieser Plagiatssoftware auf das Vorhandensein solcher Digitalisate prüfen lässt. Der Modus der Auswahl der Schulen erfolgt – aufgeschlüsselt nach Ländern und Schularten – in Absprache mit den Verlagen auf Basis eines anerkannten statistischen Verfahrens. Die Überprüfungen erfolgen ab Bereitstellung der Software, frühestens jedoch im 2. Schulhalbjahr 2011/2012."

Mit diesem Vertrag wird also den Verlagen das Recht eingräumt, auf Schulcomputern einen eigenen Trojaner zu installieren (vgl. die Analyse unter https://netzpolitik.org/2011/der-schultrojaner-eine-neue-innovation-der-verlage/ ).

Was wissen Sie als Vorsitzender im Bildungsausschusses von diesem Vertrage? Wie bewerten Sie ihn in datenschutzrechtlicher Hinsicht und in Hinblick auf das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme?

Mit freundlichen Grüßen

Lutz Horn

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Horn,

von dem Vertrag mit der VG WORT und der VG Musikedition, den KultusministerInnen der Bundesländer am 21.12.2010 unterschrieben haben, habe ich erst vor einigen Tagen aus der Presse erfahren. Weder der Bildungsausschuss noch der Landtag von Baden-Württemberg wurden bisher über diesen Vertrag, der noch von der früheren CDU Kultusministerin Schick unterschrieben wurde, informiert.

Die im Paragraph 6, Absatz 4 festgeschriebene Regelung, dass jährlich mindestens 1% der öffentlichen Schulen ihre Speichersysteme durch Einsatz einer von den Verlagen zur Verfügung gestellten Plagiatssoftware (von einem "Trojaner" würde ich hier aber nicht sprechen wollen) auf das Vorhandensein von Digitalisaten prüfen lässt, ist datenschutzrechtlich problematisch, ein hilfloser bürokratischer Akt und darüber hinaus ein untaugliches Mittel urheberrechtlich geschützte Werke zu schützen. Der Paragraph 6, Absatz 4 des mit den Schulbuchverlagen und Verwertungsgesellschaften abgeschlossenen "Gesamtvertrag zur Einräumung und Vergütung von Ansprüchen nach § 53 UrhG" sollte daher ersatzlos gestrichen werden.

Positiv an dem Vertrag ist aber, dass hier ein erster Versuch unternommen wurde ("... unter Berücksichtigung der Bereichsausnahme nach § 53 Abs.3 S.2 UrhG die Möglichkeit von Vervielfältigungen für den Unterrichts- und Prüfungsgebrauch aus allen urheberrechtlich geschützten Werken sicherzustellen ...") über eine pauschale Entschädigungsregelung eine Legalisierung der bisher unter Umgehung des Urheberrechtes angefertigter Vervielfältigungen kleiner Teile eines Werkes für den Unterricht zu ermöglichen. LehrerInnen können endlich mit dieser pauschalen Regelung ein-zwei Seiten aus einem Werk für die Schulklasse kopieren, ohne gleich damit das Urheberrecht zu verletzen. Zudem wird mit der Pauschalregelung der Versuch unternommen, dass die Vielzahl von Autoren im Bereich der Schulbuchverlage (ich denke hier besonders an den Bereich der beruflichen Schulen mit einer großen Vielzahl von Fachbüchern in kleiner Auflage) nicht in die Röhre schauen muss.

Zum Schluss noch ein nachdenkenswerter Blog-Eintrag von „Och noe“ vom 31. Oktober 2011 um 11:13 auf:
https://netzpolitik.org/2011/der-schultrojaner-eine-neue-innovation-der-verlage/

"... Wenn es um Urheber(rechte) geht, geht es nicht nur um Superstars wie Madonna, Justin Bieber (oder wem man sonst seinen Reichtum nicht gönnt) und die Großindustrie, sondern vor allem um Millionen von kleinen Urhebern, die kaum ihren Arsch an die Wand bekommen und so schon oftmals auf Sozialhilfeniveau leben. (Aber das eben von ihrer Arbeit!) Jede Schwächung der Urheberrechte als Solche geht vor allem zu Lasten der Kleinen, denn diese haben nicht die Möglichkeiten der Industrie, sich ggf. mit anderen Mitteln gegen mächtige Vertragspartner durchzusetzen oder ihre Werke so schnell und massiv auf den Markt zu bringen, dass die Schäfchen im Trockenen sind, bevor die Kopiererei in großem Stil losgeht. ..."

Mit freundlichen Grüßen
Siegfried Lehmann