Frage an Wolfgang Gehrcke-Reymann bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

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Wolfgang Gehrcke-Reymann
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Frage von Wilhelm D. •

Frage an Wolfgang Gehrcke-Reymann von Wilhelm D. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Wie viele Tote hat der Krieg in Afghanistan bisher verursacht? a) Zivile Opfer b) Soldaten c) deutsche Soldaten

Was hat dieser Krieg bisher gekostet? a) insgesamt b) nur Deutschland

Wie viel Geld wurde in in dieser Zeit in Entwicklungs/ Aufbauhilfe in Afghanistan investiert? a) insgesamt b) nur Deutschland

Kriegsminister Jung behauptet in der HNA v. 11.09.09: Durch den Einsatz in Afghanistan wurde bewirkt:
7 Millionen Kinder gehen wieder zur Schule
3500 Schulen wurden gebaut,
30 000 Lehrer ausgebildet
14 000 Km Infrastruktur errichtet
Stimmen die Zahlen?
Wenn nein, was dann ?

Mit friedlichen Grüßen
Wilhelm

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Degen,

vielen Dank für Ihre Frage! Diese ist leider gar nicht so einfach zu
beantworten, denn zum Teil gibt es nur Schätzungen. Die Zahlen:

Tote Zivilisten geschätzt 10.000
Tote Soldaten über 1000
Deutsche Soldaten 33

Die USA gaben für Afghanistan und Irak geschätzte 212 Milliarden Dollar aus, die Bundesrepublik jährlich über 1 Milliarde.
Dagegen liegt die Aufbauhilfe (oder soll liegen) bei insgesamt 1 Milliarde für 10 Jahre (2001-2010). Es wird also nur ca. 10 Prozent dessen, was in den Krieg „investiert“ wird, in Aufbau investiert

Unsere Zahlen zu Kindern und Schulen sind andere. Die Gesamtzahl der Schüler und Schülerinnen liegt bei 6,2 Millionen, das sind etwa 50 Prozent der Kinder und Jugendlichen. Davon sind 2,4 Millionen Mädchen.

Die Zahl der Schulen liegt insgesamt bei 9.500. 2500 Schulen seien gebaut und 30.000 Lehrer ausgebildet worden, sagt Berlin. Doch nur der Bau von 100 Schulen und die Ausbildung von 1200 Lehrkräften wurden von Deutschland finanziert. Der Zustand dieser Schulen spricht ebenfalls Bände: Unterricht unter freiem Himmel ist eher die Regel als die Ausnahme. Zudem werden Bildungseinrichtungen immer häufiger zum Ziel kriegerischer Angriffe. All das bewirkt, dass weniger als die Hälfte der Kinder am Unterricht teilnimmt.

Zu den 14.000 Kilometern Infrastruktur haben wir keine gesicherten Angaben.

Die ernüchternde Bilanz der Vereinten Nationen: Die wachsende Wirtschaft konnte die extreme Armut nicht reduzieren. Ca. 6,6 Mio. Afghanen haben nicht genug zu essen, zwei Drittel der Bevölkerung haben nicht einmal sauberes Wasser, die Hälfte der Kinder ist unterernährt, die durchschnittliche Lebenserwartung ist von 44,5 auf 43,1 Jahre gesunken. Die Alphabetisierungsrate von 28,7 auf 23,5 gefallen. Das sind erhebliche Rückschritte im Vergleich zu 2004.

Die angebliche Verdoppelung des Pro-Kopf-Einkommens auf 230 Euro pro Jahr ist reine Theorie, denn die Einkünfte sind extrem ungleich verteilt. Die Nahrungsmittelpreise sind um 70% gestiegen. Die Bevölkerung schätzt die Lage schlimmer ein als vor 5 Jahren. Lediglich 2% sehen eine Verbesserung.

Insgesamt also eine vernichtende Bilanz!

Darüber hinaus spricht die Bundesregierung von Erfolgen im humanitären Bereich. So wirbt sie mit einem angeblich guten Gesundheitswesen, das 80 Prozent der Bevölkerung versorge. Laut "Afghanistan Research" ist das eine maßlose Übertreibung. Die Kindersterblichkeit ist die dritthöchste der Welt, die der Mütter sogar die zweithöchste. Alle 29 Minuten stirbt eine Frau in Afghanistan an den Folgen einer Geburt.

Besonders schwer haben es die Mädchen. An nicht mal jeder fünften Schule werden sie unterrichtet. Viele Eltern können nur mit Hilfe der "Brautpreise" überleben, also werden sehr oft Töchter verheiratet statt ausgebildet. An den Universitäten ist die Zahl der Studentinnen rückläufig, sie liegt gerade noch bei 20 Prozent, ergab eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag.

Dieser Krieg, der angeblich geführt wird, um Menschenleben zu retten, Frauen vor der Unterdrückung zu bewahren und Schulen und Krankenhäuser zu bauen, ist an Verlogenheit nicht zu überbieten. Ginge es wirklich um Humanität, wäre diese mit viel weniger Geld zu erreichen. Ginge es den westlichen Strategen um den zivilen Aufbau des Landes, um Demokratie und Menschenrechte, wäre eine sofortige Beendigung des Krieges die einzig logische Schlussfolgerung.

Allerdings denken Bundesregierung und NATO nicht an einen Abzug, sondern an eine Ausweitung des Krieges. Denn tatsächlich geht es ihnen um imperiale Interessen, um die Gas- und Ölfelder des vorderen Orients und um den Ausbau und die Sicherung der Transportwege dieser Ressourcen. So ist es nur logisch, dass die ausländischen Truppen von der afghanischen Bevölkerung als Besatzer angesehen werden.

Die Bundesregierung ist mit verantwortlich für die vielen zivilen Toten, die in den letzten Wochen erneut zu beklagen sind. Und auch für die in diesem Einsatz ums Leben gekommenen Bundeswehrangehörigen.

Es bleibt also bei der Forderung: Sofortiger Waffenstillstand, Abzug der ausländischen Truppen, Friedensverhandlungen unter Einbeziehung aller Beteiligten aus der Region.

mit herzlichem Friedensgruß

Wolfgang Gehrcke