Frage an Doris Wagner

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Doris Wagner
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Omid M. •

Frage an Doris Wagner von Omid M.

Sehr geehrte Frau Wagner,

im Sommer droht die nächste Abstimmung zu weiteren Hilfszahlungen (Kredite will ich das nicht mehr nennen) für Griechenland.

Bei der letzten Abstimmung stimmten sie, wenn ich das richtig sehe, mit "JA" - also für weitere Zahlungen an Griechenland.

Wenn ich mir ansehe, was in den letzten Wochen, als "Dank", dafür aus Griechenland gekommen ist, klingt das nach blankem Hohn: Herr Varoufakis zeigt Deutschland den Mittelfinger, Herr Tsipras stellt Forderungen nach Reparationen für längst geregelte Angelegenheiten und Herr Kammenos droht Berlin mit 500.000 Flüchtlingen zu überfluten.

Ich will Ihnen hiermit unmissverständlich zu verstehen geben, dass, sollten sie im Sommer erneut mit "JA" stimmen, dies nicht in meinem Interesse ist und sie bei der nächsten Wahl nicht mehr mit meiner Stimme rechnen können.

Besonders die dreiste Forderung der Griechen nach Reparationen stößt mir sauer auf, denn ich habe mit den Verbrechen der Wehrmacht überhaupt nichts zu tun (meine Eltern sind beide nicht in Deutschland geboren). Ich bin zwar in Deutschland geboren, lasse mich deswegen aber nicht pauschal als Nazi beschimpfen!

Unverständlich finde ich, wie Frau Claudia Roth (GRÜNE) sich für die Zahlung von Reparationen an Griechenland einsetzen kann. Zu diesem Punkt würde mich Ihre Meinung interessieren.

Mit freundlichen Grüßen

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Mecdiz,

vielen Dank für Ihre Zuschrift. Aus Ihrer E-Mail lese ich zwei Fragen. Erstens: Ist es unter ökonomischen Gesichtspunkten richtig, dass wir Griechenland bei der Bewältigung seiner Finanzkrise weiter unterstützen? Und zweitens: Haben „die Griechen“ nach den Äußerungen hochrangiger griechischer Politiker weiterhin unsere Solidarität verdient? Ich will gerne versuchen, Ihnen meine Position dazu zu verdeutlichen.

Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass es durchaus im Interesse Deutschlands ist, ziemlich vieles zu tun, um Griechenland im Euro zu halten. Ein Austritt Griechenlands wäre ein Armutszeugnis für die europäische Solidarität (immerhin ein Grundwert unserer Gesellschaft!) – und würde damit das ganze Projekt „Europa“ in Frage stellen. Europa aber ist für Deutschland nicht nur aus wirtschaftlichen, sondern vor allem aus politischen Gründen unverzichtbar. Ich will, dass Deutschland fest in ein friedliches, demokratisches, sozial ausgewogenes und ökologisch verantwortlich handelndes Europa integriert ist.

Vor diesem Hintergrund habe ich im Februar tatsächlich einer Verlängerung des (bereits 2012 geschnürten) zweiten Hilfsprogramms bis zum 30. Juni zugestimmt. Mit dieser Entscheidung sind allerdings keine „weiteren Zahlungen“ verbunden, wie Sie schreiben. Mit der Zustimmung der Grünen können nun lediglich Gelder fließen, die Griechenland ohnehin zugesagt wurden. Und das finde ich richtig.

Der rigide Sparkurs, den die so genannte „Troika“ aus EU, EZB und IWF Griechenland in den letzten Jahren abverlangt hat, hat nicht nur zur Verarmung vieler Griechen geführt. Auch die griechische Wirtschaftsleistung ist infolge mangelnder Investitionen stark geschrumpft. Doch wie soll Griechenland ohne Wirtschaftswachstum jemals aus der Krise herauskommen? Wie soll es seine Schulden zurückzahlen, wenn kein Geld in die Kasse kommt?

Die Grünen fordern deshalb schon seit langem eine Abkehr vom rigiden Sparkurs. Die neue Regierung in Athen bietet dazu eine echte Chance: Bei der Wahl im Januar wurden das alte Klientelsystem und die Günstlingswirtschaft abgewählt. Doch die neue Regierung braucht Zeit und einen finanziellen Spielraum, um die Wirtschaft mit Investitionen anzukurbeln. Und diese Zeit haben wir Athen durch die Verlängerung des Hilfsprogramms gewährt.

Die neue griechische Regierung hat sich dazu verpflichtet, umfangreiche Reformen wie die Verbesserung der Steuerverwaltung und die Bekämpfung der Korruption umzusetzen, alle Zahlungsverpflichtungen gegenüber seinen Gläubigern einzuhalten und in Absprache mit den Institutionen vorzugehen. Die EU, die EZB und der IWF werden das Geld an Griechenland erst auszahlen, wenn die Regierung in Athen die angekündigten Reformen glaubhaft auf den Weg gebracht hat.

Sollte tatsächlich noch ein weiteres Hilfspaket aufgelegt werden, so kann ich Ihnen heute noch nicht sagen, wie ich abstimmen werde. Wir werden im Sommer genau prüfen, wie der Reformprozess in Athen vorankommt, und welche weiteren Maßnahmen eventuell nötig sind, um Griechenland aus der Krise zu führen.

Wenn ich Sie richtig verstehe, sind es aber weniger die ökonomischen Zusammenhänge, die Sie dazu bringen, sich gegen weitere Hilfsprogramme für Griechenland zu stellen, sondern vor allem die Forderung nach deutschen Reparationszahlungen an Griechenland.

Grundsätzlich bin ich der Ansicht, dass wir die aktuelle Unterstützung für Athen und alle Fragen, die im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg stehen, scharf voneinander trennen sollten. Wie Sie der Presseberichterstattung sicherlich entnommen haben, sind viele Fragen zur deutschen Besatzungspolitik sowohl zwischen Historikern als auch Juristen höchst umstritten. Insofern bin ich der Meinung, dass wir die griechischen Forderungen nicht rundweg von uns weisen, sondern uns gesprächsbereit zeigen sollten. Denn fest steht: Deutschland hat während des zweiten Weltkrieg entsetzliche Kriegsverbrechen an der griechischen Bevölkerung begangen – und damit große Schuld auf sich geladen. Diese Schuld lässt sich nicht in Geldbeträgen beziffern. Aber dieser Schuld muss sich die deutsche Gesellschaft stellen.

„Das heutige Deutschland hat nichts zu tun mit dem Deutschland des Dritten Reichs, das so viel Blutzoll gekostet hat“, hat der griechische Ministerpräsident Tsipras bei seinem Besuch in Berlin im März betont. Ich glaube daher nicht, dass die griechische Regierung jeden einzelnen deutschen Staatsbürger „pauschal als Nazi beschimpft“, wie Sie schreiben, wenn Sie darauf hinweist, dass im Verhältnis zwischen Deutschland und Griechenland noch einiges an historischer Aufarbeitungs- und Versöhnungsarbeit zu leisten ist.

Wie eine solche bilaterale Verständigung über die Vergangenheit gelingen kann, zeigen Beispiele wie Polen oder Tschechien, mit denen Deutschland seit 1990 sehr intensiv daran arbeitet, die Verbrechen, die zwischen 1939 und 1945 begangen wurden, zu bewältigen.

Ich bin sehr erleichtert, dass sich die Atmosphäre zwischen Berlin und Athen in den vergangenen Tagen deutlich verbessert hat. Und ich hoffe, dass es in diesem gedeihlicheren Klima möglich sein wird, alle historischen Fragen, die das deutsch-griechische Verhältnis bisher belasten, einvernehmlich zu klären.

Mit herzlichen Grüßen,

Doris Wagner