Frage an Bärbel Bas bezüglich Verkehr

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Bärbel Bas
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Frage von Andreas P. •

Frage an Bärbel Bas von Andreas P. bezüglich Verkehr

Hallo Frau Bas,

als Neubürger und evangelischer Pastor in Rheinhausen grüße ich sie. 26 Jahre lang habe ich in der Nähe von Recife/Brasilien gelebt, wo ich die Funktionsweise einer ÖPP und die elende Lobby- und Korruptionsarbeit der damit betrauten Firma Odebrecht in Echtzeit und in jeder einzelnen Phase mitverfolgen "durfte". Die Enteignungen, Abhängigmachungen und Verhöhnungen und der ärmeren Bevölkerung (die mit kurzzeitigen Arbeitsplätzen, nutzlosen Kursangeboten und lächerlichen Versprechungen immer wieder geködert sowie mit Drohungen in Schach gehalten wurde) durch die mittlerweile zu einer Rekordstrafe verurteilten Firma, mit der diese ihren Brücken- und Straßenbau (mit Mautstation) und ihr Luxusviertel gegen alle Ethik und alle ökologischen Einwände durchdrückte, schrien zum Himmel. Gefördert wurde all das ausgerechnet durch die sozialistische Partei von Lula und Dilma und ihre Korruptionsgenossen, zu denen ja auch der derzeitige rechte Präsident Temer gehört. Die Praxis deser ÖPP war das absolute Gegenteil einer sozialistischen oder auch sozialdemokratischen, humanistisch motivierten Politik, sie galt ausschließlich der Bereicherung von multinationalen Konzernen, Milliardären und Politikern.

Nun mögen Sie einwenden, dass Deutschland nicht in Brasilien ist. Ich glaube nicht, dass die grundsätzlichen Unterschiede so groß sind, denn das Grundkonzept einer ÖPP öffnet Tür und Tor für Abhängigkeiten, Verflechtungen und mafiöse Strukturen zwischen Politik und Wirtschaft. So fürchte ich, dass die SPD, wenn sie diesem neuen ÖPP-Gesetz zustimmt, "brasilianische Verhältnisse" in Deutschland erleichtert.

So wie ich entsetzt war von sozialistischer "Ethik" in Südamerika, so frage ich mich auch hier, wie die Erleichterung von Lobbyherrschaft und Korruption zu einer sozialdemokratischen Partei passt. Ich möchte Ihnen somit dringend raten, GEGEN die Grundgesetzänderung zu stimmen.

MfG, A.P.

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Sehr geehrter Herr Pascher,

vielen Dank für Ihre Mail, Ihr Engagement und Ihre Schilderung der Ereignisse in Recife. Mein Büroleiter, Herr Reiß, hatte mir auch von Ihrem Anruf berichtet.

Was Sie von Ihren 26 Jahren in Brasilien berichten, liest sich in der Tat himmelschreiend - sowohl der Umgang mit der ärmeren Bevölkerung und der Umwelt, als auch das Verhalten der brasilianischen PolitikerInnen. Der Deutsche Bundestag hat mit den Grundgesetzänderungen aber eben nicht Tür und Tor für die von Ihnen beschriebenen Abhängigkeiten, Verflechtungen oder sogar mafiösen Strukturen geöffnet, sondern ÖPP deutlich und sogar grundgesetzlich erschwert.

In den vergangenen Wochen hat vor allem ein Aufruf von Change.org und der Artikel „Autobahn-Privatisierung: SPD täuscht die eigenen Genossen“ vom 26. Mai in der Berliner Zeitung für viel Wirbel gesorgt. Tatsächlich haben wir SozialdemokratInnen die Privatisierung effektiv verhindert. Einzelprojekt-ÖPP werden zwar weiter erlaubt sein (wie bei der österreichischen Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft, kurz, ASFINAG), aber im Gegensatz zum Status Quo haben wir jetzt sogar grundgesetzliche Einschränkungen für ÖPP beschlossen und die bestehenden Fehlanreize innerhalb der Auftragsverwaltung aufgehoben.

Meine zuständigen SPD-BundestagskollegInnen aus dem Haushalts- und Verkehrsausschuss haben Ihre Kritikpunkte auch in ihre parlamentarische Arbeit einbezogen. Die beiden Abgeordneten Bettina Hagedorn und Johannes Kahrs haben zwischen dem 15. und 17. Mai hunderttausende von Unterschriften von „Change.org.“, von „campact“ und „Gemeingut in BürgerInnenhand“ übergeben bekommen und dabei öffentlich sehr wertschätzende Statements zu dieser gesellschaftlichen Initiative abgegeben. Diese haben sich seit Monaten richtigerweise eindeutig GEGEN die Privatisierung unseres Bundesautobahn- und Bundesfernstraßennetzes gerichtet und die Initiative wurde von uns als „Rückenwind“ in den wochenlangen Verhandlungen mit dem CDU-Koalitionspartner gewertet. Unsere kritische SPD-Positionierung haben wir übrigens bereits im Januar 2016 in einem Positionspapier festgehalten und deutlich gemacht: Wir lehnen den Ansatz „Privat vor Staat“ entschieden ab.

Wir Abgeordneten haben in den vergangenen Wochen im parlamentarischen Verfahren der geplanten Privatisierung die „Giftzähne gezogen“ – was übrigens auch ver.di oder der Bundesrechnungshof bestätigen - und die von den CDU/CSU-Ministern Schäuble und Dobrindt gewollte Autobahngesellschaft um 180 Grad gedreht. Die Gesellschaft wird jetzt zu 100 Prozent staatlich über den Bundeshaushalt finanziert, kann keine Kredite aufnehmen und weder mittelbar noch unmittelbar Beteiligungen von Privaten erlauben. Die Kontrolle der Gesellschaft wird künftig durch den Bundesrechnungshof sichergestellt. Damit werden auch wir Abgeordnete den Betrieb und sämtliche Investitionen und Aufträge in Zukunft eher besser kontrollieren und steuern können als heute. Auf der Website meiner Kollegin Bettina Hagedorn (www.bettina-hagedorn.de) finden Sie weiteres Informationsmaterial.

Um die Privatisierung zu verhindern, hatte die SPD die eigentlich bereits für den 19. Mai vorgesehene Beschlussfassung im Deutschen Bundestag blockiert. Der Zeitplan für die Beschlussfassung entspricht einem geordneten Verfahren und ist sicher kein Gesetzgebungsverfahren „im Sauseschritt“. Jetzt können wir verkünden: Versprochen – gehalten! Das Verbot von funktionaler Privatisierung bei Teil-Netz-ÖPP kommt ins Grundgesetz und wird somit verfassungsrechtlich festgeschrieben. Grundgesetzlich schließen wir auch eine unmittelbare und mittelbare Beteiligung von Privaten an der neu zu gründenden Gesellschaft und ihrer regionalen Tochtergesellschaften aus. Damit errichten wir im Gesetz – und auch im Grundgesetz – Schranken, wo es vorher keine gab.

Die tatsächlichen Veränderungen am Regierungsentwurf, die vor allem meine SPD-KollegInnen im Haushaltsausschuss durchgesetzt haben, finden Sie in folgender Zusammenfassung:

1. In Artikel 90 Absatz 2 des Grundgesetzes wird der Satz eingefügt: „Eine unmittelbare oder mittelbare Beteiligung Dritter an der Gesellschaft und deren Tochtergesellschaften ist ausgeschlossen.“

2. Eine funktionale Privatisierung durch die Übertragung eigener Aufgaben der Gesellschaft auf Dritte, z.B. durch Teilnetz-ÖPP, wird ausgeschlossen. In Artikel 90 Absatz 2 des Grundgesetzes wird dazu der Satz eingefügt: „Eine Beteiligung Privater im Rahmen von Öffentlich-Privaten Partnerschaften ist ausgeschlossen für Streckennetze, die das gesamte Bundesautobahnnetz oder das gesamte Netz sonstiger Bundesfernstraßen in einem Land oder wesentliche Teile davon umfassen.“

3. Eine Übertragung von Altschulden auf die Gesellschaft wird ausgeschlossen.

4. Die Gesellschaft wird nicht kreditfähig. Damit ist die Gefahr einer Aufnahme von privatem Kapital zu hohen Zinsen gebannt. Um effizient wirtschaften zu können, kann die Gesellschaft aber Liquiditätshilfen (zinslose Darlehen) aus dem Bundeshaushalt erhalten – wie andere Bundesgesellschaften auch.

5. Das wirtschaftliche Eigentum an den Fernstraßen geht nicht an die Gesellschaft über, sondern bleibt beim Bund. Die Übertragung und die Überlassung von (Nießbrauch-) Rechten werden ausgeschlossen.

6. Mautgläubiger bleibt der Bund (für Lkw-Maut und Pkw-Maut). Die Option, dass die Gesellschaft das Mautaufkommen direkt vereinnahmen kann, ist gestrichen. Die zweckgebundenen Einnahmen (Lkw-Maut, Pkw-Maut) fließen der Gesellschaft wie bisher über den Bundeshaushalt zu.

7. Das Verkehrsministerium kann Befugnisse und Aufgaben der Gesellschaft und des Fernstraßen-Bundesamtes nur dann auf andere vom Bund gegründete Gesellschaften übertragen, wenn diese im ausschließlichen Eigentum des Bundes stehen.

8. Spartengesellschaften sind ausgeschlossen. Zur Herstellung der Präsenz in der Fläche kann die Gesellschaft aber bedarfsgerecht bis zu zehn regionale Tochtergesellschaften gründen, die denselben Restriktionen unterliegen wie die Muttergesellschaft.

9. Die Gesellschaft wird als GmbH errichtet. Die Evaluationsklausel, die eine einfache Umwandlung zur AG ermöglicht hätte, wird gestrichen.

10. Der Gesellschaftsvertrag (= Satzung) der GmbH und wesentliche Änderungen bedürfen der vorherigen Zustimmung durch den Haushaltsausschuss und den Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages.

11. Eine unabhängige externe Prüfung der Haushalts- und Wirtschaftsführung der Gesellschaft sowie möglicher Töchter wird sichergestellt, indem entsprechende Prüfrechte des Bundesrechnungshofes verankert werden.

12. Kontroll- und Einflussmöglichkeiten des Parlaments auf Verkehrsinvestitionen bleiben vollumfänglich erhalten.

13. Der fünfjährige Finanzierungs- und Realisierungsplan für Verkehrsinvestitionen der Gesellschaft bedarf der vorherigen Zustimmung durch den Haushaltsausschuss und den Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages (während dieser 5-Jahresplan nach heutigem Recht den Ausschüssen vom Verkehrsministerium nur „zur Kenntnis“ und damit ohne Zustimmungsvorbehalt vorgelegt wird).

Change.org beschreibt in seinem Aufruf die Gefahr, dass „unter einer möglichen neoliberalen schwarz-gelben Koalition“ genau diese gesetzlichen Restriktionen ausgehebelt werden könnten. Dazu möchte ich betonen: Eine schwarz-gelbe Regierung konnte leider auch die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke nur wenige Monate vor Fukushima beschließen und nur dadurch den vier Energiemonopolisten Klagemöglichkeiten auf milliardenschweren Regress nach der Energiewende eröffnen. Man kann leider nicht grundgesetzlich ausschließen, dass künftige Regierungen folgenschwere negative Entscheidungen für die Menschen treffen. In der Demokratie haben genau diese Verantwortung die Wählerinnen und Wähler. Aktuell soll Schwarz-Gelb im Bund in den Umfragen der Demoskopen eine Mehrheit haben. Helfen Sie mit, dass sich das bis zum 24. September 2017 ändert und unterstützen Sie dazu die Arbeit der SPD.

Für die ca. 11.000 Beschäftigten der Straßenbauverwaltungen der Länder, die in den nächsten Jahren vermutlich überwiegend zum Bund wechseln werden, haben wir Sozialdemokraten in den letzten Wochen ebenfalls massive Verbesserungen am Regierungsentwurf in engen Abstimmung mit Gewerkschaften und Personalräten vorgenommen. Der Gesetzentwurf von Herrn Schäuble und Herrn Dobrindt sah eine quasi „mitbestimmungsfreie“ Übergangszeit von über 4 Jahren vor und keine Tarifverhandlungen und -verträge für die zu gründende Gesellschaft.

1. Zum Personalübergang von den Straßenbauverwaltungen der Länder werden – abweichend vom Regierungsentwurf – die Mitbestimmung der Beschäftigten gestärkt, die Freiwilligkeit zum Prinzip erhoben und die vorgesehenen Eingriffe in die Tarifautonomie korrigiert - Kernforderungen der Gewerkschaften werden damit umgesetzt.

2. Der Bund wird alle wechselbereiten Beschäftigten (bis zu 11.000 Beamte, Arbeitnehmer und Auszubildende) unter Wahrung ihrer Besitzstände übernehmen (keine Rosinenpickerei“). Nicht wechselbereite Beschäftigte bei Ländern und Kommunen werden weiterbeschäftigt, deren Personalkosten werden den Ländern voll erstattet.

3. Das Widerspruchsrecht wird unmissverständlich verankert: Die Vorschriften des § 613a BGB über den Betriebsübergang finden analog Anwendung. Die Weiterverwendung erfolgt grundsätzlich am bisherigen Arbeitsplatz und Arbeitsort.

4. Für die Beschäftigten bei der Gesellschaft sind Tarifverträge abzuschließen. Für die Überleitung der Beschäftigten werden Überleitungstarifverträge angestrebt. Beides wird gesetzlich geregelt.

5. Die Personalvertretungen werden an der Arbeit des begleitenden Bund-Länder-Gremiums beteiligt, sofern Belange der Beschäftigten berührt sind.

6. Der Übergang erfolgt zügig, die neue Struktur soll schnell leistungsfähig sein. Die Gesellschaft soll deutlich früher den Betrieb aufnehmen als zum 1. Januar 2021, wie im Regierungsentwurf vorgesehen. Sie wird 2018 gegründet. Ferner wird die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft (VIFG) zum 1. Januar 2019 auf die neue Gesellschaft verschmolzen, anstatt ihre Aufgaben scheibchenweise zu übertragen und die VIFG dann aufzulösen.

7. Die Auftragsverwaltung kann schon vor dem 31. Dezember 2020 beendet werden. Die Gesellschaft kann ab dem 1. Januar 2020 im Einvernehmen mit dem jeweiligen Land die Planung und den Bau von Bundesautobahnen wahrnehmen.

8. Sobald ein Land sein auf die Gesellschaft zu übertragendes Personal und die Sachmittel vollständig übertragen hat, übernimmt der Bund auch vor 2021 die Kosten für die vom Bund veranlassten Planungen. Damit wird Fehlanreizen für die Länder bei ihren Planungsleistungen entgegengesteuert.

Sehr geehrter Herr Pascher, die Erleichterung von Lobbyherrschaft und Korruption passt selbstverständlich nicht zu einer sozialdemokratischen Partei. Ich kann Ihnen da nur ausdrücklich zustimmen. Für mich ist Transparenz das beste Gegenmittel. Deshalb dokumentiere ich auf meiner Website seit meinem Einzug in den Deutschen Bundestag 2009 alle meine Gespräche mit Interessenvertretern/Lobbyisten: http://www.baerbelbas.de/glaeserne-abgeordnete-baerbel-bas/lobbygespraeche.html

Meine vollständige persönliche Erklärung zur Neuregelung des Länderfinanzausgleichs finden Sie ebenfalls auf meiner Website: http://www.baerbelbas.de/themen/magazin/85-aktuelle-news/1255-persoenliche-erklaerung-zur-neuregelung-des-laenderfinanzausgleichs.html

Mit freundlichen Grüßen nach Rheinhausen

Bärbel Bas

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