Frage an Gabriele Molitor von Heribert K. bezüglich Wirtschaft
Sehr verehrte Frau Molitor,
Meine Frage betrifft den Bereich „Kapitalmarktsteuer – Transaktionssteuer“:
Problematisch scheint die Einführung einer europäischen Kapitalmarktsteuer ja aus dem Grund zu sein, dass sich das Kapital immer den günstigsten Handelsplatz sucht. Wie kann nun ein Handelsplatz dazu gebracht werden, eine derartige Steuer einzuführen?
1. Steuereinnahmen aufgrund von Transaktionssteuern fließen dem ESFS oder IWF zu, nicht den EU-Ländern direkt. Die Steuereinnahmen dienen dazu, systemische Banken und in Schieflage geratene Länder in der Krise zu stützen. Nur systemische Banken in Ländern und Länder als solche, in denen Transaktionssteuern erhoben werden, können von diesem Rettungsschirm Gebrauch machen.
2. Ratingagenturen werden im Rahmen ihrer Länder-Rating-Bewertung überprüfen, ob Transaktionssteuern in dem jeweiligen Staat erhoben werden. Staaten, die keine Transaktionssteuern erheben und aus diesem Grund keinen Leistungsanspruch aus dem Rettungstopf erhalten, werden in ihrer Kreditwürdigkeit herabgestuft. Gleiches geschieht mit den dort geschäftsansässigen Banken.
3. Die Frage ist, ob und wie man Ratingagenturen dazu bewegen kann, die Frage von Transaktionssteuern mit in deren Bewertung einfließen zu lassen. Zumindest bei der von der EU geplanten Ratingagentur sollte das möglich sein.
Gibt es die Möglichkeit, Ratingagenturen zumindest teilweise einen Rahmen für deren Bewertung vorzugeben? Wer wäre dazu in der Lage?
Sehr geehrter Herr Karsch,
haben Sie vielen Dank für Ihre E-Mail vom 29. September 2011, in der Sie mich nach Möglichkeiten zur Vorgabe von Bewertungskriterien für Ratingagenturen bitten. Gerne werde ich Ihnen hierzu meine Position darlegen.
Zunächst stimme ich Ihnen zu, dass die Einführung einer Finanztransaktionssteuer vor allem daran scheitert, dass bislang kein weltweiter Konsens über die Notwendigkeit dieser Steuer erzielt wurde. Dabei herrschen nicht nur zwischen Europa, den USA und China diesbezüglich gegensätzliche Auffassungen. Auch innerhalb der Europäischen Union gibt es Befürworter und Gegner dieser Steuer. So lehnt Großbritannien sie vehement ab und verweist dabei auf die entscheidende Rolle der Finanzwirtschaft im eigenen Land. Die Befürchtung ist, dass sich die Finanzwirtschaft einen neuen Handelsplatz mit besseren Konditionen suchen würde. Vor diesem Hintergrund ist Ihr Vorschlag zur Verwendung der Steuereinnahmen zwar interessant, allerdings sehe ich momentan keine Anzeichen für die baldige Einführung einer Finanztransaktionssteuer.
Im Hinblick auf Ihre Ausführungen zu den internationalen Ratingagenturen sehe auch ich die Machtfülle dieser Akteure sehr kritisch. Es ist erschreckend, wie leicht die Bewertung einer privatwirtschaftlich organisierten Agentur über die Zukunft ganzer Staaten entscheidet. Gleichzeitig möchte ich aber betonen, dass sich sowohl Privatpersonen als auch Wirtschaft und Politik in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder von den Agenturen haben beeinflussen lassen. Die Frage ist also, ob diese Unternehmen nun, da sie negative Einschätzungen abgeben, wirklich falsch bewerten oder ob uns die Aussagen einfach nicht mehr passen.
Für mich steht fest, dass wir auch nach wie vor unabhängige Experten für die Bewertung von wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit benötigen. Diese Arbeit darf nicht politisch gelenkt werden. Einer politischen Einflussnahme auf die Ratingagenturen – wenn sie denn rechtlich überhaupt zulässig wäre – stehe ich daher kritisch gegenüber. Vielmehr halte ich es für geboten, dass der Bewertungsfokus von der Finanzwirtschaft wieder hin zur Realwirtschaft verschoben wird. Das produzierende Gewerbe, die Dienstleistungswirtschaft und die Leistungen der Arbeitnehmer sollten gegenüber der abstrakten Finanzwelt stärker bewertet werden. Denn sie sind das tatsächliche Rückgrat einer Volkswirtschaft. Meiner Meinung nach könnte beispielsweise ein Weg für die Verschiebung der Gewichtung die Errichtung einer europäischen Ratingagentur sein, die als Stiftung unabhängig agieren würde und sich der Bewertung der Realwirtschaft verschreibt.
Mit freundlichen Grüßen
Gabriele Molitor