Frage an Elisabeth Winkelmeier-Becker bezüglich Soziale Sicherung

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Elisabeth Winkelmeier-Becker
CDU
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Frage von Bernd W. •

Frage an Elisabeth Winkelmeier-Becker von Bernd W. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrte Frau Winkelmeier-Becker,

der Armutsbericht der Bundesregierung zeigt eindeutig, daß in der Regierungszeit der großen Koalition die Armut unnd insbesondere die Kinderarmut deutlich zugenommen hat. Weiterhin hat es in der Regierungszeit der großen Koalition eine erhebliche Umverteilung von unten nach oben gegeben, d.h. die Reichen sind noch reicher geworden, die Armen haben zugenommen und die schon arm waren, sind noch ärmer geworden.

Meine Frage an Sie lautet: Bekennen Sie sich zu dieser Verantwortung?

Mit freundlichen Grüßen
Bernd Weggen

Portrait von Elisabeth Winkelmeier-Becker
Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Weggen,

ich möchte zuerst Ihre These von der „massiven Umverteilung von unten nach oben“ in Frage stellen: Betrachtet man die staatliche Umverteilung durch Steuer-und Sozialsysteme, so zeigt sich, dass die 30 Prozent der Bundesbürger mit dem niedrigsten Einkommen monatlich im Schnitt 900 Euro mehr vom Staat erhalten, als sie an Abgaben für das Gemeinwesen leisten. Getragen werden diese sozialstaatlichen Leistungen von den mittleren und höheren Einkommen. Ab dem fünften Einkommenszehntel (etwa 1.500 Euro Brutto einschließlich der Arbeitgeberbeiträge zu den Sozialversicherungen) zahlen die Bürger mehr in das öffentliche System ein, als sie herausbekommen. Die prozentuale Belastung steigt mit zunehmendem Einkommen überdurchschnittlich: Während bei einem monatlichen Bruttoeinkommen von 1.500 Euro der Saldo bereits bei rund 200 Euro liegt, steigt er bei einem Einkommen von 3.500 Euro auf über 1.351 Euro und bei einem Einkommen von 5.350 Euro auf knapp 2.270 Euro an.
Einer neuen Studie des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zufolge hat sich die Schere in Bezug auf die Bruttoeinkommen seit Mitte der 90er Jahre bis 2003 (Datengrundlage der Studie) tatsächlich vergrößert; Grund ist vor allem, dass sich als Folge des technischen Fortschritts die Einkommen der gut Qualifizierten erhöht haben. Die staatliche Umverteilung durch Steuer- und Sozialsysteme hat aber dazu geführt, dass die Nettoeinkommen dem nicht entsprechen. Die oberen 30 Prozent in der Einkommensskala haben 1993 noch 68 Prozent zur Einkommenssteuer beigetragen, in 2003 waren es danach 73 Prozent; bei den Sozialversicherungen stieg die Quote von 50 auf 54 Prozent. Von der unteren Hälfte der Haushalte kommen nur ca. 10 Prozent des Einkommenssteueraufkommens. Das zeigt m.E. zunächst vor allem, dass die sozialstaatliche Umverteilung generell gut funktioniert. Ganz besonders in der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise zeigen die Sozialsysteme ihre Stärke als wirtschaftlich stabilisierende Faktoren. So steigen bekanntlich die Renteneinkommen und dem folgend die AlG II- bzw. Grundsicherungssätze gegen den Trend in diesem Jahr spürbar an, andere Sozialsysteme wie die Arbeitslosenversicherung und das Kurzarbeitergeld schützen auch bei Verlust oder Gefährdung des Arbeitsplatzes effektiv vor einem massiven Einbruch der Arbeitseinkommen. Einen weiteren Umverteilungseffekt hat im Übrigen die zunehmende Steuerfinanzierung des Gesundheitswesens, die über den Gesundheitsfonds ermöglicht worden ist.
Die im internationalen Vergleich traditionell relativ geringe Einkommensspreizung in Deutschland mit einer starken mittelständischen Schicht ist m.E. ein wesentlicher Faktor für die gesellschaftliche und politische Stabilität in Deutschland und ein wichtiges Ziel einer ausgewogenen wirtschafts- und Sozialpolitik. Dabei darf allerdings nicht so getan werden, als würde das individuelle Einkommen schlicht ausgelost: individuelle Einkommen und ihre Unterschiede sind zum großen Teil auch an die individuellen Qualifikationen und Leistungen gekoppelt und entfalten damit auch die wichtige Anreizfunktion für den Einzelnen, die Leistungen zu erbringen, von denen nicht nur er selbst, sondern die gesamte Volkswirtschaft profitiert. Dabei kann man über die Rechtfertigung einzelner Einkommen sicher streiten (bei sehr hohen Managergehältern ebenso wie bei recht niedrigen Einkommen im Dienstleistungsbereich); darüber wird allerdings nicht in der Politik entschieden, sondern von den jeweiligen Vertrags- und Tarifpartnern, während der Staat im Wege des Steuer- und Sozialsystems die nötigen Umverteilungen nach Leistungsfähigkeit und Bedürftigkeit bewirkt.

Nach Untersuchungen des DIW im Rahmen des Sozioökonomischen Panels hat sich infolge des Rückgangs der Arbeitslosigkeit ab 2006 das Armutsrisiko verringert. Daraus ergibt sich, dass gerade die Befähigung, durch eigenes Einkommen den eigenen Bedarf zu decken, die wirksamste Methode zur Armutsvermeidung darstellt. Das bedingt zunächst eine gute Wirtschaftspolitik, die qualifizierte und angemessen bezahlte Arbeitsplätze schafft. Die derzeitige Krise auf den Finanz- und Wirtschaftsmärkten muss deshalb vor allem so bewältigt werden, dass möglichst wenige Arbeitnehmer aus ihren Arbeitsverhältnissen gedrängt werden. Deshalb haben wir die Möglichkeiten zur Kurzarbeit in Bezug auf Dauer und auf Finanzierung massiv verbessert.
Eine weitere staatliche Aufgabe besteht darin, die Chancengerechtigkeit herzustellen, die jedem die Möglichkeit gibt, unabhängig z.B. von familiären Bedingungen und unterschiedlichen materiellen oder sozialen Startchancen sich zu qualifizieren und ein gutes Einkommen zu verdienen. Ganz entscheidend ist hier eine frühe Förderung aller Kinder und ein offenes, gerechtes und durchlässiges Schulsystem, in dem jeder unabhängig von seiner Herkunft die gleiche Chance auf eine qualifizierte Ausbildung bekommt. Über dieses Ziel besteht breites Einvernehmen, wenn auch z.T. über die Umsetzung gestritten wird; der Ausbau der U3-Betreuung mit einem Rechtsanspruch auf Betreuung ab dem 2. Lebensjahr ab dem Jahr 2013, der vom Bund zusammen mit den Ländern in die Wege geleitet worden ist, ist hier unzweifelhaft ein wichtiger Schritt.
Diese Voraussetzungen sind m.E. mit den politischen Konzepten der Union am besten zu verwirklichen, die sich am christlichen Menschenbild orientieren. Auf Ihre Frage zur Kinderarmut möchte ich noch besonders eingehen: Es war und ist insbesondere in dieser Legislaturperiode unter dem unionsgeführten Bundesfamilienministerium ein großes Anliegen der Politik, wirksame Maßnahmen zur Überwindung von Kinderarmut zu entwickeln. Kinderarmut lässt sich nicht allein auf materielle Armut reduzieren. Sie umfasst neben fehlendem Einkommen der Eltern einen generellen Mangel an gesellschaftlichen Teilhabechancen insbesondere in den Bereichen Bildung und Gesundheitsversorgung. Ein Kind ist arm, wenn es einsam aufwächst, wenn es vernachlässigt und überfordert wird, wenn es zuhause zu wenig Zuwendung bekommt, wenn es keine Anregung bekommt. Die Gefahr ist groß, dass emotionale Armut und mangelnde Bildung weitervererbt werden. Die Erwerbstätigkeit der Eltern ist die nachhaltigste Vorbeugung gegen Kinderarmut. Aus diesem Grund ist es ein wichtiger Ansatz, Eltern in Arbeit zu bringen, um ihnen zu ermöglichen, selbst für ihren Unterhalt Sorge zu tragen. Deshalb ist auch das von uns eingeführte Elterngeld eine wirksame und nachhaltige Sicherung von Familien.
Auch unter diesem Aspekt der Vereinbarkeit von Beruf und Familie für die Eltern ist es wichtig, dass wir den Ausbau der Kinderbetreuung so vorantreiben. Dadurch werden gerade auch bessere Chancen für Alleinerziehende geschaffen.
Zudem sind die Regelungen zum Kinderzuschlag erweitert worden mit dem Ergebnis, dass mehr Familien und Alleinerziehende diesen Zuschlag von 140 Euro pro Kind pro Monat erhalten und so nicht in den Leistungsbezug des SGB II fallen. Damit haben wir ein Instrument ausgebaut, das einerseits zur Reduzierung von Kinderarmut beiträgt und gleichzeitig für die Eltern Anreize setzt, Arbeit anzunehmen, eigenverantwortlich zu sein. Ich halte deshalb auch die Weiterentwicklung des Kinderzuschlags in der kommenden Legislaturperiode für eine wirksame Maßnahme, insbesondere weil Anreize zur Erwerbstätigkeit geschaffen werden.
Ab Januar 2009 haben wir das Kindergeld mit einer Staffelung für mehrere Kinder erhöht, was insbesondere Mehrkinderfamilien finanziell helfen wird.
Wir haben in diesem Jahr im Rahmen des Konjunkturpakets II einen Kinderbonus in Höhe von 100 Euro für jedes kindergeldberechtigte Kind gezahlt. Dieser Betrag sollte ausschließlich den Kindern zugute kommen.
Wir haben das sogenannte Schulbedarfspaket von 100 Euro je Schuljahr für Kinder im SBG II-Bezug eingeführt und die Höhe der Kinder-Regelsätze in der Grundsicherung angehoben. Für Kinder zwischen 7 und 14 Jahren ist zudem eine neue Altersstufe und somit eine finanzielle Verbesserung eingeführt worden. Hier streben wir an, die Regelleistungen sowie die Regelsätze für hilfebedürftige Kinder in der kommenden Legislaturperiode neu am Bedarf zu bemessen.
Zudem haben wir in diesem Jahr das Wohngeld erhöht.
Eine neue Untersuchung des Allensbacher Instituts bestätigt übrigens, dass sich für eine deutliche Mehrheit der Befragten die Bedingungen für Familien mit Kindern in Deutschland seit 2005 verbessert hätten. Insgesamt seinen durch die familienpolitischen Maßnahmen 250.000 Kinder aus der Armutszone herausgeholt worden.
Meines Erachtens kann sich diese Bilanz sehen lassen.
Mit freundlichen Grüßen

Elisabeth Winkelmeier-Becker

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