Frage an Christian Lindner bezüglich Innere Angelegenheiten

Portrait von Christian Lindner
Christian Lindner
FDP
36 %
641 / 1776 Fragen beantwortet
Frage von Andreas K. •

Frage an Christian Lindner von Andreas K. bezüglich Innere Angelegenheiten

Sehr geehrter Herr Lindner,

auf Ihrem Facebookprofil schreiben Sie am 11. Mai 2020:
"Thomas Kemmerich hat dem Anliegen der FDP Schaden zugefügt. Auch wir üben Kritik an der Bundesregierung, aber genau diese berechtigte Kritik nimmt Schaden, wenn Thomas Kemmerich ohne Mundschutz und mit obskuren Verschwörungstheoretikern demonstriert. Deshalb habe ich mich davon auch klar distanziert."

Der Ex-Ministerpräsident hatte in Gera an einer Demonstration für Bürgerrechte teilgenommen.

Ich frage Sie:
(A) Das Demonstrationsrecht steht jedem Einzelnen zu und ermöglicht das Eintreten für oder gegen etwas. Ihrer Aussage nach zu urteilen, hat der Demonstrationswillige die Pflicht, vor Start der Versammlung von allen anderen Teilnehmern das gesamte Meinungsbild zu erfragen. Woraus leiten Sie das ab? Warum gestatten Sie Hr. Kemmerich nicht das Recht für die Bürgerrechte einzutreten, ohne ihn in Verbindung mit anderen Demonstrationsteilnehmern zu bringen?
(B) Sie weisen in Ihre Kommentaren darauf hin, dass das Auftreten ohne Mund-Nasen-Schutz und das Verzichten auf die Abstandsregel für Menschen, die sich für Bürgerrechte einsetzen, nicht in Einklang zu bringen ist (siehe u.a. (1)). Parallel ist bei Dokumentationen aus dem Bundestag zu sehen, dass dort ebenfalls kein Abstand eingehalten wird oder eine Maske getragen wird (siehe (2)). Sie selber waren am Freitag im Berliner Restaurant Borchardt, was offensichtlich überfüllt war und haben zum Abschluss ohne Maske den Honorarkonsul aus Weißrussland umarmt (siehe (3)). Wie ist in diesem Kontext Ihre Aussage zu verstehen? Wie stark lassen Sie sich in Ihren Äußerungen von einer möglichen öffentlichen Mehrheitsmeinung treiben, anstatt Ihre Überzeugung und persönlichen Werte zum Maßstab Ihres Handelns zu machen?
(C) Wie weit sehen Sie in der öffentlichen Diskussion freiheitliche Grundrechte gefährdet und, wenn dem so sein sollte, was werden Sie tun, um diese zu schützen?

Quelle:
(1) https://www.insuedthueringen.de/region/thueringen/thuefwthuedeu/Nach-Demo-Auftritt-Gegenwind-fuer-Kemmerich-aus-eigener-Partei;art83467,7242445
(2) https://www.youtube.com/watch?v=crJJwzhgrxI&feature=youtu.be&fbclid=IwAR2EQxzO4_vVi7Kz4eJJYSnJtqI32qPHRWOkAUUoqMIn2lCoCPHQ_9tK2TE
(3) https://www.bz-berlin.de/berlin/mitte/zu-viele-gaeste-im-borchardt-gabs-zum-schnitzel-polizeibesuch

Portrait von Christian Lindner
Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Kollmorgen,

vielen Dank für Ihre Fragen.

Auch für Herrn Kemmerich gilt die Meinungsfreiheit. Er tritt in der Öffentlichkeit aber insbesondere als Repräsentant unserer Partei auf. Daher haben wir uns von seinem Auftritt distanziert, da wir nicht in eine Nähe von obskuren Kreisen gehören. Allein schon seine Ankündigung als Redner war inakzeptabel. Unserer Anliegen, unverhältnismäßige Einschränkungen von Freiheit und Bürgerrechten aufzuheben, würde ohne Distanzierung beschädigt.

Die spontane Umarmung eines Freundes nach einem Restaurantbesuch war natürlich ein Fehler. Menschen wie mir unterlaufen sie. Es gibt allerdings einen Unterschied zwischen einer spontanen Umarmung eines Freundes im privaten Rahmen und der Teilnahme an einer Demonstration im öffentlichen Raum mit vielen verschiedenen und fremden Menschen, bei der über einen längeren Zeitraum möglicherweise sogar bewusst auf Schutz und Abstand verzichtet wird.

Was den Aspekt der Grundrechte eingeht, so haben wir als Freie Demokraten als erste die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Beschränkungen aufgeworfen - und wurden dafür von manchen herabgewürdigt. Dabei ist stets derjenige in der Begründungspflicht, der Grundrechte einschränkt - nicht umgekehrt. Das habe ich in meiner Funktion als FDP-Fraktionsvorsitzender im Deutschen Bundestag klargestellt (https://dbtg.tv/fvid/7441882). In verschiedenen Gastbeiträgen habe ich außerdem eine alternative Krisenstrategie aufgezeigt, weil ersichtlich war, dass die Grundrechtseinschränkungen der Gefährdungslage nicht mehr angemessen waren (sehen Sie z.B. https://www.christian-lindner.de/gastbeitraege/wir-mussen-kontakte-sofort-wieder-smart-ermoglichen und https://www.christian-lindner.de/gastbeitraege/diese-politik-ist-nicht-alternativlos ). In unseren Regierungsbeteiligungen auf Landesebene haben wir außerdem schon früh verhältnismäßige und verantwortungsvolle Öffnungen, z.B. im Schulbetrieb, eingeführt.

Seien Sie versichert, dass wir auch weiterhin die Verhältnismäßigkeit von Grundrechtseingriffen tagtäglich hinterfragen und sowohl in der Opposition im Bund als auch in den Landesregierungen unter unserer Beteiligung für eine zielgerichtete, verantwortungsvolle Krisenstrategie eintreten werden, die Freiheit und Gesundheitsschutz verbindet.

Mit freundlichen Grüßen

Christian Lindner

Was möchten Sie wissen von:
Portrait von Christian Lindner
Christian Lindner
FDP