Frage an Elisabeth Winkelmeier-Becker bezüglich Gesundheit

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Elisabeth Winkelmeier-Becker
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Frage von Frederik Pascal G. •

Frage an Elisabeth Winkelmeier-Becker von Frederik Pascal G. bezüglich Gesundheit

Sehr geehrte Frau Winkelmeier-Becker,

die Bundesregierung will kurzfristig im November einen Gesetzentwurf einbringen, der die Beschneidung von nichteinwilligungsfähigen Jungen ohne medizinische Indikation legalisiert. Hintergrund ist ein Urteil des LG Köln von Mai und eine Bundestagsresolution vom 19. Juli 2012. Über 60 Ihrer Kolleginnen und Kollegen haben jetzt einen Alternativentwurf vorgelegt, der die Legalisierung dieses mit Risiken behafteten, schmerzhaften und irreversiblen Eingriffs von der Einwilligung ab dem Alter von 14 Jahren und nur durch zugelassene Fachärzte nach ausführlicher Aufklärung vorsieht.
Können Sie diesem Alternativentwurf zustimmen?
Sind Sie mit mir der Meinung, dass der Gesetzesentwurf der Bundesregierung nicht vereinbar ist mit dem Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2,2 GG), dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3, Satz 1 und 2 und dem Artikel 24,3 der UN-Kinderechtskonvention, der die Vertragsstaaten verpflichtet „alle wirksamen und geeigneten Maßnahmen zu treffen, um überlieferte Bräuche, die für die Gesundheit der Kinder schädlich sind, abzuschaffen"?

Ich denke, dass es notwendig ist, die körperliche Unversertheit, über die Religionsfreiheit zu stellen. Beides ist besonders wichtig! Aber ein Kind, was sich nicht aktiv für eine Religion entschieden hat, darf nicht durch die Eltern geschädigt werden. Ich hoffe, dass Sie diese Meinung verstehen und vertreten können.

Mit freundlichen Grüßen

F. P. Genreith

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Sehr geehrter Herr Genreith,

das von Ihnen kritisierte Gesetzesvorhaben der Bundesregierung ist zwischenzeitlich durch eine breite Mehrheit des Deutschen Bundestages am 12. Dezember 2012 angenommen worden. Ich habe dem auch zugestimmt. Erstmals seit Bestehen der Bundesrepublik hatte das Landgericht Köln im Mai 2012 die Beschneidung eines minderjährigen Jungens aus religiösen Gründen als rechtswidrige Körperverletzung gewertet und damit die jüdische und muslimische Gemeinschaft in Deutschland tief verunsichert. Obwohl es sich bei dem Kölner Urteil um eine Einzelfallentscheidung handelte, fürchteten sowohl Eltern als auch die Ärzte, die die Beschneidungen vornehmen sollten, sich strafbar zu machen. In nahezu allen Ländern der Welt und insbesondere auch in unserem Kulturraum ist die Beschneidung minderjähriger Jungen erlaubt. Auch in Deutschland hat das Amtsgericht Köln als Vorinstanz und haben Zivil- und Verwaltungsgerichte anders geurteilt.
Um die Rechtssicherheit wiederherzustellen, musste die Frage nach der Zulässigkeit der Beschneidung geklärt werden. Eine Klarstellung durch das Bundesverfassungsgericht, welche die Gerichte bundesweit binden würde, war in absehbarer Zeit aber nicht zu erwarten. Daher war Aufgabe des Gesetzgebers zu entscheiden, ob die religiös motivierte Beschneidung von Jungen trotz verständlicher Einwände, die auch mich lange beschäftigt haben, mit dem Kindeswohl vereinbar ist. Für das religiöse Selbstverständnis von Juden und Muslimen ist die Beschneidung von Jungen jedoch von grundlegender Bedeutung. Sie fühlten sich durch das Urteil ausgegrenzt und fürchteten ganz generell um die soziale Akzeptanz ihres religiösen Lebens in Deutschland.
Im Deutschen Bundestag wurde deshalb im Laufe des vergangenen Jahres intensiv nach einer Lösung gesucht. Die Entscheidung haben wir uns - und ich ganz persönlich - nicht leicht gemacht. Im Mittelpunkt unserer Überlegungen stand dabei stets das Wohl des Kindes. Die Beschneidung von Jungen ist als Eingriff in die körperliche Integrität irreversibel und natürlich keine Bagatelle. Schätzungen zufolge ist etwa ein Drittel der männlichen Weltbevölkerung beschnitten. Die Beschneidung von Jungen gilt als der weltweit am häufigsten durchgeführte kinderchirurgische Eingriff; insbesondere in den USA wird er zur Förderung der Gesundheit bzw. der Hygiene häufig vorgenommen.
Wir sind der Auffassung, dass Eltern all dies berücksichtigen dürfen, wenn sie entscheiden, ob eine Beschneidung dem Wohl ihres Sohnes dient. Denn es sind die Eltern, die – in den Grenzen unserer Rechtsordnung – den Inhalt des Kindeswohls festlegen. Dies gilt auch für jüdische und muslimische Eltern, die ihre Kinder ebenso lieben, wie alle Eltern, und die gerade der Überzeugung, mit der Beschneidung zum Wohle ihres Kindes zu handeln. Auch wenn ich weiß, dass dies bei anderen Fragen des elterlichen Sorgerechts zu Abgrenzungsproblemen führen kann, halte ich es für vertretbar, diese Entscheidung in der Verantwortung der Eltern zu belassen und nicht mit Mitteln des Strafrechts zu sanktionieren. Die Eltern dürfen sich bei Entscheidungen zur Gesundheit ihres Kindes auch von religiösen Motiven leiten lassen, solange die Behandlung bzw. der Eingriff nach allgemeinen Maßstäben medizinisch vertretbar ist. Das Recht von Eltern, ihre Kinder religiös zu erziehen, ist grundgesetzlich geschützt. Und die Beschneidung von Jungen ist, gerade auch mit Blick auf die Situation über Deutschland hinaus, medizinisch vertretbar, wenn sie fachgerecht und ohne unnötige Schmerzen für das Kind durchgeführt wird.
Zusammen mit vielen meiner Kollegen aus allen Fraktionen habe ich dem Entwurf der Bundesregierung zugestimmt, weil ich glaube, dass mit ihm ein guter Kompromiss gefunden wurde zwischen den Rechten des Kindes, die an erster Stelle stehen müssen und den berührten Rechten der Eltern bzw. der Religionsfreiheit. Gleichwohl ist und bleibt es ein Kompromiss, der die Jungen, die Eltern genauso wie die Religionsgemeinschaften in ihren Rechten einschränkt. Insofern kann ich Ihre Meinung nachvollziehen und verstehen, glaube aber, dass sie in der Praxis dem Wohle des Kindes nicht gerecht werden kann. Jüdische und muslimische Eltern sollen nicht gezwungen sein, ihre Söhne bei unseren Nachbarn im europäischen Ausland oder in Hinterzimmern von Laien beschneiden zu lassen. Das wollen wir sicherstellen, indem wir die weltweit akzeptierte Beschneidung minderjähriger Jungen verfassungskonform regeln.
Ich hoffe, dass Sie die Gründe für meine Zustimmung verstehen können und Sie meinen Standpunkt zumindest nachvollziehen können.

Mit freundlichen Grüßen

Elisabeth Winkelmeier-Becker

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