Frage an Thomas de Maizière bezüglich Innere Sicherheit

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Thomas de Maizière
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Frage von Manfred G. •

Frage an Thomas de Maizière von Manfred G. bezüglich Innere Sicherheit

Sehr geehrter Herr Dr. de Maizière,

die Bundesrepublick setzt sich nach außen hin doch sehr medienwirksam für die Abschaffung der Todesstrafe ein. Sie zeigt sich entsetzt wenn irgendwo in der Welt Todesurteile vollstreckt werden. Man nimmt dann gerne den Begriff "Menschenverachtend" in den Mund.

In den Lissaboner Verträgen allerdings wird den Mitgliedsstaaten die Möglchkeit einer Anwendung der Todesstrafe eingeräumt. Im Artikel 2 der Grundrechtscharta steht zwar: "Niemand darf zur Todesstrafe verurteilt oder hingerichtet werden" Nur im Kleingedruckten heißt es weiter:

(2) Eine Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie durch Gewaltanwendung verursacht wird, die unbedingt erforderlich ist, um

a) jemanden gegen rechtswidrige Gewalt zu verteidigen;

b) jemanden rechtmäßig festzunehmen oder jemanden, dem die Freiheit rechtmäßig entzogen ist, an der Flucht zu hindern;

c) einen Aufruhr oder Aufstand rechtmäßig niederzuschlagen.

„Ein Staat kann in seinem Recht die Todesstrafe für Taten vorsehen, die in Kriegszeiten oder bei unmittelbarer Kriegsgefahr begangen werden; diese Strafe darf nur in den Fällen, die im Recht vorgesehen sind, und in Übereinstimmung mit dessen Bestimmungen angewendet werden ...“.

Herr Innenminister, ist das auch der Grund warum seit geraumer Zeit Bestrebungen im Gange sind die Bundeswehr für die Innere Sicherheit einsetzten zu wollen? Vieleicht in weiser Voraussicht?

Herr Innenminister, warum wurden und werden die Bürger nicht über solche gravierende Entscheidungen (Lissabon-Verträge) entsprechend informiert? Das sollte doch in einer Demokratie selbstverständlich sein.

Oder habe ich da etwas missverstanden? Klären Sie mich doch bitte auf.

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M.Gundel

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Gundel,

ja, da haben Sie in der Tat etwas missverstanden. Die Diskussion um eine Unterstützung der Länderpolizeien bei der Gefahrenabwehr durch die Bundeswehr steht in keinem Zusammenhang mit der von Ihnen angesprochenen Regelung in der Grundrechtecharta. Durch den Vertrag von Lissabon hat sich an den Grundrechten der Bürgerinnen und Bürgern nichts zum Nachteil verändert. Unser Grundgesetz und die verschiedenen internationalen Instrumente des Grundrechtsschutzes werden „kumuliert“, so dass sich das jeweils stärkste im Einzelfall anwendbare Grundrecht durchsetzt.

An dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Artikel 2 Absatz 2 des Grundgesetzes und dem absoluten Verbot der Todesstrafe durch Artikel 102 des Grundgesetzes ändert sich also nichts. Die europäische Grundrechtecharta, die durch den Vertrag von Lissabon rechtsverbindlich wird, gilt für die deutschen Staatsorgane, wenn sie EU-Recht ausführen, und zwar zusätzlich zum Grundgesetz. Sie gilt außerdem, wenn die Organe und Einrichtungen der EU handeln. Insofern gewähren die europäischen Grundrechte einen zusätzlichen Schutz. Artikel 2 der Grundrechtecharta (Recht auf Leben) lautet: „(1) Jeder Mensch hat das Recht auf Leben. (2) Niemand darf zur Todesstrafe verurteilt oder hingerichtet werden“. Das von Ihnen erwähnte „Kleingedruckte“ steht in den Erläuterungen zur Charta, die als Auslegungshilfe für die dort garantierten Grundrechte dienen.

Die Erläuterungen sind im Amtsblatt der EU veröffentlicht, einen Link finden Sie hier: http://eurlex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2007:303:0017:0035:DE:PDF .
Die Erläuterungen sollen eine größtmögliche Kohärenz zwischen der Grundrechtecharta und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sicherstellen. Sofern die Charta Rechte enthält, die den durch die EMRK garantierten Rechten entsprechen, haben sie die gleiche Bedeutung und Tragweite. Artikel 2 der Grundrechtecharta entspricht Artikel 2 der EMRK. Die von Ihnen erwähnten Einschränkungen des Rechts auf Leben bei Notwehr, Festnahme und der Bekämpfung von Aufständen stammen aus Artikel 2 Absatz 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), die in Deutschland seit 1953 gilt. Der ebenfalls in den Erläuterungen enthaltene Text zur Todesstrafe ist aus Artikel 2 des 6. Zusatzprotokolls zur EMRK entnommen und hat keine praktische Bedeutung mehr. Denn nach Artikel 1 des 13. Zusatzprotokolls zur EMRK ist die Todesstrafe abgeschafft. Mit Inkrafttreten dieses Zusatzprotokolls am 1. Juli 2003 sind damit die Ausnahmen in Kriegszeiten oder bei unmittelbarer Kriegsgefahr entfallen. Das Verbot der Todesstrafe nach der Grundrechtecharta gilt damit umfassend. Im Übrigen möchte ich darauf hinweisen, dass der Vertrag von Lissabon auch in der Entwurfsfassung für jedermann im Internet öffentlich zugänglich war.

Aktuell finden Sie ihn u.a. hier: http://eur-lex.europa.eu/JOHtml.do?uri=OJ:C:2008:115:SOM:DE:HTML .