Frage an Wolfgang Wieland bezüglich Finanzen

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Wolfgang Wieland
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Daniel R. •

Frage an Wolfgang Wieland von Daniel R. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Wieland,

ich habe einige Fragen zur Finanzierung des deutschen (Sozial-)staats - und ob diese Finanzierungsmethodik überhaupt verfassungskonform ist:

Wie kann es eigentlich sein, dass Mitbürger auf ihren selbstverdienten Lohn über 40% Sozialversicherungsbeiträge zahlen müssen, und damit teilweise unter das Existenzminimum gedrückt werden?

Und deshalb allein durch die Zahlungspflicht der SV-Beiträge selbst zu Hartz-IV-Berechtigten werden - (und im Effekt ihre eigenen SV-Beiträge als ALG-II-"Aufstockung" zurückerhalten).

Können Sie die Logik dieser Systematik erklären?
Denken Sie, dass diese Abgabenpflicht auf das Existenzminimum mit dem Grundgesetz vereinbar ist?

Vielen Dank und beste Grüße

Daniel Röttger
Geschäftsführer der UWP

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Röttger,

entschuldigen Sie zunächst das längere Warten auf meine Antwort. Ich war in Urlaub.

Ja, die Finanzierung des deutschen Sozialsystems ist verfassungskonform. Das hat die dafür zuständige Instanz, das Bundesverfassungsgericht, auch mehrfach bestätigt. Dass Sie angeblich auf Ihren Lohn 40% Abgaben zahlen ist ein wenig polemisch, denn knapp die Hälfte übernimmt Ihr Arbeitgeber - die Annahme, dass dieses Geld bei anderer Finanzierung der Sozialsysteme zu Ihrem Bruttoverdienst ungeschmälert hinzukäme, ist überoptimistisch.

Was Sie bei einem Systemwechsel an Sozialabgaben weniger zu entrichten hätten, müssten Sie weitestgehend dann mit erhöhten Steuern abführen. Denn irgendwie müssen die Sozialausgaben ja finanziert werden. Allerdings hat eine Steuerfinanzierung den Vorteil, dass dann alle herangezogen werden, z.B. Selbständige, und nicht nur Lohn- und Gehaltsbezieher.

Ein Kritikpunkt ist der seltsame Nebeneffekt, den Sie anführen. Dass Existenzminimum gilt im Steuerrecht, aber bei den Sozialabgaben wird vom ersten Euro an der volle Satz verlangt. Bei einem geringen Einkommen (ca. Euro 830 Arbeitnehmerbrutto) kann das im Ergebnis heißen, dass netto weniger als das steuerliche Existenzminimum (ca. Euro 638) und auch weniger als die Regelleistungen nach SGB II (in Berlin alles in allem Euro 711) in der Haushaltskasse bleiben. Und dass Sie dann ?aufstocken? können und müssen.

Dies ist umständlich und widersprüchlich: In die eine Tasche rein, aus der anderen wieder raus. Besser wäre es, endlich die bündnisgrüne Idee einer Progression bei den Sozialbeiträgen umzusetzen. Bei einem geringen Bruttoeinkommen würden sie dann nicht die vollen Beitragssätze zahlen müssen, hätten mehr netto und brauchten schon gar keine "Aufstockung" samt Papierkrieg. Und nicht zuletzt könnte man von Jobs im Niedriglohnbereich wieder leben. Und es würde dann, wie im Steuersystem, von den Stärkeren auch eine prozentual höhere Leistung verlangt als von den Schwächeren - ein wichtiger Baustein der Solidarität.

Mit freundlichen Grüßen

Wolfgang Wieland