Frage an Uwe Kekeritz bezüglich Wirtschaft

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Uwe Kekeritz
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Gerd Biedermann Dr. m. •

Frage an Uwe Kekeritz von Gerd Biedermann Dr. m. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrter Herr Kekeritz,

Abstimungen über gigantische Rettungsschirme stehen an, die nach Meinung vieler, auch honoriger Leute, dieses Land und seine Bürgerinnen und Bürger in eine Zinsknechtschaft auf Generationen hinaus treiben werden. Mit einher geht ein Verlust an Souveränität durch Aufgabe des Haushaltsrechtes an ein Geheimdirektorium (ich meine den verkleinerten Haushaltsausschuß) und der Einrichtung eines niemandem verpflichteten Gouverneursrat im ESM, der zudem ultimativ zusätzlich zu den anvisierten 700 Mrd. Euro nach Bedarf Gelder anfordern kann. Damit wird meines Erachtens unsere Demokratische Rechtsordnung komplett ausgehebelt. Wie stehen Sie zu diesen Fragen? Weshalb betreiben die Grünen eine Zentralisierung in Europa, wo sie doch einmal für mehr direkte Demokratie in überschaubaren Räumen eingetreten sind.?

Mfg Dr. Gerd Biedermann

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Dr. Biedermann,

Sie sprechen in Ihrer Anfrage verschiedene Aspekte zur Schuldenkrise im Euro-Raum an.
Das Ihnen Wichtigste zuerst: Der ESM. Die Abstimmung über den Europäischen Stabilitätsmechanismus, eine Art europäischer Währungsfonds vergleichbar dem IWF, wurde auf Frühjahr 2012 vertagt. Im Moment ist also ausreichend Zeit, sich mit allen Details des ESM parlamentarisch zu befassen.

Derzeit kursieren im Netz zahlreiche Artikel und Videos, was der ESM alles schlimme für die Demokratie in Europa enthalte. Ich möchte Sie daher auf einen Blogeintrag hinweisen, der zu diesen angeblichen Mängeln des ESM-Vertrages einige Klarstellungen beiträgt (die dortige Wortwahl mache ich mir allerdings nicht an jeder Stelle zu Eigen), darunter auch zum angeblich allmächtigen Gouverneursrat und Direktorium des nicht etablierten ESM:
http://www.augsburger-allgemeine.de/community/profile/Finanzmarktgedanken/Der-ESM-Vertrag-Der-neuste-Aufreger-unter-den-Euro-Gegnern-id16496341.html

Am 29.9 hat der Bundestag aber zum Einen über die Aufstockung des vorübergehenden Rettungsfonds (der EFSF - Europäische Finanzmarktstabiliserungs-Fazilität, längstens in Kraft bis 30.6.2013) abgestimmt. Der deutsche Garantieanteil steigt damit auf 211 Mrd. Euro. Zum Anderen gibt es nun bessere Beteiligungsrechte des Bundestages gegenüber der Bundesregierung (im StabMechG, http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/070/1707067.pdf). Insbesondere in diesen Beteiligungsrechten liegt der große Fortschritt. Anders als bei Sitzungen des EU-Ministerrates (z.B. der Finanzminister) gilt hier, dass der dt. Vertreter mit Nein stimmen muss, sollte er keine ausdrückliche Ermächtigung zum Ja haben. (Im Ministerrat hat der Bundestag sich selbst keine solchen Rechte gegeben. Hier gilt, dass der Minister freie Hand hat, so lange ihm der Bundestag nichts anderes aufträgt). Ihre Befürchtung der Preisgabe von Parlamentsrechten teile ich daher nicht, sie werden gestärkt.

Die Beteiligungsrechte im Überblick:
Das Parlament muss zustimmen, bevor die Bundesregierung einer Vereinbarung über Notmaßnahmen (Kredite etc.) zustimmt. Gleiches gilt für die Veränderung einer Vereinbarung, die die Höhe des Gewährleistungsrahmens ändert, die Änderung des EFSF-Rahmenvertrags und die Überführung der EFSF in den ESM.
Der Haushaltsausschuss muss zustimmen, bevor die Bundesregierung der Veränderung einer Notmaßnahme zustimmt, sofern der Gewährleistungsrahmen nicht verändert wird. Gleiches gilt für die Annahme bzw. Änderung der EFSF- Leitlinien. In den Leitlinien werden die Anwendungsmodalitäten der neuen Instrumente festgelegt.
Ein neunköpfiges Gremium aus Mitgliedern des Haushaltsausschusses nimmt in Fällen der Eilbedüftigkeit oder Vertraulichkeit -i.d.R. bei Anwendung der neuen Instrumente- die Beteiligungsrechte des Plenums bzw. des Haushaltsausschusses wahr. Das Gremium kann der Annahme der Eilbedürftigkeit oder Vertraulichkeit widersprechen.
Die Bundesregierung hat den Bundestag umfassend, fortlaufend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.

Das "Neuner"-Gremium aus Mitgliedern des Haushaltsausschusses stellt für mich daher keine "Entmachtung" dar. Im Parlament herrscht Arbeitsteilung - auch schon jetzt. In diesem "Unterausschuss" sitzen die Fachleute der Fraktionen, die sich intensiv mit der Materie bis ins Letzte befasst haben. Zudem werden sie vom gesamten Parlament gewählt und genießen damit dessen Vertrauen. Dieser Ausschuss ist in entscheidenden Punkten, wie z.B. der eventuell nötigen Aufstockung des Garantierahmens, gar nicht beschlussfähig. Hier ist die Mehrheit aller Abgeordneten erforderlich.

Zum Schluss noch ein Wort zum Demokratieverständnis der Grünen:
Wir treten für Volksentscheide auf Bundesebene ein, gerade um die Menschen mehr mitentscheiden zu lassen. Leider konnten wir uns hier noch nicht durchsetzen. Ja noch nicht einmal ein verfassungskonformes Wahlgesetz haben wir derzeit.
Der Grundsatz der Subsidiarität, also dass Entscheidungen immer auf der möglichst untersten Ebene fallen sollen, ist für uns Verpflichtung. Fragen zur Währungsstabilität gehören auf die Ebene der Union. Natürlich mit starker demokratischer Kontrolle. Diese sehe ich durch die national zu regelnde und heute beschlossene Umsetzung der Parlamentsbeteiligung gewährleistet.

Für weitere - laufend aktualisiert - Informationen zum Thema Euro-Schulden-Krise möchte ich Sie auch noch auf das Informationsangebot der grünen Bundestagsfraktion hinweisen:
http://www.gruene-bundestag.de//cms/euro/dok/390/390764.fragen_und_antworten_zur_eurokrise.html

Mit freundlichen Grüßen
Uwe Kekeritz