Frage an Wolfgang Kubicki bezüglich Gesundheit

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Wolfgang Kubicki
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Frage von Bernd D. •

Frage an Wolfgang Kubicki von Bernd D. bezüglich Gesundheit

„Gegen den Tod auf der Organwarteliste“ e.V.
Dr. med. B. M.

Sehr geehrter Herr Kubicki

Der Presse habe ich entnommen, dass Sie starke Bedenken gegenüber der Einführung der sogenannten Widerspruchslösung in das deutsche Transplantationsrecht haben.

Wir Mitglieder des Vereins „Gegen den Tod auf der Organwarteliste“ und wir möchten Ihnen gern ein Argument vorstellen, dass in der bisherigen Debatte fast keine Rolle gespielt hat.

Die Organspende wird meist als ein Akt der Barmherzigkeit gegenüber Menschen in Not angesehen. Es geht um eine asymmetrische Beziehung zwischen einem Menschen, der nicht in Not ist, und einem Bedürftigen.

Ist das realistisch? Wir alle können gar nicht wissen, ob wir einmal zu potentiellen Spendern werden, weil wir nach einem dramatischen Ereignis hirntot auf einer Intensivstation liegen, oder ob wir selbst oder ein uns lieber und wichtiger Mensch einmal dringend ein Spenderorgan brauchen wird.

Die zweite Möglichkeit ist übrigens viel wahrscheinlicher: Jedem Organspender werden im Durchschnitt 3,4 Organe entnommen und damit ca. 3 Empfänger versorgt. Wenn jeder Empfänger etwa 9 Menschen hat, für die sein Weiterleben sehr wichtig ist (Kinder, Eltern, Geschwister, enge Freunde usw.), dann profitieren etwa 30 Menschen existentiell von jedem Organspender.

Praktisch niemand, der ein Organ braucht, lehnt eine Transplantation ab. Niemand sagt nein, wenn z.B. das Leben seines Kindes von einer Transplantation abhängt. Eine Ausnahme sind die Zeugen Jehovas. Wenn sie die Transplantation bei ihrem Kind ablehnen, wird ihnen umgehend das Sorgerecht gerichtlich entzogen und danach wieder zurückgegeben.

Wenn es so selbstverständlich ist, ein Organ haben zu wollen, wenn man es braucht, ist dann das Nein zur Organspende moralisch in Ordnung? Ist es dann moralisch akzeptabel, sich mit der Frage nicht beschäftigen zu wollen? Kann man dann nicht verlangen, dass man wenigstens ausdrücklich „Nein“ sagen muss?

Mit v. Grüßen
B. M.

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Sehr geehrter Herr Meyer,

vielen Dank für Ihre Nachricht vom 15. Januar.

Die rechtlich relevante Frage wäre in dem von Ihnen genannten Falle: Was passiert, wenn sich jemand nicht öffentlich zur Organspende positionieren möchte? Sollte man dieser Person dann rechtliche Konsequenzen (z.B. Beugehaft) androhen? Unsere Rechtsordnung sieht es nicht vor, dass Schweigen zulasten des Schweigenden ausgelegt wird.

Artikel 1 Abs. 1 unseres Grundgesetzes betrifft auch potenzielle Organspender. Und eine Organentnahme ist ein schwerwiegender Eingriff ins Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit gem. Art. 2 Abs. 2 – auch über den (klinischen) Tod hinaus. Für einen entsprechenden Eingriff bedarf es einer ausdrücklichen Zustimmung.

Zudem muss jede und jeder das Recht haben, zu dieser Frage nicht öffentlich Stellung zu nehmen. Denn staatlich gebilligter moralischer Druck – den Sie ja ausdrücklich nennen – kollidiert ebenfalls mit dem Prinzip der Menschenwürde.

Ich kann es sehr gut nachvollziehen, dass schwerkranke Menschen, die auf der Organwarteliste stehen, sowie ihre Angehörige und Freunde mit dieser Antwort nicht zufrieden sind. Ich würde mir auch wünschen, wenn wir mit mehr Spenderorganen auch mehr Menschenleben retten oder verlängern könnten. Wir müssen jedoch in einem grundrechtssensiblen Bereich stets darauf achten, dass eine entsprechende Gesetzesreform den verfassungsrechtlichen Vorgaben genügt.

Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Kubicki

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