Sehr geehrter Herr Audretsch, wie kann der Bundestag das Freihandelsabkommen CETA ratifizieren,zu einem Zeitpunkt, zu dem die Interpretationserklärung zum Investitionsschutz noch nicht verhandelt war?

Andreas Audretsch
Andreas Audretsch
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Thomas G. •

Sehr geehrter Herr Audretsch, wie kann der Bundestag das Freihandelsabkommen CETA ratifizieren,zu einem Zeitpunkt, zu dem die Interpretationserklärung zum Investitionsschutz noch nicht verhandelt war?

Erst über ein halbes Jahr später wurde die Interpretationserklärung finalisiert. Die
Bundestagsabgeordneten stimmten damit einem Abkommen unter Bedingung auf ein Papier zu, welches sie nicht kannten und dessen Inhalt sie nicht beeinflussen konnten.
Darüber hinaus wurden nahezu alle Bezüge zu Klimapolitik und konkretere Absprachen zum Klimaschutz aus dem Entwurf der Interpretationserklärung gestrichen.
Mehrere juristische Untersuchungen kamen zu dem Schluss, dass die vorliegende Interpretationserklärung keine bindende oder gar ändernde Wirkung auf den Vertragstext selbst hat. Damit haben Konzernklagerechte weiterhin Bestand auch aufgrund fortschrittschlicher Gesetzgebung zum Schutz des Klimas und des Verbraucherschutzes (s. Rechtsanwälte Günther - Hamburg: "CETA und Klimaschutz - Kann eine Interpretationserklärung Abhilfe schaffen?").
MfG Thomas G. – Berlin

Andreas Audretsch
Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr G.,

vielen Dank für die Anfrage. Zu dem von Ihnen angesprochenen Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada hatten wir in der Regierung und im Parlament u.a. mit einer öffentlichen Anhörung im Wirtschaftsausschuss und mehreren Stakeholderkonsultationen auf Fraktionsebene, in enger Abstimmung mit den Abgeordneten des EU-Parlaments, einen intensiven Debattenprozess zur Positionsfindung. Uns sind die von Ihnen angeführten Positionierungen aus der Zivilgesellschaft und die Studien, u.a. beauftragt aus den Reihen des EU-Parlaments, bekannt. Darüber hinaus liegen uns ebenso Ausarbeitungen unseres Justitiariats und des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages vor. Aufgrund der in diesem Abkommen enthaltenen und die demokratischen Handlungsmöglichkeiten einschränkenden Investor-Staat-Schiedsgerichte haben wir als Bündnisgrüne CETA immer kritisch gesehen. Mit der SPD und FPD haben wir uns innerhalb der Koalition auf ein Vorgehen einigen können, um diese problematischen Aspekte einzuschränken, deutliche Nachbesserungen bei CETA zu erreichen und eine Neuausrichtung der Handelspolitik insgesamt festzuschreiben.

Die Koalition hat am 01. Juli 2022 mit dem Beschluss einer Handelsagenda der Bundesregierung die handelspolitischen Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag konkretisiert und am 11.11.2022 eine Weiterentwicklung der Handelsagenda in Schriftform vorgelegt, die u.a. in einer Paketlösung neben der Ratifikation von CETA den endgültigen Austritt aus dem Energiecharta-Vertrag festhält. Über den Sommer 2023 wurde die ergänzende Interpretationserklärung zwischen der EU-Kommission und Kanada geeint. Nach Abschluss des Prozesses auf EU-Ebene wird der Weg frei für die Annahme des entsprechenden Beschlusses im Gemeinsamen CETA-Ausschuss.

Mit der Interpretationserklärung wird der in CETA bereits angelegte Willen der Vertragsparteien, den staatlichen Regulierungsraum zu erhöhen, konkretisiert und somit für zusätzliche Rechtsklarheit gesorgt. Durch die geeinte Interpretationserklärung sind die Tatbestandsvoraussetzungen der indirekten Enteignung sehr eng gefasst. So kann eine indirekte Enteignung u.a. nur vorliegen, wenn dem Investor die Nutzung, der Genuss und die Verfügung über seine Investition radikal entzogen werden, also die damit verbundenen Rechte nicht mehr bestehen. 

Bei der Debatte um die Ausgestaltung der Schiedsgerichte ist zu beachten, dass die Mitglieder derselben - anders als die Mitglieder von Ad hoc-Schiedsgerichten des traditionellen Investitionsschutzes - ausschließlich von den Vertragsparteien und nicht teilweise auch von Investoren benannt werden. Es kann daher damit gerechnet werden, dass diese Mitglieder sich dem Willen der Vertragsparteien (und nicht den Investoren!) besonders verpflichtet sehen und keine Anreize haben, sich über diesen hinweg zu setzen. Weitere Details zum Investitionsschutz finden sich auf der Webseite des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz.

Nach einer endgültigen Ratifizierung von CETA durch alle Partner - und dem damit einhergehenden In-Kraft-Treten, werden wir unmittelbar die festgehaltene Review-Clause aufrufen, um den auf 5 Jahre festgelegten Prozess zur Weiterentwicklung von CETA im Sinne der neuen EU-weit geeinten sanktionsbewährten Nachhaltigkeitskapitel einzuleiten. Sowohl Kanada, als auch die EU stimmen in diesem Ziel überein und haben in Kapitel 22 des CETA-Vertragstextes bereist verankert "dass der Handel eine nachhaltige Entwicklung fördern solle." Hierzu erkennen die Vertragsparteien an, "dass wirtschaftliche Entwicklung, soziale Entwicklung und Umweltschutz sich gegenseitig beeinflussende und verstärkende Komponenten einer nachhaltigen Entwicklung seien, und bekräftigen ihre Entschlossenheit, die Entwicklung des internationalen Handels in einer Weise zu fördern, die dem Ziel einer nachhaltigen Entwicklung zum Wohle der heutigen und künftigen Generationen gerecht wird.

Die durch die Ampelparteien in die Wege geleitete Ratifizierung von CETA wird von einer ambitionierten Handelsagenda flankiert: Mit dem einseitigen Austritt aus dem Energiecharta-Vertrag lösen wir eine riesige Blockade für mehr Klimaschutz und haben eine EU-weite Austrittsbewegung initiiert. Die EU-Kommission sieht mittlerweile keine Alternative zum Rücktritt der EU, der Euratom und der einzelnen Mitgliedsstaaten, da der nicht modernisierte Vertrag nicht mit der Investitionspolitik und dem Investitionsrecht der EU sowie mit den Energie- und Klimazielen der EU im Einklang stehe. Wie sehr der Energiecharta-Vertrag dem Klimaschutz im Weg steht, zeigen die vielen Klagen in Milliardenhöhe. So hatte Vattenfall wegen des Atomausstiegs gegen Deutschland geklagt, letztlich zahlte die Bundesrepublik in einem Vergleich einen Milliarden-Betrag. Auch gegen andere Länder war auf Grund des Energiecharta-Vertrages geklagt worden - so gingen etwa RWE und Uniper gegen den niederländischen Kohleausstieg vor. Damit ist künftig Schluss. Mit dem Ausstieg Deutschlands macht die Bundesrepublik einen riesigen Schritt in Richtung mehr Klimaschutz. Mit dem Austritt aus dem Vertrag zeigen wir: Die Ampel ist bereit auch harte und klare Entscheidungen zum Schutz des Klimas zu fällen.

Mit besten Grüßen,

Andreas Audretsch

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