Frage an Florian Ritter bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Florian Ritter
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Frage von Natascha E. •

Frage an Florian Ritter von Natascha E. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Ritter,

in der TAZ vom 8.7.2013 war zu lesen, dass einem ihrer Journalisten, der zu einem Vortrag über die arabische Revolution am Valentin-Heider-Gymnasium in Lindau eingeladen war, ein Fragebogen vorgelegt wurde, in dem er nach einer Mitgliedschaft in einer sog. extremistischen oder extremistisch beeinflussten Organisation gefragt wurde.

Die Schule verweist auf eine Bekanntmachung des StMUK, nach der eine Honorarkraft Gewähr dafür bieten müsse, jederzeit für die freiheitlich demokratische Grundordnung einzutreten. Diese Eignung hat sie durch die Abgabe einer Erklärung nachzuweisen. In diesem Zusammenhang wird ihr ein Fragebogen vorgelegt, in dem sie sich über ihre Beziehungen zu bestimmten Organisationen, die als extremistisch oder extremistisch beeinflusst eingestuft werden, zu erklären hat. Die damit gemeinten Organisationen sind in einem Verzeichnis, eingeteilt in „Linksextremismus“, „Rechtsextremismus“, „Ausländerextremismus“ und „Extremismus sonstiger Art“, aufgeführt. Auffällig bei dem Verzeichnis ist, dass unter „Linksextremismus“ zwar die Linkspartei und Organisationen wie VVN-BdA aufgeführt sind, bei den rechtsextremistischen Organisationen aber z. B. die rechtspopulistische und islamophobe Partei „Die Freiheit“, die seit kurzem vom Verfassungsschutz in Bayern beobachtet wird, fehlt.

Ich frage Sie:

1.) Was halten Sie davon, Personen wie dem TAZ-Journalisten, einen Fragebogen zur Prüfung der Verfassungstreue vorzulegen?
2.) Werden Sie sich im Fall einer Regierungsbeteiligung der SPD in Bayern für die Abschaffung des Fragebogens einsetzen?
3.) Welche – auch gesetzlichen - Maßnahmen müssen Ihrer Meinung nach ergriffen werden, damit das BayLfV seine, auch nach der Abschaffung der Regelanfrage der Einstellungsbehörden bei der Einstellung in den öffentlichen Dienst in Bayern weiter betriebene „Schnüffelpraxis“ gegen Linke Antifaschistinnen/Antifaschisten, Antrassistinnen/Antirassisten u.ä. einstellt?

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Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau Eichner,

herzlichen Dank für Ihre Frage. Zuerst möchte ich auf die Antwort meines Kollegen Paul Wengert verweisen, dem Sie die selbe Frage gestellt haben. Seiner Antwort möchte ich mich vollumfänglich anschließen. ( http://www.abgeordnetenwatch.de/frage-1234-73367--f395270.html#q395270 )

Erlauben Sie mir jedoch ein paar weiterführende Ergänzungen:

Im Februar diesen Jahres hat die SPD-Landtagsfraktion hierzu einen Antrag gestellt. Leider wurde der Antrag nur von der Fraktion von Bündnis90/Die Grünen unterstützt. CSU, Freie Wähler und FDP lehnten den Antrag ab. Mit dem Antrag wäre das Bundesland Bayern der Praxis im Bund und den meisten anderen Ländern nachgekommen auf so einen Fragebogen zu verzichten. Dieser krankt nicht nur an mangelnder Aktualität, sondern auch an inhaltlichem Fundament. Den Antrag so wie die Debatte darüber können Sie hier nachlesen: https://www.dropbox.com/s/ormge7z3gtirunt/2013-LT-Verfassungstreue.pdf

Seien Sie versichert, dass ich und die BayernSPD auch in der nächsten Legislaturperiode für dieses Anliegen streiten werden.

Außerdem halte ich es für dringend erforderlich, eine gesamtgesellschaftliche Diskussion darüber anzuregen, ob die wissenschaftlich sehr umstrittene Extremismustheorie (die Grundlage für die von Ihnen zu Recht kritisierten Maßnahmen ist) geeignet ist, tatsächliche Bedrohungen für die Demokratie zu bekämpfen. Ich bezweifle das. Meine Erfahrung zeigt, dass auf dieser Grundlage immer wieder versucht wird demokratisches Engagement in ein Zwielicht zu rücken. Gleichzeitig führte die Anwendung der Extremismustheorie in Bayern immer wieder zu massiven Fehleinschätzungen in Bezug auf rechtsextreme Bedrohungen. Genaueres ist dazu im Bericht des NSU Untersuchungsausschusses des Bayerischen Landtags zu lesen.

Für alle anderen interessierten Leserinnen und Leser möchte ich an dieser Stelle noch die Antwort meines Kollegen wiedergeben.

Mit freundlichen Grüßen

Florian Ritter

Sehr geehrte Frau Eichner,

leider komme ich erst heute dazu, Ihnen zu antworten. Ich bitte Sie um Verständnis dafür, aber in Zeiten des Wahlkampfs jagt ein Termin den anderen und die Bemühung, mit den Bürgerinnen und Bürgern persönlich zu sprechen, strapaziert auch mein Zeitkontingent. Dennoch möchte ich Ihnen zu Ihrer Frage, die ein wichtiges Thema betrifft, umfassend antworten.

Gestatten Sie mir eine etwas längere Vorbemerkung. Der Vorgang wie er sich an dem Lindauer Gymnasium abgespielt hat, ist für mich der Beweis dafür, dass es den ehemaligen sog. "Radikalenerlass" in Bayern immer noch gibt. Zwar wurde die Regelanfrage der Einstellungsbehörden beim Verfassungsschutz bei der Einstellung von Bewerbern in den öffentlichen Dienst zu Beginn der neunziger Jahre in Bayern abgeschafft, aber man hat den Fragebogen zur Prüfung der Verfassungstreue geschaffen, den der Bewerber auszufüllen hat. Wird dieser Fragebogen, in dem sich der Bewerber u. a. zu einer Mitgliedschaft in oder Unterstützung von extremistisch oder extremistisch beeinflussten Organisationen erklären muss, nicht oder nicht vollständig ausgefüllt oder nicht unterschrieben, so können sich daraus bereits Zweifel an seiner Verfassungstreue ergeben. Insbesondere das Verzeichnis von sog. extremistischen oder extremistisch beeinflussten Organisationen, das dem Bewerber vorgelegt wird und nach dem er sich bei der Ausfüllung des Fragebogens orientieren muss, ist höchst fragwürdig und daher angreifbar. Die Einstufung einer Organisation als "extremistisch" ist nämlich eine Frage des politischen Meinungskampfes und der gesellschaftswissenschaftlichen Auseinandersetzung, deren Beantwortung in unausweichlicher Wechselwirkung mit sich wandelnden politischen und gesellschaftlichen Kontexten und subjektiven Einschätzungen steht, wie das Bundesverfassungsgericht es festgestellt hat (vgl. BVerfG, 1 BvR 1106/08 vom 8.12.2010). Die Aufnahme von Organisationen als "extremistisch" in das Verzeichnis beruht ausschließlich auf subjektiven politischen Einschätzungen der Staatsregierung und ist nicht mit objektiven wissenschaftlichen Erkenntnissen und gerichtsverwertbaren Tatsachen zu begründen.

Zu Ihren Fragen:

Frage 1:
Aus der Vorbemerkung erschließt sich Ihnen bereits meine Antwort auf die Frage 1. Ich halte überhaupt nichts davon, Honorarkräften, Gastreferenten usw., die innerhalb des Bildungsauftrags der Schule eingesetzt werden, den Fragebogen vorzulegen. Das ist diskriminierend und wirkt einschüchternd. Genau letzteres will aber das StMUK bezwecken. Personen, die eine andere Meinung als die Staatsregierung vertreten, sollen an Schulen nicht zu Wort kommen. Das hat mit einer selbstbestimmten demokratischen und weltoffenen Schule, wie die SPD sie in Bayern will, nichts zu tun. Die Schulen wissen selbst sehr genau, wen sie einladen und nicht einladen können. Wenn es Konflikte gibt, dann muss die Schulfamilie dies im Sinne des Bildungsauftrags der Schulen nach Art 131 der Bayerischen Verfassung verantwortungsvoll regeln. Im Übrigen: Vertreter der Bundeswehr und der "Bayerischen Informationsstelle gegen Extremismus (BIGE)" gehen in die Schule und halten dort Vorträge. Die BIGE, das weiß jeder, ist eine Stelle im Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz. Mit der BIGE kommt somit der Verfassungsschutz an die Schulen. Dieser ist also willkommen, während Personen, die eine kritische Haltung gegenüber der Staatsregierung einnehmen oder einnehmen könnten, wie dies die in dem Verzeichnis aufgeführten sog. "linksextremistischen" Organisationen bekanntermaßen tun, von den Schulen ausgeschlossen werden sollen. Damit will die Staatsregierung ihre einseitigen Meinungen und Ansichten unter die Schülerinnen und Schüler Bayerns bringen. Mit Meinungsvielfalt in dem demokratischen Rechtsstaat Bayern hat dies nichts zu tun.

Frage 2:
Ja, die SPD wird sich für die Abschaffung des Fragebogens zur Prüfung der Verfassungstreue von Bewerbern für den öffentlichen Dienst in Bayern einsetzen. Die SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag hat erst vor kurzem einen Antrag eingebracht, in welchem die Staatsregierung aufgefordert wurde, den Fragebogen abzuschaffen. Wie wir nicht anders erwartet haben, scheiterte der Antrag an den CSU-/FDP-Mehrheit im Landtag und auch die Freien Wähler stimmten gegen den Antrag. Wir werden Wort halten: Wenn wir in Bayern regieren werden, wollen wir die Praxis der Prüfung der Verfassungstreue von Bewerbern für den öffentlichen Dienst ändern und insbesondere den diskriminierenden und einschüchternden Fragebogen abschaffen. Wir gehen grundsätzlich von der Verfassungstreue eines jeden Bewerbers/einer jeder Bewerberin für den öffentlichen Dienst in Bayern aus.

Frage 3:
Nach Art. 3 Abs. 3 Nr. 1 des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes hat das Landesamt für Verfassungsschutz die Aufgabe, amtliche Auskünfte im Rahmen der Überprüfung der Verfassungstreue von Personen, die sich um Einstellung in den öffentlichen Dienst bewerben, zu erteilen. Das Landesamt ist verpflichtet, Anfragen dieser Art unverzüglich zu beauskunften.

Die SPD-Landtagsfraktion hat in einem Änderungsantrag zu einem Gesetzentwurf der Staatsregierung zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes und des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes, in dem es um eine ganz andere Angelegenheit, nämlich um die verfassungskonforme Ausgestaltung der sog. Bestandsdatenbeauskunftung ging, - also quasi "bei Gelegenheit" - beantragt, die Auskunftserteilung des Landesamts für Verfassungsschutz auf gesetzlich vorgesehene Fälle zu beschränken. Damit würde die Erteilung von Auskünften auf Anfragen von öffentlich-rechtlichen Dienstherren und Arbeitgebern bei der Einstellung von Bewerbern in den öffentlichen Dienst durch den Verfassungsschutz entfallen, da die Beauskunftung in einer Bekanntmachung, also in einer Vorschrift unterhalb eines Gesetzes, geregelt ist.

Mit einer Änderung des Art. 3 Abs. 3 des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes sind wir der Überzeugung, würde die jahrzehntelange "Gesinnungsschnüffelei" des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz im Zusammenhang mit der Einstellung in den öffentlichen Dienst beendet werden.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Paul Wengert, MdL