Frage an Vural Öger bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Vural Öger
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Frage von Meltem Y. •

Frage an Vural Öger von Meltem Y. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Öger,

auch ich möchte wissen, ob Sie sich oder irgendjemand sonst für eine bestimmte Gruppe einsetzen. Die Gruppe um die es mir geht sind die in Deutschland lebenden Ausländer, die sich zwar integrieren möchten aber nicht dürfen. Ich bin hier geboren und aufgewachsen, bin hier zur Schule gegangen, habe hier studiert und arbeite auch hier in Deutschland. Ich spreche besser deutsch als türkisch, habe vom Christentum genauso viel Ahnung wie vom Islam. Ich kann nicht nur aus diesen Gründen fest behaupten, ich versuche mich zu integrieren. Aber ich muss ganz ehrlich sagen, dass was ich hier aufgrund meiner dunklen Haar- und Augenfarbe oder aufgrund meines Namens ertragen muss, ist nicht gerecht! Zu folgenden Punkten werde ich ständig zur Rechenschaft gezogen: die Kurdenverfolgung in der Türkei, die Ermordung der Armenier, die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei, der Fall Marco, fehlende Integrationsbereitschaft bei meinen Landsleuten, starke Gewaltbereitschaft bei den türkischen Jugendlichen... und glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, niemanden interessiert es eigentlich was ich zu diesen Themen zu sagen habe. Keiner fragt mich, wie ich mich fühle, wenn ich wieder einmal von Anschlägen mit rassistischem Hintergrund lese und dabei das allgemeine Schweigen höre. Die Zeit während der Fußball EM ist für mich eine sehr schlimme Zeit. Auf mich kommen fremde Menschen zu, die ich vorher noch nie gesehen habe um mir zu sagen: "Wir machen Euch fertig", meine Frage wer ist "Wir" und wer "Euch" und geht es hier wirklich noch um Fußball? Ich bin nicht mehr in der Lage Rassismus von Sport zu unterscheiden!

Noch mal meine Frage wer interessiert sich für diese Probleme, außer den betroffenen? Warum werden diese Themen immer so diskret, kurz und leise wie möglich in der Öffentlichkeit behandelt? Interessiert es die Mehrheit dieses Landes etwa nicht?

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Sehr geehrter Herr Yilmaz,

Meine erste Reaktion, bei allem Verständnis war, wo lebt denn nur der Herr Yilmaz? Beginnen wir mit dem Fußball. Das Spiel Türkei gegen Deutschland ist freudvoll und friedlich verlaufen, von den wenigen Eskapaden von Extremisten in Dresden und der Randale durch Chaoten in Hamburg abgesehen. In Ihrer Umgebung haben Sie andere Töne gehört. Doch die sind offenbar nicht symptomatisch. Wenn Sie sich aber nicht daran gewöhnen, dass es in allen Nationen und Kulturen aggressive Minderheiten gibt, dann können Sie am Ende nirgendwo mehr leben. Damit muss man fertigwerden. Heißt, man muss die Dinge in Relation sehen. Überzogene und wilde Deutschlandkritik finden Sie auch in der Türkei, in den USA, in Frankreich, überall. Niemand ist vor Dummheit sicher.

Dass sich die in Deutschland lebenden Ausländer nicht integrieren dürfen, können Sie nicht ernsthaft behaupten. Bleiben wir bei den aus der Türkei stammenden Menschen. Sie werden und sind Anwälte, Professoren, Regisseure, Ärzte, Unternehmer, 20 000 studieren hier... sie sind vor allem natürlich Angestellte und Arbeiter. Wir haben Exzesse und Gewalt erlebt, doch der Alltag ist das überhaupt nicht. Dass Sie zu kritischen Ereignissen in der Türkei befragt werden, ist nur natürlich. Finden Sie und geben Sie Antworten. Dies ist eine offene Gesellschaft, und meine deutschen Freunde werden auch zur Türkei befragt, oder zu Hitler. Kurz, zu allem.

Zur angeblich fehlenden Integrationsbereitschaft: Verfolgen Sie denn wohl, was es hier an Organisationen, Regierungsaktionen, eigenen Anstrengungen zur Integration gibt? Allerdings haben wir ein Problem, wenn 1,7 Millionen Türken die deutsche Staatsbürgerschaft nicht annehmen, dafür aber integriert sein wollen. Integration bedeutet Gleichwertigkeit und Selbständigkeit. Die kann man nur bedingt erwerben, wenn man nicht Staatsbürger sein will.

Die Politik hat bei diesem Thema Jahrzehnte der Versäumnisse verschuldet. Auch steht noch längst nicht alles zum Besten. Ich will nicht mich als Beispiel ausgeben. Aber ich bin in Ankara geboren und sitze für die Bundesrepublik im Europaparlament.

Ich habe die Deutsch-Türkische Stiftung DTS ins Leben gerufen, saß in der Zuwanderungskommission der Regierung, und habe auch sonst viel getan, um Vorurteile auszurotten und Zerrbilder zu entschärfen. Und ich war nie allein dabei. Mit allgemeiner Melancholie und einseitiger Perspektive können wir keinen Normalzustand erreichen. Außerdem haben wir ihn schon fast. Die Integration der Menschen türkischer Herkunft hat sich zu allergrößten Teilen längst erfolgreich vollzogen. Als Teil davon sollten Sie sich selbstbewusst empfinden. Mich wundert, dass Sie den guten Teil vom Ganzen nicht sehen oder nicht erwähnen. Halten Sie den Kopf etwas höher,

wünscht Vural Öger