Frage an Werner Kruck bezüglich Wirtschaft

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Werner Kruck
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Frage von Elke T. •

Frage an Werner Kruck von Elke T. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrter Herr Dr. Kruck,

Sie schreiben in Ihren Antworten an Herrn Lemcke etwas von "Funktionsstörungen unserer Sozialen Marktwirtschaft", und dass man in der Familien-Partei vieles anders sehen würde als in den anderen Parteien. Können Sie mir bitte näher erklären, was Sie damit meinen?

Mit freundlichen Grüßen
Elke Trautmann

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Sehr geehrte Frau Trautmann,

vielen Dank für Ihre Frage. Leider sind einfache Fragen oft nicht einfach zu beantworten. Ich will es dennoch versuchen.

Es gibt zwei prinzipiell gegensätzliche Regelungsmechanismen für die Erreichung volkswirtschaftlicher Ziele: die Marktwirtschaft oder die Planwirtschaft. Wer an die Marktwirtschaft als Regelungsmechanismus glaubt, geht davon aus, dass durch Angebot und Nachfrage jede Versorgung der Bevölkerung mit erwünschten Gütern optimal erfolgt, ohne dass der Staat steuernd eingreifen muss. Da es sich letztlich bei allem, was von einer Wirtschaft hervorgebracht wird, um Güter handelt, kann man auch Arbeitsplätze als erwünschte Güter sehen, die einem Preismechanismus aus Angebot und Nachfrage unterliegen. Von einer Funktionsstörung wird in Marktwirtschaften immer dann gesprochen, wenn sich erwünschte Ereignisse nicht einstellen. Die Unterversorgung mit 6 Mio. Arbeitsplätzen ist momentan die schwerwiegendste erkennbare Funktionsstörung unserer Marktwirtschaft. Alle anderen gesellschaftlichen Bereiche leiden massiv darunter.

Nun stellt sich die Frage, was diese Funktionsstörung verursacht. Und genau da wird es schwierig.

Volkswirtschaftliche Zusammenhänge sind so komplex, als stünden wir vor einem Ameisenhaufen und sähen das Gewusel vieler Millionen Akteure. Mit dieser unmittelbaren Betrachtung kommt kein Mensch zurecht. Deswegen suchen wir nach Vereinfachungen, nach Mustern oder Modellen, mit deren Hilfe es uns gelingt, eine Ordnung in dem Durcheinander zu erkennen. Die Modelle sind eine Vereinfachung der Wirklichkeit. Sind die Modelle gut, dann helfen sie uns beim Verstehen. Sind die Modelle schlecht, dann verbergen sie wichtige Zusammenhänge und stellen evtl. falsche Aspekte in den Vordergrund.

Auch die Soziale Marktwirtschaft in ihrer Begründung durch Ludwig Erhard beruht auf einem Denkmodell. Ich gebe diesem Modell mal die Nr.1. Die Planwirtschaft in Ostdeutschland beruhte wiederum auf einer völligen anderen Sicht der Dinge, die wir hier aber nicht vertiefen wollen; nennen wir sie Modell Nr.3. Das noch fehlende Modell Nr.2 ist das so genannte "neo-liberale " Denkmodell, mit dem wir uns heute eigentlich auseinandersetzen müssen, da dieses Denkmodell von nahezu allen Volkswirten weltweit als "wahr" und "richtig" angenommen wird. Entsprechend glauben auch alle marktwirtschaftlich orientierten Politiker und Presseleute an die hohe Qualität von Modell Nr.2 Suchen wir nach den Ursachen einer Funktionsstörung und glauben daran, dass eigentlich Angebot und Nachfrage das Problem eigenständig beseitigen müssten, bleibt uns letztlich kein anderer Weg als genau das Angebot und die Nachfrage zu untersuchen. Folgen wir Modell Nr.2, kommen wir zu zwei gegensätzlichen Aussagen.

Aussage 1 behauptet, Unternehmen schaffen keine Arbeitsplätze, weil sie damit zu wenig verdienen. Wir müssen die Kosten senken, insbesondere den Preis für Arbeit (Arbeitslohn). Arbeit ist zu teuer und wird deswegen nicht nachgefragt.

Aussage 2 behauptet, Unternehmen schaffen keine Arbeitsplätze, weil sie ihre Produkte nicht verkaufen können. Hätten wir eine starke Binnennachfrage, bestünde auch ein Anreiz für mehr Wirtschaftswachstum und somit mehr Arbeitsplätze. Wir müssen also dafür sorgen, dass die Haushalte über hohe Einkommen verfügen, dann können sie auch die Produkte nachfragen und die Wirtschaft wird angekurbelt.

Man erkennt schnell, dass sich die beiden Aussagen gegenseitig ausschließen. Dennoch glauben alle etablierten Parteien entweder an die Richtigkeit der einen oder der anderen Aussage. Dass sie lediglich Gefangene eines Denkmodells sind und deswegen etwas herauskommt, was offensichtlich unmöglich sein kann (nämlich eine Sache und ihr glattes Gegenteil), scheint niemanden zu stören oder stutzig zu machen.

Die Lösung ist im Grunde einfach, wenn man das Denkmodell wechselt. Modell Nr.2 schreibt in den ersten Sätzen jedes Lehrbuches fest, es gäbe mindestens zwei wirtschaftliche Akteure in einer Marktwirtschaft, nämlich die Haushalte und die Unternehmen. Die Haushalte stellen die Arbeit und das Kapital bereit und Fragen die produzierten Waren nach. Die Unternehmen kaufen die Arbeit und leihen das Kapital, so dass die Haushalte von den Unternehmen ein Einkommen beziehen. Sicherlich haben Sie davon so oder ähnlich bereits gehört.

In dem Denkmodell Nr.1 sieht die Sache etwas anders aus. Danach ist jeder Mensch sowohl Produzent wie auch Konsument. Als Konsumenten sind alle Menschen gleich, jedoch in ihrer Eigenschaft als Produzenten, muss man zwei Gruppen unterscheiden. Die Gruppe der Unternehmer zeichnet sich dadurch aus, dass sie in der Lage ist ihre eigene Arbeitskraft und die Arbeitskraft anderer Menschen produktiv einzusetzen. Die Gruppe der Arbeiter hingegen findet keine produktive Verwendung für das vorhandene Arbeitspotential, es sei denn, es wird von der Gruppe der Unternehmer nachgefragt.

Wenn beide Modelle auch ähnlich klingen, wird doch nur in Modell Nr.1 das Problem sichtbar, unter dem wir heute leiden. Schon Karl Marx wusste vor 120 Jahren, dass die Situation der Arbeiter umso ungünstiger ist, je mehr Arbeiter einem Unternehmer hinterherlaufen. Dieser Gedanke wurde in Modell Nr.1 aufgegriffen und dahingehend weiterentwickelt, dass man das zahlenmäßige Verhältnis von Unternehmer-Typen zu Arbeiter-Typen in einer Wirtschaft betrachtet. Historisch gesehen gab es in Deutschland im 14. Jahrhundert eine Fase, in der dieses Verhältnis ca. 1:1 betrug, also auf jeden Selbständigen Handwerker ca. 1 unselbständiger Geselle oder Lehrling kam, der im Laufe seines Lebens in der Regel aber selber die Selbständigkeit erreichte. Und auch auf den Einwand hin, so könne man keine großen Unternehmen aufbauen, hat bereits Marx entgegnet, dass man große Unternehmen auch in einer Art freiem Zusammenschluss unter gleichberechtigten Partnern organisieren könne. Der wesentliche Punkt für uns ist hier aber ein anderer. Wir finden in Modell Nr.1 eine gänzlich andere Beschreibung des marktwirtschaftlichen Steuerungsmechanismusses auf dem Arbeitsmarkt vor. Für Ludwig Erhard war es ein wichtiges Ziel, das Verhältnis von Unternehmer-Typ zu Arbeiter-Typ dahingehend zu verändern, dass immer mehr Unternehmer-Typen auf immer weniger Arbeiter-Typen in unserer Wirtschaft treffen. Nur dadurch hat auch ein Arbeiter die Chance auf einen hohen Anteil am erzeugten Produkt. Wir können uns jetzt überlegen, was in den vergangenen Jahren dazu geführt hat, dass es in Deutschland immer weniger Unternehmer-Typen gibt. Neben allen anderen Faktoren, die ich hier noch nicht angesprochen habe, haben wir in Deutschland ein gewaltiges kulturelles Problem, denn unsere Bildungsinstitutionen sind ganz darauf eingestellt, den Arbeiter-Typ hervorzubringen. Die Fähigkeit zur ökonomischen Eigenständigkeit, einer hohen Form der Persönlichkeitsentwicklung, ist in Deutschland kein Ziel. Selbst die großen Unternehmen werden nicht mehr von Unternehmern geführt sondern von Arbeiter-Typen auf höherer Stufe. Die Parlamente sind gefüllt mit Verwaltungsfachleuten, Juristen und Staatsdienern. Im Grunde sitzen wir komplett auf dem falschen Gleis, wenn es darum geht, die maximale Produktivität eines Volkes zu entfalten. Was wir brauchen sind nicht höhere oder niedrigere Löhne, sondern eine andere kulturelle Ausrichtung der Entwicklung unerer persönlichen Fähigkeiten als Produzenten. (Natürlich kommen weitere Aspekte z.B. im Steuerrecht etc. hinzu, die die Entfaltung von mehr Unternehmertum stören und hier nicht diskutiert wurden.)

Vielleicht wird nach meinen Ausführungen erkennbar, dass unser Modell Nr.2 einen Haken mit weitreichenden Konsequenzen hat. Es ist das Spiegelbild einer kapitalistischen(!) Wirtschaftsordnung in der Wissenschaft und nicht das Spiegelbild einer Sozialen Marktwirtschaft, wie sie von Erhard angestrebt und eingeführt wurde. In Modell Nr.2 wurde das hier geschilderte Problem absichtlich verschleiert, weil die Anhänger von Modell Nr.3, der Planwirtschaft, stets zwischen Arbeit und Kapital in einer Klassengesellschaft unterschieden haben und man diesen Vorwurf, in einer kapitalistischen Klassengesellschaft zu leben, eliminieren wollte. Es handelt sich um einen absichtlich, ideologisch gesetzten "blinden Fleck" in Modell Nr.2.

Wenn Politiker heute von "Sozialer Marktwirtschaft" sprechen, dann meinen sie die Kombination einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung mit einem ausgleichenden Sozialstaat. Die ursprüngliche Idee einer Sozialen Marktwirtschaft nach Modell Nr.1 mit ausgeglichenen, funktionsfähigen Verhältnissen ist nicht mehr existent. Als "kapitalistisch" erscheint eine Marktwirtschaft nach Modell Nr.1 dann, wenn ein ausbeutbares Abhängigkeitsverhältnis zwischen gesellschaftlichen Gruppen mit unterschiedlichen Befähigungen besteht. Und genau dies ist in verschärfter Form heute der Fall, sonst wäre der letzte Armutsbericht der Bundesregierung nicht so kläglich ausgefallen.

In der Hoffnung, Ihnen Ihre Frage damit nachvollziehbar beantwortet zu haben.

Mit freundlichen Grüßen
Werner Kruck