Frage an Christian Lindner bezüglich Europapolitik und Europäische Union

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Christian Lindner
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Frage von Maya B. •

Frage an Christian Lindner von Maya B. bezüglich Europapolitik und Europäische Union

Sehr geehrter Herr Lindner,

bevor ich zur eigentlichen Frage komme, die sich um das Themenfeld der Europäischen Integration dreht, möchte ich Ihnen vorschlagen, diesem Komplex eine ganze Episode Ihres Podcast (1 Thema, 2 Farben) zu widmen, da ich bezweifle, dass es Ihnen hier in schriftlicher Form möglich sein wird, diesem in seiner Vielschichtigkeit gerecht zu werden. Ich bin überzeugt, dass ich nicht der Einzige Bürger bin, der eine ausführliche Auseinandersetzung damit noch vor der Bundestagswahl befürworten würde (https://www.netzwerk-ebd.de/mitteilungen/repraesentative-umfrage-breite-mehrheit-sieht-europa-als-wichtiges-thema-fuer-die-bundestagswahl-2021/). Als Gast würde ich hierbei Wolfgang Schäuble als den sichtbarsten Advokaten für eine differenzierte Integration vorschlagen.
Meine Frage bezieht sich nur auf den wirtschaftlichen Aspekt der Integration. In Ihrem Wahlprogramm findet sich sowohl die Zielsetzung von europäischen Vertragsveränderungen als auch die Ablehnung von gemeinsamer Verschuldung und weiteren Steuern in der Zukunft. Handelt es sich hierbei um ein kategorisches Nein zu einer umfassenden Fiskalunion oder besteht die Chance, dass nach spezifischen vertraglichen Veränderungen eine solche doch geschaffen wird und mit gemeinsamen Verpflichtungen und Regeln auch eine gemeinsame Verschuldung zugelassen wird? Sie haben zwar die mittel- und kurzfristigen Maßnahmen in Fragen der wirtschaftlichen Integration im Programm dargelegt, aber worin besteht das langfristige Ziel, das sie auf europäischer Ebene anstreben? Und welche Rolle würde dabei das Konzept der Integration verschiedener Geschwindigkeiten spielen, sollten Vertragsveränderungen nicht in den nächsten Jahren zustande kommen? In den Medien und Wissenschaften existieren ja viele Modelle für eine zukünftige Fiskalunion, aber die Stimmen an der Spitze des deutschen Staates, die solche auch konkret aufgreifen (und nicht nur von "tieferer Integration" reden), sind leider erstaunlich leise.

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Sehr geehrte Frau Bosch,

haben Sie vielen Dank für Ihre Nachricht.
Über die Europäische Integration in meinem Podcast mit dem Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble zu sprechen, ist ein interessanter Vorschlag. Ich bin davon überzeugt, dass das Gespräch sehr fruchtvoll wäre. In dieser Legislaturperiode nehme ich jedoch leider keine weiteren Folgen mehr auf, aber wir behalten den Vorschlag gerne für die nächste Wahlperiode im Hinterkopf.

Darüber hinaus war Europa selbstverständlich in zahlreichen Gesprächen bereits Thema. Bei so vielen globalen Herausforderungen reicht die nationalstaatliche Entscheidungsebene nicht aus. Ich schlage Ihnen in dem Zusammenhang die Folgen mit Professor Marcel Fratzscher, Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und dem NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet vor. An Ausschnitte aus den Gesprächen erinnere ich in meinem aktuellen Rückblick: https://www.youtube.com/watch?v=i7i0hzJdscQ&t=2s
Selbstverständlich bleiben auch alle Folgen verfügbar, hören Sie gerne rein.

Wir Freie Demokraten sind überzeugte Europäer. Unser langfristiges Ziel bleibt ein Europäischer Bundestaat, der föderal ausgestaltet ist und über eine eigene Verfassung verfügt. Daher sollte auch die europäische Integration vorangetrieben werden. Die nächsten Schritte der Integration sind beispielsweise der Aufbau einer Europäischen Armee oder eines Europäischen Währungsfonds.

Eine unbefristete Schuldenfinanzierung des EU-Haushalts oder die Einführung zusätzlicher EU-Steuern wären hingegen kontraproduktiv und würden die Akzeptanz für das europäische Projekt gefährden. Denn zum einen wird dadurch die Notwendigkeit der nationalen Haushaltskonsolidierung untergraben. Nationalstaaten können nur so viel ausgeben, wie sie einnehmen - entweder durch Steuern oder durch Kreditaufnahme. Wird auf europäischer Ebene eine neue Einnahmequelle geschaffen, wird auf Kosten der Steuerzahler automatisch mehr ausgegeben, ohne auf nationaler Ebene die Ausgaben priorisieren zu müssen.
Zum anderen würde sich die Belastung der Bürgerinnen und Bürger als auch unserer Unternehmen weiter erhöhen. Neben der unmittelbaren Belastung durch EU-Steuern in der Gegenwart hinterließen wir vor allem unseren Kindern in Zukunft einen noch höheren Schuldenberg.

Während sich das jetzige Finanzierungsmodell der EU bewährt hat, würden die im Raum stehenden Änderungen sowohl in den vermeintlich befürwortenden als auch in den kritisch gegenüberstehenden Ländern zu Verwerfungen und negativen Konsequenzen führen. Somit kann die europäische Integration auf dem Weg hin zum Europäischen Bundesstaat weiter vorangetrieben werden, ohne auf eine Schuldenfinanzierung des EU-Haushalts oder EU-Steuern angewiesen zu sein.

Mit freundlichen Grüßen
Christian Lindner

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