Frage an Elisabeth Winkelmeier-Becker von Klaus L. bezüglich Familie
Sehr geehrte Frau Winkelmeier-Becker,
Zitat aus Ihrer Antwort vom 4.6.09 auf die Frage von Herrn Siebel:
> Ich bin allerdings überzeugt, ... , die beste Lösung für das Kind zu ermitteln und ... <
Es ist wohl eine Selbstverständlichkeit, dass sich alle Beteiligten für die beste Lösung einsetzen.
Aber was ist die beste Lösung: das Wohl des betroffenen Kindes! Aber was ist nun das "Kindeswohl"? Ein unbestimmter Rechtsbegriff, den in der Realität jeder für sich auslegt, wie es ihm gerade passt.
Und nun wird´s noch problematischer: FamilienrichterInnen mögen mehr oder weniger gute JuristenInnen sein, haben aber keine/kaum eine Ausbildung in Familien-Psychologie usw. Und das wirkt sich verheerend auf die Betroffenen, insbesondere die Kinder aus, oft für das ganze Leben! Tagtäglich verlieren viele den Kontakt zu einem Elternteil, meistens dem Vater, weil der vereinbarte Umgang "zum Wohle des Kindes" nicht oder kaum eingehalten wird. Und die Jugendämter und Gerichte sehen mehr oder weniger hilf- und tatenlos zu.
Aus Unwissenheit oder Ignoranz, Überlastung oder Überforderung?
Warum wird für Familienrichter und JugendamtsmitarbeiterInnen nicht eine intensive Weiterbildung verpflichtend eingeführt?
Es kann doch nicht angehen, dass z.B. ein junger "Verkehrsrichter" von einem auf den anderen Tag zum Familienrichter wird, keinerlei Vorkenntnisse hat (möglicherweise auch selbst keine Kinder hat) und soll dann derart weitreichende Beschlüsse fassen, die das gesamte Leben eines jungen Menschen und das seiner Eltern u.a. beeinflusst?
Ich empfinde diese Zustände als untragbar. Und keiner soll sagen, er habe dies nicht gewusst.
Das Argument, demnächst gibt es Ordnungsmittel, hilft m.E. auch nicht weiter: Wenn Richter keine Zwangsmittel einsetzen, warum sollten eben diese nun Ordnungsmittel einsetzen? Sie müssen ja nicht ...
Mit freundlichen, neugierigen Grüßen
K. Lehmann
Sehr geehrter Herr Lehmann,
Sie sprechen den Begriff des Kindeswohls an. Dieser ist tatsächlich maßgeblich zur rechtlichen Beurteilung von Lebenssituationen, in denen Kinder betroffen sind. Schön, dass Sie bestätigen, dass alle Beteiligten bestrebt sind, eine Entscheidung des Konflikts am Kindeswohl auszurichten. Ganz selbstverständlich ist das nicht; denken Sie z.B. an Fälle, in denen die Sorge für ein Kind für einen psychisch erkrankten Elternteil stabilisierend wirken, aber mit Einschränkungen für das Kindeswohl verbunden sein kann. Auch hier muss dem Kindeswohl Vorrang vor dem Wohl des Elternteils eingeräumt werden. Zugleich ist damit gesagt, dass nicht etwa finanzielle Interessen der Eltern oder des Trägers der Jugendhilfe entscheidend sein dürfen. Zutreffend ist, dass über die Frage, was im konkreten Fall dem Kindeswohl am besten entspricht, häufig gestritten wird und auch nach gerichtlichen Verfahren nicht immer Lösungen gefunden und auch umgesetzt werden, die für alle Beteiligten lebbar und dem Kindeswohl zuträglich sind. Sie sehen das Problem vornehmlich bei den Richtern und ihrer fehlenden psychologischen Ausbildung. Das ist nach meiner Erfahrung jedoch etwas zu kurz gedacht:
Der Ausgangskonflikt liegt zunächst bei den Eltern, die sich trennen und ihren Trennungskonflikt nicht so bewältigen oder zumindest zurückstellen können, dass sie sich gemeinsam um die beste Lösung für das Kind bemühen. In aller Regel ist eine einvernehmliche Lösung, die dem Kind einen belastenden Loyalitätskonflikt erspart und einen regelmäßigen Umgang und die Beteiligung beider Eltern an der Erziehung ermöglicht, die beste Lösung und fast immer wäre dies bei gutem Willen auch in die Tat umzusetzen. Gelingt das nicht, ist das zunächst ein Versagen der Eltern (mit manchmal gleichgewichtigen, manchmal auch sehr unterschiedlichen Beiträgen der beiden Elternteile) gegenüber ihrem Kind, das nicht einfach von staatlichen Stellen (Jugendamt, Gericht) ausgeglichen werden kann. Insoweit kann man vielleicht zu Recht von einer Überforderung des Staates sprechen; die Erwartung, dass jegliche privat veranlassten Probleme durch staatliche Stellen ausgeglichen werden können und müssen, ist wohl nicht zu erfüllen.
Gleichwohl: auch im Gerichtsverfahren wird die Möglichkeit einer einvernehmlichen Lösung immer mit Priorität gesucht werden.
Das neue FamFG, das zum 1.9.2009 in Kraft tritt, sieht dies mit Elementen des Cochemer Modells noch in stärkerem Maße vor, als das bisherige Verfahrensrecht. Scheitern alle Einigungsversuche und muss das Gericht entscheiden, welche Reglung dem Kindeswohl am besten entspricht, gibt es naturgemäß unterschiedliche Ansichten der Beteiligten dazu. Das heißt allerdings keineswegs, dass dieser unbestimmte Rechtsbegriff von den Familiengerichten gewissermaßen willkürlich ausgelegt wird. Der Begriff unterliegt vielmehr einer langjährigen wissenschaftlichen Diskussion zwischen Lehre, Rechtsprechung und Praxis. Hier sind gesetzliche Vorgaben zu beachten, etwa das grundsätzliche Recht von Kind und beiden Elternteilen auf Umgang, § 1684 Abs. 1 BGB. Gegebenenfalls kann das Gericht zu dieser Beurteilung neben der eigenen Erfahrung auf Sachverständige zurückgreifen. Außerdem sorgt (ab Geltung des FamFG in noch häufigeren Fällen) ein Verfahrensbeistand des Kindes dafür, dass dessen wohlverstandener Wille mit in die Entscheidungsfindung einfließt. Mittlerweile ist es nach meiner Erfahrung außerdem üblich, dass bei Übernahme eines Familiendezernates auch entsprechende Fortbildungen wahrgenommen werden, auch ohne dass eine solche erzwingbare Pflicht bestünde. Bitte gehen Sie davon aus, dass sich die Familienrichter sehr wohl darüber im klaren sind, welche Tragweite ihre Entscheidung hat und dass sie ein eigenes Interesse haben, diese Entscheidungen nicht nur unter juristischen, sondern auch unter pädagogischen, psychologischen oder schlicht lebenspraktischen Aspekten bestmöglich vorzubereiten und durchzusetzen. Ein Fortbildungsangebot zur möglichst schonenden Vernehmung von Kindern, zur Deeskalation in der Verhandlungsführung und zur Mediation ist da in aller Regel sehr willkommen. Ob dies ausreicht oder nicht, und ob weitere Fortbildungspflichten mit dem Prinzip der richterlichen Unabhängigkeit vereinbar wären, oder ob evtl. eine personelle Aufstockung der Familiengerichte nötig wäre, um jedem einzelnen Fall besser gerecht werden zu können, wäre im Übrigen von den Ländern zu entscheiden.
Sie sprechen ein weiteres Problem an: Was ist, wenn die getroffene Entscheidung von den Eltern nicht umgesetzt wird? Es sind dann erneut vor allem die Eltern die (mit ggfls. unterschiedlichen Verursachungsbeiträgen) ihrem Kind und seinen Bedürfnissen, zu beiden Eltern ein gutes Verhältnis zu haben, nicht gerecht werden. Die beste Fortbildung des Richters, die beste von Sachverständigen entwickelte, am Kindeswohl ausgerichtete Entscheidung hilft nicht, wenn sie nicht oder nur unter sehr belastenden Umständen für das Kind umgesetzt wird, z.B. angeordneter Umgang nicht nachgefragt oder nur unter heftigen Auseinandersetzungen bei der Übergabe des Kindes bzw. gar nicht gewährt wird. Hier bin ich allerdings auch optimistisch, dass demnächst Ordnungsmittel effektiver helfen können, weil sie im Gegensatz zu Zwangsmitteln auch im Nachhinein verhängt und vollstreckt werden können. Außerdem kann künftig die Bestellung eines Umgangspflegers helfen, Konflikte in Zusammenhang mit der Umsetzung einer Umgangsregelung zu vermeiden. Trotzdem wird es in einigen Fällen sehr schwer bleiben, den für richtig erkannten und angeordneten Umgang auch gegen den Willen des anderen Elternteils und manchmal auch gegen den (vielleicht manipulierten) Willen des Kindes durchzusetzen.
Mit freundlichen Grüßen
Elisabeth Winkelmeier-Becker