Frage an Carsten Sieling bezüglich Finanzen

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Carsten Sieling
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Frage von Achim D. •

Frage an Carsten Sieling von Achim D. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr dr. Sieling,

Wie ist ihre Haltung zum ESM ?
Können sie einen Beitrag dazu leisten, die gegenwärtige Politik der Haftungsübernahme auf EU Ebene zu stoppen?
Werden Sie, wird die SPD den absehbaren Aenderungsanträgen zum ESM( stichwort bankenrettung, Anleihenankauf ) zustimmen ?
Ich bitte Sie, die diesbezüglichen Gefahren für unser Land und die folgenden Generationen nicht zu ignorieren.

Mit freundlichem gruss

Achim Dubois

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Dubois,

vielen Dank für Ihre Frage. Ich verstehe Ihre Sorgen um den Euro und die Europäische Währungsunion sehr gut. Das derzeitige Krisenmanagement ist immer noch zu einseitig und daher wird der Fortbestand der Währungsunion immer wieder gefährdet. Die Mitgliedsstaaten der EU können sich nicht auf durchgreifende, dauerhaft wirkende Maßnahmen verständigen -- leider vor allem, weil es die schwarz-gelbe Bundesregierung ist, die blockiert und immer wieder Unfrieden schafft.

Der Fiskalpakt, der ESM und auch die Spanien-Hilfen sind trotzdem Ausdruck des Willens, kein Land des Euro-Währungsgebietes sich selbst zu überlassen und insbesondere neue verheerende Finanzkrisen in Spanien und Italien zu verhindern. Meine Zustimmung hierzu habe ich vor dem Hintergrund einer umfassenden Debatte getroffen. Diese fand nicht nur in den Foren des Bundestages, wie den Fraktions- und Arbeitsgruppensitzungen, den Ausschüssen und nicht zuletzt im Plenum statt. Ich habe vor allem auch das Gespräch mit unterschiedlichen Experten, Bürgern und Organisationen gesucht. Von einer Abgabe unserer Souveränität und Haushaltskontrolle kann keineswegs die Rede sein. Der Bundestag ist maßgebend für das Verhalten des Deutschen Mitgliedes des Gouverneursrates des ESM. Ohne eine Zustimmung des Bundestages wäre bspw. eine Aufstockung des ESM nicht möglich. Die Haushaltshoheit verbleibt entsprechend beim Parlament.

Klar ist aber auch: Die bisher getroffenen Maßnahmen reichen nicht aus. Zwar ist der Euro-Währungsraum trotz Vertrauenskrise immer noch sehr stabil. Der Außenwert des Euro beispielsweise, gerade gegenüber dem Dollar, ist weiterhin positiv. Und auch das Leistungsbilanzdefizit der EU ist im ersten Quartal 2012 mit 4,1 Milliarden Euro deutlich niedriger ausgefallen als noch bei der ersten Schätzung von Eurostat im Juni. Dennoch bestehen drei große Herausforderungen.

Erstens muss endlich die Banken- und Finanzkrise kraftvoll angegangen werden. Dies wird nur gelingen, wenn die Finanzmärkte so reguliert werden, dass Investitionen in die Realwirtschaft wieder das Maß der Dinge werden. "Investitionen" in exotische Finanz- und Spekulationsprodukte müssen unattraktiv oder unterbunden werden. Als SPD haben wir dazu eine Reihe von Vorschlägen gemacht. Bei der Finanztransaktionssteuer haben wir den fatalen Widerstand der konservativ-liberalen Kräften und von Großbritannien gebrochen, um unsinnige Finanzaktivitäten durch angemessene Besteuerung zu verteuern und die Verursacher der Krise zur Mitfinanzierung heran zu ziehen. Weitere wesentliche Vorhaben zur Finanzmarktregulierung hat Sigmar Gabriel dieser Tage gerade pointiert zusammengefasst. (Abrufbar auch unter: http://www.spd.de/aktuelles/News/74360/20120721_gabriel_thesenpapier_bankenwesen.html )

Diese Fokussierung auf die Finanzmärkte ist dabei kein Selbstzweck. Denn viele, wenngleich nicht alle Probleme der derzeitigen Vertrauenskrise in Europa gehen direkt oder indirekt auf Versagen und Exzesse auf den Finanzmärkten zurück. Dabei ist es zunächst unerheblich, ob man auf den öffentlichen oder privaten Sektor schaut. Entscheidend ist die Frage, ob wir derzeit Finanzmärkte haben, die die Zahlungsfunktion für Bürger und Wirtschaft erfüllen und die Realwirtschaft bestmöglich mit Krediten versorgen. In den vergangenen Jahren war es leider so, dass der Finanzsektor nicht der Lage war, das Geld dorthin zu leiten, wo es den größten realen Mehrwert schafft, anstatt in immer neuen Vermögensblasen zu versickern. Trotz aller Krisen: Noch immer erfüllt der Finanzsektor diese wichtige Aufgabe völlig instabil und ungenügend; und solange das so ist, wird der Währungsraum nicht wirklich stabilisiert werden können.

Anstatt aber diese Herausforderung endlich aufzunehmen, stellt sich Bundeskanzlerin Merkel hin und fordert die marktkonforme Demokratie, obwohl die rasant steigende Verschuldung beispielsweise in Spanien maßgeblich auf die letzte Bankenrettung zurückzuführen ist. Das Schlimme dabei ist, dass diese, von den wahren Problemen in Europa völlig ablenkende "Stabilitäts-Rhetorik" zwar bei einigen Menschen Eindruck macht, die tatsächlichen Probleme aber nicht lösen kann. Denn solange sich Spanien für fast 7 Prozent Geld leihen muss, während sich völlig unterkapitalisierte Finanzinstitute teilweise ausschließlich zu Spekulationszwecken für 1 Prozent Geld leihen können, hat das viel mit Gewinnmaximierung der Banken und nichts mit einem funktionierenden Markt zu tun. In der Konsequenz wird der Währungsraum durch diese Geldschwemme immer stärker destabilisiert, bis schließlich wieder der Steuerzahler zulasten der Staatsverschuldung Schlimmeres verhindern muss.

Daher muss zweitens ein für alle Mal sichergestellt werden, dass sich Staaten wieder zu vernünftigen und gleichen Zinsen refinanzieren können. Nur so lässt sich auch das Vertrauen herstellen, das nötig ist, um die einzelnen Volkswirtschaften wieder aufzurichten und ggf. zu reformieren. Hierfür brauchen wir m. E. einen ESM mit Bankfunktion; die aktuellen Überlegungen der EZB sind dagegen nur eine teure Notmaßnahme. Viele befürchten dann Inflation. Herr Brüderle von der FDP und andere reden das ja geradezu herbei. Ein Blick auf die Fakten zeigt aber, dass die jährliche Teuerungsrate seit Mai unverändert ist. Die Inflation blieb auch im Juli bei 2,4 Prozent und lag damit relativ nahe beim Zielwert der EZB.

Schließlich ist alles daran zu setzten, die oben beschriebenen Herausforderungen demokratisch zu lösen. Die Mitglieder der Bundesregierung machen nichts dergleichen, sondern schwadronieren lieber von den "faulen Griechen/Südländern". Diese Positionen sind falsch und helfen leider überhaupt nicht, die Vertrauenskrise mittelfristig friedlich zu lösen. Natürlich -- und das erwarte ich in aller Deutlichkeit -- müssen sich viele Zustände ändern. Griechenland braucht eine funktionierende Steuerverwaltung, um die Kapitalflucht der Milliardäre und Millionäre zu unterbinden; Spanien braucht eine Insolvenzordnung für Banken; Irland muss seine Unternehmenssteuern auf europäischen Durchschnitt heben, statt auf Kosten aller Steuerparadies zu spielen. Doch wenn sich Wirtschaftsminister Rösler oder ein Herr Dobrindt wegen dieser Mängel nun gegenüber den europäischen Nachbarstaaten durch populistische Halbwahrheiten profilieren wollen, dann ist das nicht nur unsolidarisch und uneuropäisch, sondern vor allem teuer für den Steuerzahler. Die deutschen Auslandsforderungen gegenüber den anderen Euro-Staaten liegen bei über drei Tausend Milliarden Euro. Was denkt wohl Herr Rösler oder ein Herr Dobrindt, was mit diesen Forderungen passiert, wenn ein Euro-Staat nach dem anderen die Zahlungen einstellen muss?

Für mich zeigt diese Debatte über Kosten und Nutzen des Euro aber vor allem, wie wichtig es ist, dass wir die Europäische Union von der Idee des gemeinsamen Binnenmarktes zu einer sozialen und politischen Union weiterentwickeln. Dies wird nicht von heute auf morgen funktionieren. Und sicherlich wird man hierfür auch weiterhin gemeinsam finanzielle Garantien übernehmen müssen. Das ist auch die Grundlage in einer Fiskalunion, genauso wie die gemeinsame Besteuerung und Regulierung. Dies wird leider in der oft dogmatischen politischen Auseinandersetzung vergessen.

Beste Grüße,
Dr. Carsten Sieling MdB