Frage an Barbara Lochbihler bezüglich Soziale Sicherung

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Barbara Lochbihler
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Frage an Barbara Lochbihler von Elisabeth H. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrte Frau Lochbihler,

in der Bild sagte die Grünen-Chefin Peter folgendes:

BILD: Sind Sie wie die Linke für unkontrollierte Zuwanderung aus anderen EU-Ländern?

Peter: „Wir fordern keine unbegrenzte, sondern fair geregelte Zuwanderung. Dank der Freizügigkeit kommen dringend benötigte Fachkräfte. Von massenhafter Armutszuwanderung kann nicht die Rede sein. Allerdings gibt es Armut und Diskriminierung in Europa. Das muss mit unserer Unterstützung vor Ort bekämpft werden. Da haben CDU und auch CSU in den letzten acht Jahren die Hände in den Schoß gelegt.“
Zitat Ende.

Worin besteht Ihrer Meinung nach der Unterschied zwischen der Einwanderungspolitik der Linkspartei und der Grünen?

Wie man in diesem Beitrag sah, kam ein ganzes Dorf nach Berlin:

http://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/weltspiegel/sendung/swr/2013/rumaenien-fantanele-100.html

Warum ist die Politik nicht so ehrlich und sagt: " Das ist der Preis für Europa"?

Vielleicht wäre es mal an der Zeit, die Bevölkerung zu fragen, ob sie noch mehr solche Zuwanderung und noch mehr EU-Staaten möchte, die aus meiner Sicht nicht EU-reif sind. Was meinen Sie dazu?

Von 240.000 neuen Stellen sollen in diesem Jahr laut diesem Bericht nur 37.000 neue Stellen an Arbeitslose, aber der Großteil an Zuwanderer gehen:
http://www.rp-online.de/wirtschaft/auch-2014-wird-es-keinen-job-boom-geben-aid-1.3708096

Ich finde es nicht gut, dass man sich in Deutschland damit abgefunden hat, dass manche Menschen offensichtlich keine Chance auf einen Arbeitsplatz haben. Finden Sie so eine Entwicklung für gut? Wenn die eigenen Arbeitslosen abgeschrieben sind?

Worin besteht der Unterschied zwischen "Armutszuwanderer" und Arbeiter? Für die Stelle die ein Zuwanderer bekommt, müssen wir doch einen hier lebenden Menschen mit Sozialhilfe ausstatten, wenn er die offene Stelle nicht bekommt, oder?

Mit freundlichen Grüßen

Elisabeth Huber

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Huber,

vielen Dank für Ihre Anfrage. Was den Vergleich mit der Einwanderungspolitik der Linken betrifft, mögen Sie mir verzeihen, dass ich nicht groß kommentiere. Wir Grüne stehen für unsere Ideen und Visionen, das sollte reichen. Wenn Sie Fragen zur Politik der Linken haben, bin ich davon überzeugt, dass Sie dort qualifizierte Antwort erhalten werden.

Nun zum eigentlichen Thema: Der Arbeitnehmerfreizügigkeit von RumänInnen und BulgarInnen. Ich möchte hier einige Dinge klarstellen. Das Wichtigste: Lassen Sie uns bitte bei den Fakten bleiben. Es hilft weder Panikmache noch Pauschalisierung.

Auf europäischer Ebene ist klar geregelt, welche Rechte andere EU-Bürger in einem anderen Mitgliedstaat haben und welche nicht. Diesem Rechtekatalog hat auch Deutschland zugestimmt, ebenso wie der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Es verwundert mich deshalb bisweilen schon, dass PolitikerInnen aus CDU und vor allem CSU so tun, als hätten sie nichts gewusst. Das ist eine Verfälschung der Tatsachen und sollte auch als solche beschrieben werden.

Im angesprochenen europäischen Recht sind zahlreiche Klauseln enthalten, wie die Mitgliedstaaten gegen einen möglichen Missbrauch der Freizügigkeit vorgehen können. Beispielsweise darf nur in Deutschland bleiben, wer nach drei Monaten eine Arbeit hat, der Familie eines oder einer Arbeitstätigen angehört, studiert oder beweisen kann, ohne Sozialhilfe aus eigenen Ressourcen über die Runden zu kommen. In Einzelfällen mag es zu Missbrauch kommen. Hier ist Deutschland aufgerufen, die europäischen Bestimmungen zum Schutz der Freizügigkeit in der EU umzusetzen.

In dem Zusammenhang deuten übrigens alle Zahlen sehr klar darauf hin, dass es einen breit angelegten Sozialmissbrauch nicht gibt. Die Frage der Kommission an die deutsche Regierung, damals noch unter Innenminister Friedrich, er möge Beweise vorlegen, blieb unbeantwortet. Experten wiederholen immer wieder, dass sogar das Gegenteil der Fall ist: Die Freizügigkeit von ArbeitnehmerInnen auch aus den neuen EU-Mitgliedstaaten hat unterm Strich positive wirtschaftliche Auswirkungen. Die Arbeiter zahlen mehr in die Sozialkassen ein, als andere in Form sozialer Unterstützung erhalten.

Das schließt natürlich nicht aus - und damit komme ich zum letzten Teil Ihrer Anfrage - dass es einerseits an Orten wie Duisburg oder Berlin zu einer Ballung der wenigen Fälle kommt, in denen besondere Hilfe und Aufmerksamkeit benötigt wird, und dass andererseits und glücklicherweise viele Migrantinnen und Migranten in Deutschland einen Job erhalten. Was Städte wie Duisburg oder Berlin betrifft, möchte ich auch hier zu Sachlichkeit aufrufen. Auch wir Grüne sehen dringenden Handlungsbedarf. Die Kommunen und Städte dürfen nicht weiter mit der Aufgabe allein gelassen werden. Sie brauchen finanzielle und konzeptionelle Hilfe vom Bund. Der aber ist damit beschäftigt, laut und pauschal herum zu poltern. Auch hört man immer wieder, vor allem von CSU-Vertretern in der Bundesregierung, man fordere mehr Geld von der EU. Da kann ich nur sagen: Das Geld ist da. Allein der europäische Sozialfonds hat eine Größenordnung von 10 Milliarden Euro pro Jahr. Die Kommission ruft dazu auf, den Fonds vorrangig zur Integration in den Arbeitsmarkt und zur Inklusion von Minderheiten einzusetzen. Wie die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung aber erst am vergangenen Wochenende bestätigte, ruft auch Deutschland nur 63% der im ESF zur Verfügung stehenden Gelder ab. Anstatt Probleme an die Wand zu malen, die keine sind, sollte Berlin hier also seinen Kommunen und Städten endlich fachgerecht zur Seite stehen.

Nun zu Ihrem Vorwurf, Migrantinnen und Migranten würden den Deutschen die Jobs weg nehmen. Die Realität auf dem Arbeitsmarkt ist kompliziert. So weisen nicht nur wir, sondern auch WirtschaftswissenschaftlerInnen ebenso wie die Industrie- und Wirtschaftsverbände auf die (aufgrund der Demografie) dringend notwendige Einwanderung von (mehr, oft aber auch weniger ausgebildeten) Arbeitskräften hin. Offensichtlich ist die Situation also so, dass die benötigten Arbeitskräfte nicht immer aus der Gruppe von Arbeitslosen in Deutschland bezogen werden können. Bedarf und die Ausrichtung vieler Fachkräfte in Deutschland gehen häufig nicht einher. Beispielsweise besteht massiver Nachholbedarf im Pflegebereich, aber nur wenige Deutsche sind bereit, diesen Berufsweg einzuschlagen. Ein Grund mehr, für gute und ausreichende Weiterbildungsmaßnahmen von Arbeitssuchenden zu sorgen und auch das deutsche Ausbildungssystem weiter zu verbessern. Ich stimme Ihnen hier deshalb voll und ganz zu: Niemand sollte aufgegeben werden in unserer Gesellschaft, und gerade wir Grünen setzen uns seit Jahren für eine bessere Eingliederung von Arbeitssuchenden ein. Gleichzeitig sehe ich aber keinen Grund, gegen die Freizügigkeit in der EU zu wettern. Sie kommt auch Deutschland und seinem Arbeitsmarkt zugute.

Es entsteht somit unterm Strich kein "Preis für Europa", wenn ich Sie da zitieren darf. Vielmehr trägt die Freizügigkeit und die Einwanderung von qualifizierten wie unqualifizierten Migrantinnen und Migranten zum Abfangen von Engpässen und zur Stabilisierung des Arbeitsmarktes und einer alternden Gesellschaft bei. Wo es aber dennoch zu Schwierigkeiten kommt, stehen uns viele Mittel zur Verfügung, die Herausforderungen anzugehen. Allein, mit populistischen Falschaussagen im Vorwahlkampf in den Kommunen und Europa - denn nichts anderes betreiben CSU, AfD und dergleichen derzeit - ist wirklich niemandem geholfen.

Mit freundlichen Grüßen,
Barbara Lochbihler