Sehr geehrte Frau Liebert, weshalb schafft die Ampel nicht das Merit-Order-Prinzip ab und weshalb verbietet sie nicht, dass Gas- und Strompreise an der Börse gemacht werden?

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Anja Liebert
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Frage von Samuel K. •

Sehr geehrte Frau Liebert, weshalb schafft die Ampel nicht das Merit-Order-Prinzip ab und weshalb verbietet sie nicht, dass Gas- und Strompreise an der Börse gemacht werden?

Warum werden Strom- und Gaspreis nicht wieder voneinander entkoppelt (Abschaffung des Merit-Order-Prinzips), was nur zu gigantischen Übergewinnen der Energiekonzerne führt und vor allem dem Zweck dient, Aktionären die Taschen zu füllen? Weshalb macht sich die Bundesregierung in Brüssel nicht dafür stark, dass Strom- und Gaspreise in Zukunft nicht mehr an der Börse gemacht werden dürfen sondern, weil sie zur Daseinsvorsorge gehören und vor Spekulationsgewinnen geschützt werden müssen, wie vor 2000 (Strom) bzw. vor 2007 (Gas) nur noch nach marktwirtschaftlichen Kriterien am realen Markt (Produktionskosten, Angebot und Nachfrage)? Die Preise würden sofort sinken und am Markt würden sich die erneuerbaren Energien als die preisgünstigsten rasch durchsetzen. Die Einrichtung der Energiebörsen war ideologisch motiviert (Neoliberalismus, Turbokapitalismus) und keine der Versprechungen wie Effizienz oder sinkende Preise wurden erfüllt. Stattdessen subventioniert die Ampel Gas und Atomstrom.

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Sehr geehrter Herr K.,

vielen Dank für Ihre Frage zur Gas- und Strompreisbremse, bzw. zur Abschaffung des so genannten „Merit-Order-Prinzips“, das wesentlich Einfluss auf die Strompreisbildung hat.

Durch den rasanten Anstieg der Gaspreise vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine ist auch der Strompreis stark gestiegen. Die Kosten der meisten Stromerzeuger sind dabei deutlich weniger angestiegen als der Preis, den sie für ihren Strom am Markt bekommen. Die Betreiber von Atom- und Braunkohlekraftwerken erzielen daher derzeit große Zufallsgewinne, ebenso die Betreiber von Wind- und Solarparks. Wir haben das früh kritisiert und mit den Ampel-Partnern vereinbart, dass ein Teil dieser Zufallsgewinne abgeschöpft und das Geld an die Kunden zurückgegeben wird.

Im Stromsektor stellen die Erneuerbaren Energien erfreulicherweise inzwischen den größten und günstigsten Anteil unter den Energiequellen. Wir haben als Grüne deshalb schon bei der letzten EEG-Reform für sogenannte Differenzverträge gekämpft: Diese sichern einerseits Erneuerbare auch bei Preisstürzen gegen Insolvenz und andererseits Verbraucher gegen hohe Preise ab. Sie schaffen also verlässliche Investitionsbedingungen, um den Ausbau der günstigen Erneuerbaren endlich wieder schnell voranzutreiben, und verhindern andererseits, dass diese bei weitem größte Erzeugergruppe durch den Krieg Zufallsgewinne mitnehmen kann. Diese Regelung ist am massiven Widerstand der FDP gescheitert. Allein in diesem Jahr belaufen sich die Zufallsgewinne bei den Erneuerbaren auf über 20 Milliarden Euro.

Das Wirtschaftsministerium hat einen alternativen Weg eingeschlagen, um wenigstens einen Teil der Zufallsgewinne bei Erneuerbaren, Kohle und Atom abzuschöpfen und das Geld an die Kunden zurückzugeben. Der entsprechende Gesetzesentwurf zur Strom- und Gaspreisbremse wurde Mitte Dezember im Bundestag verabschiedet und beschlossen.

Das „Gesetzes zur Einführung einer Strompreisbremse und zur Änderung weiterer energierechtlicher Bestimmungen“ (Drucksache 20/4685) sieht vor, Zufallsgewinne abzuschöpfen und unter anderem mithilfe dieses Geldes den Verbraucherinnen und Verbrauchern eine Basisversorgung zu günstigeren Preisen zu ermöglichen. Damit die Motivation zum Energiesparen bleibt, greift ab einem gewissen Verbrauch der Marktpreis. So sollen die Stromkosten insgesamt sinken.

Wir - die Bundesregierung und meine Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen – halten dies für den besseren Weg als die Abschaffung der Merit Order. Diese ist übrigens das grundlegende Prinzip in fast allen Märkten und nicht per Gesetz eingeführt worden. Sie ist der entscheidende Mechanismus, damit flexible Verbraucher wie Wasserstoffproduktion, flexible Industrieprozesse und Wärmepumpe auf die Verfügbarkeit von Wind und Sonne reagieren können. Es hat bisher niemand ein schlüssiges Konzept vorgelegt, wie die Einsatzzeiten der vielen Millionen flexiblen Erzeuger und Verbraucher in Deutschland ohne Merit Order sinnvoll koordiniert werden sollen.

Auch beispielsweise Spanien hat das „Merit-Oder-Prinzip“ übrigens nicht abgeschafft: Auch dort werden, ebenso wie hierzulande, nach wie vor die günstigsten Kraftwerke bevorzugt zugeschaltet, um den Strombedarf zu decken. Das Prinzip der Merit Order gilt also nach wie vor. In Spanien wird jedoch das Geld, das Gaskraftwerke beim Gaseinkauf über derzeit 40€/MWh hinaus bezahlen müssen, vom Staat übernommen. Somit wird das Gas, das in Gaskraftwerken zur Stromgewinnung verbrannt wird, mit Steuergeld subventioniert.

Dadurch sinkt der Strompreis, den die Verbraucher zahlen müssen. Allerdings nicht nur der: Der Gasverbrauch der spanischen Kraftwerke stieg auch stark an, unter anderem, weil nun günstiger, spanischer Strom aus Gas auch in Portugal kräftig nachgefragt wurde. Dieses spezielle spanische Modell funktioniert also nur deshalb einigermaßen, weil Spanien und Portugal eine Halbinsel bilden und in den restlichen europäischen Strommarkt nur bedingt eingebunden sind. Für Deutschland ist es keine sinnvolle Option.

Mit freundlichen Grüßen

Anja Liebert

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