Frage an Tabea Rößner bezüglich Wirtschaft

Das Foto zeigt eine Portraitaufnahme von Tabea Rößner vom Juni 2021.
Tabea Rößner
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Heinz-J S. •

Frage an Tabea Rößner von Heinz-J S. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrter Herr Abgeordneter,

Ich habe drei Fragen:

1. Bis zu welcher Höhe kann Ihrer Ansicht nach die Budnesrepublik Deutschland Geld an EU-Staaten verschenken, und wie rechtfertigen Sie diese Geschenke angesichts der blanken Not an deutschen Universitäten?

2. Bis zu welcher Summe kann die Bundesrepublik Ddutschland Bürgschaften für EU-Staaten übernehmen, ohne im Ernstfall selbst Schaden zu nehmen?

3. Bis zu welcher Höhe kann die Bundesrepublik Deutschland Target 2 Forderungen der EZB Ihrer Ansicht nach erfüllen?

Ich denken, dass im Haushaltsausschuss entsprechende, begründbare Zahlen genannt wurden - oder ist das nicht der Fall?

Mit freundlichen Grüßen

Ihr HJ SCHMITT

Das Foto zeigt eine Portraitaufnahme von Tabea Rößner vom Juni 2021.
Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Schmitt,

entschuldigen Sie bitte meine späte Antwort auf Ihre Frage vom März. Zu dem Thema gab es in den letzten Monaten ständig neue Informationen und ich wollte Ihnen gerne konkrete Antworten liefern.

1. Bis zu welcher Höhe kann Ihrer Ansicht nach die Bundesrepublik Deutschland Geld an EU-Staaten verschenken, und wie rechtfertigen Sie diese Geschenke angesichts der blanken Not an deutschen Universitäten?

Die Bundesrepublik hat bislang kein Geld verschenkt, sondern lediglich Kredite ausgegeben. Dadurch sind keine Kosten entstanden. Aber wir wollen den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber ehrlich sein: Griechenland befindet sich momentan nicht in der Lage, die gewährten Kredite zurückzahlen zu können. Deshalb haben wir uns auch so stark für einen frühzeitigen Schuldenschnitt eingesetzt, der die Schuldenlast senken sollte. Wir GRÜNE fordern außerdem, den Vorschlägen des Sachverständigenrates folgend, die Einführung eines Altschuldentilgungsfonds, der einen realistischen Abbau der hohen Staatsverschuldung in Europa ermöglichen soll. Wer sich, wie die Bundesregierung, solchen konstruktiven Vorschlägen verwehrt, riskiert, dass immer mehr Risiken von der Europäischen Zentralbank getragen werden. Hinter diesen stehen aber am Ende dieselben europäischen Steuerzahler.

Trotzdem sagen wir: Wir haben ein starkes politisches und wirtschaftliches Interesse daran, dass die Euro-Zone stabilisiert wird und kein Land die Währungsunion verlässt. Der Austritt eines Landes aus der gemeinsamen Währung in Verbindung mit einem ungeordneten Staatsbankrott, z. B. im Fall Griechenlands, würde die Europäische Union und Deutschland im Besonderen ein Vielfaches der bis jetzt geplanten und geleisteten Hilfen kosten. Deutschland hat seit der Einführung des Euros enorm von der gemeinsamen Währung und dem europäischen Binnenmarkt profitiert. Die fortschreitende Globalisierung verlangt eine Verschmelzung anstatt einer Separierung von Wirtschaftsräumen. Nur gemeinsam mit den europäischen Partnern haben wir eine Chance, dem weltweiten Handel nicht nur zu folgen, sondern ihn auch mitzugestalten.

Wir sind uns sicher, dass sich eine Stabilisierung der Euro-Zone mit Deutschlands Hilfe auf Dauer auszahlt und auch eine angemessene Finanzierung der deutschen Hochschullandschaft ermöglichen wird.

2. Bis zu welcher Summe kann die Bundesrepublik Deutschland Bürgschaften für EU-Staaten übernehmen, ohne im Ernstfall selbst Schaden zu nehmen?

Wie schon bei Punkt 1 begründet, hat die Bundesrepublik bisher nur Kredite ausgegeben. Nun geht es darum, auch die wirtschaftlichen Bedingungen zu schaffen, unter denen es den Ländern möglich sein wird, die Kredite wieder zurückzuzahlen. Deshalb wollten wir den Fiskalvertrag auch um ein Investitionsprogramm erweitern, das den betroffenen Ländern aus der Rezession hilft und wieder Wachstum und Einnahmen generiert. Dafür haben wir uns gegenüber der Bundesregierung eingesetzt.

Der Europäische Stabilitätsmechanismus EMS wird mit Eigenkapital hinterlegt, damit er solide und glaubwürdig ist und am Markt zu günstigen Konditionen Geld aufnehmen kann. Deutschland trägt ein Teil dieser Bareinlagen in Höhe von 22 Mrd. Euro. Die Einzahlung der ersten beiden Raten in Höhe von 8,6 Mrd. Euro wurde auf dieses Jahr vorgezogen und wird in einem Nachtragshaushalt finanziert.

Der Hilfe durch den ESM sind jedoch enge Grenzen gesetzt: Er wird nur dann Kredite vergeben, wenn der Empfänger seine Schulden auch tatsächlich tragen kann. Das wird in einer sogenannten Schuldentragfähigkeitsanalyse überprüft. Ein zentrales Element des ESM ist außerdem die Konditionierung: Es gibt nur Hilfe gegen Auflagen. Das bedeutet, der ESM greift nur ein, wenn die hilfebedürftigen Mitgliedsstaaten vorab getroffene Vereinbarungen auch sicher einhalten.

3. Bis zu welcher Höhe kann die Bundesrepublik Deutschland Target 2 Forderungen der EZB Ihrer Ansicht nach erfüllen?

In einer Währungsunion gibt es per Definition keine theoretische Grenze für die Salden zwischen Zentralbanken. Die Existenz der Target II Salden ist im dezentralen Notenbanksystem in der Eurozone begründet. Würden die Kreditinstitute ihre Liquidität direkt von der EZB und nicht von den nationalen Notenbanken erhalten, würden überhaupt gar keine Target Salden existieren, obwohl die Risikolage im Eurosystem die gleiche wäre. Die Target Salden sind lediglich Buchungssätze in den Bilanzen der Zentralbanken, die nicht das Risiko der einzelnen Staaten widerspiegeln, da eine vertragliche gemeinsame Haftung für ausgegebene Kredite im Eurosystem festgelegt ist. Die Target Salden sind also nicht der richtige Maßstab für definitiv vorhandene Risiken bei der Europäischen Zentralbank. Allerdings sind sie ein Indikator für die hohen Kredite der EZB an südeuropäische Banken.

Da die Verschiebung von Liquidität (=Bargeld) aus Südeuropa nach Norden zu einer Liquiditätsknappheit im Süden führt, haben diese vermehrt die Liquiditätshilfen (=Kredite) der EZB in Anspruch genommen. Der Anstieg der Target Salden zeigt an, dass viel Geld aus Südeuropa nach Nordeuropa geflossen ist. Allerdings haben auch deutsche Institute bei dem letzten Auktionsverfahren für Liquidität verstärkt geboten.

Insgesamt hat die EZB mittlerweile 1,1 Billionen Euro an Krediten an Banken ausgereicht. Zum Vergleich: Noch vor einem Jahr lag diese Größe bei 454 Mrd. Euro. Sollte ein Teil dieser Kredite ausfallen, haften alle Euro-Staaten für mögliche Verluste der EZB. Zwar müssen Banken für die Kredite der EZB Sicherheiten an die EZB verpfänden, jedoch entsteht ein Risiko, wenn sowohl die Bank pleite würde, als auch die Sicherheit plötzlich wertlos wäre. Wenn beispielsweise eine irische Bank einen Kredit der EZB mit einer irischen Staatsanleihe besichert, entsteht dieser Fall, wenn sowohl der irische Staat als auch die irische Bank pleite würden. Aufgrund der aktuellen Staatsschuldenkrise kann ein solches, zugegebenermaßen sehr unwahrscheinliches Szenario aber nicht mehr völlig ausgeschlossen werden. Im extrem unwahrscheinlichen Szenario, dass alle EU-Staaten ihre Verbindlichkeiten nicht begleichen und alle Banken daher pleitegehen würden, müsste Deutschland für diesen Betrag einstehen. Daher zeigt die Höhe der EZB Kredite an Banken von 1,1 Billionen Euro wesentlich besser die Abhängigkeiten in Europa, die abseits von Rettungspaketen tatsächlich existieren.

Die Vergemeinschaftung der Haftung findet statt, während die Bundesregierung so tut, als würde sie genau das verhindern - ein klarer Fall von Irreführung der Bevölkerung über das, was ökonomisch wirklich passiert. Die Zahlen verdeutlichen daher, dass eine Währungsunion automatisch zu wechselseitigen Risiken führt. Ein Austritt aus dem Euro würde aber dazu führen, dass diese Risiken automatisch fällig würden. Selbst Ökonomen, die mittlerweile den Euro nicht mehr einführen würden, raten daher von einem Austritt einzelner Staaten ab. Es ist wie bei der Entscheidung, ob man in See stechen möchte: Man kann diese nur an Land treffen. Ist man einmal auf hoher See, ist "an Land bleiben" keine Option mehr. Übertragen auf die Eurokrise heißt das, dass man nun die Risiken im Eurosystem zurückführen muss, indem man das Steuer neu ausrichtet: Deshalb sind wir für einen Altschuldentilgungsfonds nach dem Vorschlag des Sachverständigenrates, bei welchem sich die Staaten zu einem Abbau der Verschuldung verpflichten und bei dem während einer Tilgungsphase gemeinsam gehaftet wird. Die Koalition lehnt dies ab, weil sie fürchtet, die Stimmung in ihren Reihen könnte bei einem solchen Plan kippen. Dadurch erreicht sie allerdings lediglich, dass die gemeinsamen Risiken auf der EZB Bilanz weiter steigen.

In der Hoffnung, Ihnen verständliche und nachvollziehbare Antworten gegeben zu haben, verbleibe ich

mit herzlichen Grüßen

Tabea Rößner

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