Frage an Sven Lehmann bezüglich Öffentliche Finanzen, Steuern und Abgaben

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Sven Lehmann
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Marco H. •

Frage an Sven Lehmann von Marco H. bezüglich Öffentliche Finanzen, Steuern und Abgaben

Guten Tag Herr Lehmann,

mich interessiert das Thema Auswanderung von Deutschen Bundesbürgern und Steuer-/Wirtschaftspolitik in einem gemeinsamen Kontext.

2019 sind ca. 270.000 Deutsche Staatsbürger aus der BRD ausgewandert. Ca. 3.5 Mio. Deutsche leben bereits im Ausland. 2/3 vorübergehend und 1/3 dauerhaft. Das Durchschnittsalter derer die Deutschland den Rücken kehren liegt bei ca. 36 Jahren. Bspw. ist jeder fünfte Arzt in der Schweiz Deutscher. Hier fehlen sie uns!

Die Bundesrepublik bietet zwar eines der großzügigsten Sozialsysteme der Welt (u.a. sehr attraktiv für gering qualifizierte Zuwanderung), hat auf der Gegenseite aber (mit) die höchste individuelle Steuer- u. Abgabenlast der EU u. der OECD.
Es liegt auf der Hand, dass sich junge und gut qualifizierte Menschen dreimal überlegen, ob sie ihre Zukunft in Deutschland sehen und sich vom Staat und seinem Nimmersatten Abgabenhunger weiter schröpfen lassen möchten. Zur Erinnerung - in 2021 steigt der Strompreis, der Treibstoffpreis und z.T. wieder die SV-Abgaben.

Wie kann künftige grüne Politik

a) endlich der Abwanderung von hoch Qualifizierten entgegenwirken
b) die Zuwanderung von gering Qualifzierten aus EU Mitglieds- u. aus Drittstaaten langfristig minimieren und
c) die Steuer- und Abgabenlast in eine für viele Arbeitnehmer verträgliche Balance bringen oder gar reduzieren?

Herzlichen Dank.

Quellen:

https://www.google.com/amp/s/www.nzz.ch/amp/meinung/deutschlands-doppelt

https://www.bib.bund.de/DE/Fakten/Fakt/M02-Zuzuege-Fortzuege-Deutsche-ab-1991.html

https://www.deutsche-im-ausland.org/im-ausland-leben-und-arbeiten/leben-im-ausland/daten-und-fakten.html#:~:text=3%2C4%20Millionen%20deutsche%20Auswanderer,Vereinigten%20K%C

https://www.steuerzahler.de/steuerzahlergedenktag/

https://www.google.com/amp/s/de.statista.com/infografik/amp/13660/oecd-vergleich-steuern--und-abgaben/

https://www.sueddeutsche.de/politik/aussenansicht-ein-neuer-verteilungskonflikt-1.3786975

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Heit,

haben Sie vielen Dank für Ihre Frage vom 15. Januar.
In der Tat ist dies keine einfach zu beantwortende Frage, da sie viele unterschiedliche Bereiche schneidet.
Immer mehr Unternehmen in Deutschland suchen händeringend nach Fachkräften. Gleichzeitig haben wir in Deutschland den Fall, dass noch immer Millionen von Menschen, keine auskömmliche Arbeit finden. Das ist ein Risiko für die wirtschaftliche Entwicklung und den ökologischen Umbau der Wirtschaft in unserem Land. Leider versagte die Bundesregierung bisher darin, wirksame Maßnahmen auf den Tisch zu legen, mit denen eine Fachkräftesicherung gelingen könnte. Unsere Fraktion hat 2019 einen Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht, in dem wir vielfältige Maßnahmen zur Fachkräftegewinnung und Qualifizierung von Menschen vorgelegt haben.
Die Bundesagentur für Arbeit prognostiziert, dass bis 2030 die Zahl der Erwerbspersonen um mindestens 3,6 Millionen sinken wird. Dies liegt, wie Sie in ihrer Frage bereits erwähnt haben, allen voran an der Abwanderung von Menschen aus dem deutschen Arbeitsmarkt. Hier gilt es zu analysieren, welche Branchen und Berufszweige am stärksten von der Fachkräfteabwanderung betroffen sind. Wenn wir den Fachkräftemangel stoppen und beseitigen wollen, dann brauchen wir dafür gut ausgebildete Menschen, die hier arbeiten wollen und es können. Klar ist, dass das bisherige schwarz-rote Fachkräfteeinwanderungsgesetz nicht in der Lage ist, dies zu gewährleisten. Es ist ein Sammelsurium an komplizierten und bürokratischen Regelungen, welches die Fachkräfteeinwanderung eher verhindert, als sie zu befördern. Damit wir Fachkräfte effektiv anwerben und bei uns halten können, braucht es Anreize. Wenn Menschen Zeit, Energie, Können und Kreativität in ihre Arbeit stecken sollen, dann müssen wir ihnen Anerkennung, gute Löhne und attraktive Arbeitsbedingungen gewährleisten können. All dies fordern wir Grüne bereits seit langem. Dennoch verschläft die Große Koalition den dringenden Handlungsbedarf.
Und nun zum steuerpolitischen Aspekt Ihrer Frage. Das Auseinanderdriften der Vermögen ist in Deutschland so stark wie noch nie. Wir Grüne im Bundestag wollen deshalb ein gerechtes Steuersystem, in dem alle ihren fairen Beitrag zum Gemeinwohl leisten. Die Realität in Deutschland sieht aber nicht so aus. Für Einkommensmillionär*innen, Konzerne und Vermögende gibt es zu viele Möglichkeiten, auf Kosten der Gemeinschaft den Steuerbeitrag zu minimieren. Ressourcen werden in Deutschland sehr unterschiedlich besteuert. So finanzierte 2017 der Faktor Arbeit 63,3 Prozent unserer Staatseinnahmen – der Anteil von Kapital lag hingegen bei nur 13,2 Prozent und der der Umweltbelastung bei lediglich 4,3 Prozent.

Die Folge ist, dass die Gesellschaft nicht nur ökonomisch auseinanderdriftet, sondern sich auch Chancen immer ungleicher verteilen und die sozialen Spannungen zunehmen. Die Belastung für die reichsten Einkommensgruppen ist in den letzten 20 Jahren stark gesunken, am meisten für die Spitzenverdiener*innen. 1998 lag der Spitzensteuersatz noch bei 53 Prozent. Heute beträgt er hingegen nur noch 42 bzw. 45 Prozent bei sehr hohem zu versteuerndem Single-Einkommen ab ca. 265.000 EUR. Für die untersten 5 Prozent ist die Steuerbelastung hingegen angestiegen.

Ferner wurden in den letzten Jahrzehnten die Unternehmenssteuern gesenkt und die Abgeltungsteuer eingeführt – Entlastungen, die Haushalten mit sehr hohen Einkommen zugutekamen. Zugleich sind die Top-Einkommen deutlich stärker gestiegen als die Durchschnittseinkommen. Geringverdienende und Mittelschichten hatten dagegen nur geringe Einkommenszuwächse, die durch höhere indirekte Steuern, wie beispielsweise die Umsatzsteuer, und anhaltend hohe Sozialbeiträge belastet wurden.

Wir setzen uns daher für eine Entlastung unterer und mittlerer Einkommensbezieher*innen ein, u.a. durch einen spürbar höheren Grundfreibetrag - von dem im Übrigen alle Einkommensteuerzahler*innen am Ende des Monats etwas hätten. Familien sollen zudem durch eine Kindergrundsicherung profitieren, denn vom Kinderfreibetrag erhalten ausgerechnet nur Kinder reicher Eltern etwas. Zudem muss die ungleiche Besteuerung von Arbeit und Kapital ein Ende haben.

Den oben erwähnten Antrag zur Fachkräftegewinnung finden Sie hier:
https://portala.dbtg.de/doc/btd/19/070/,DanaInfo=dipbt.bundestag.de+1907058.pdf

Ich hoffe, Ihre Frage damit ausreichend beantwortet zu haben. Bleiben Sie gesund!

Mit freundlichen Grüßen
Sven Lehmann MdB

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