Frage an Gregor Gysi bezüglich Familie

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Gregor Gysi
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Frage von Konstantin K. •

Frage an Gregor Gysi von Konstantin K. bezüglich Familie

Sehr geehrter Herr Dr. Gysi,

in der gestrigen (6. September 2009) 20.00 Uhr-Tagesschau sah ich einen Auftritt von Ihnen auf einem Kirchenfest, auf welchem Sie sich gegen den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr ausgesprochen haben. Ich teile diese Ansicht von Ihnen völlig und kann nicht sehen, dass sich in Afghanistan für die Zukunft irgendwelche Perspektiven auf Frieden abzeichnen.

Zu den folgenden Fragen angeregt wurde ich durch Ihren Kirchenfest-Auftritt, denn diese beschäftigen sich im Wesentlichen mit den beiden Themenkomplexen Moral und Religion. Ich würde Sie bitten, dazu Stellung zu beziehen:

1. Auf der Webseite Ihrer Partei wird klar für eine Abschaffung des § 218 StGB plädiert. Dort wird diese mit dem Selbstbestimmungsrecht der Frau begründet - ist nicht aber das heranwachsende Kind im Bauch der Frau auch bereits ein menschliches Lebewesen, dem ein uneingeschränkter Schutz zusteht? Geht hier nicht der Verweis auf das Selbstbestimmungsrecht etwas zu weit?

2. Von mehreren der LINKEN nahestehenden Leuten in meinem Bekanntenkreis hörte ich in der Vergangenheit eine abfällige Haltung gegenüber der Religion, getreu Marx´ berühmter Wendung von der Religion als Opium des Volkes. Ist dieser Grundtenor auch charakteristisch für Ihre Partei oder positionieren Sie sich gar in irgendeiner Weise religiös? Ihr kürzlicher Kirchenfest-Auftritt weckte in dieser Hinsicht mein Interesse, da ich Religion als etwas sehr Wichtiges ansehe.

Abschließend würde mich noch interessieren, wie Ihrer Meinung nach die Beziehungen einer Bundesregierung unter Beteiligung der LINKEN zu den USA aussehen würden. Würden Sie eine völlige Neuorientierung, z.B. an Venezuela unter Präsident Hugo Chávez, und damit Distanzierung zu den USA wagen, oder würden Sie weiterhin den äußerst US-nahen Kurs der Bundesregierung fahren?

Ich bedanke mich bereits herzlich vorab bei Ihnen für die Beantwortung der Fragen und wünsche Ihnen alles Gute!

Mit freundlichen Grüßen
Konstantin Kamp

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DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Kamp,

vielen Dank für Ihre Nachricht.

Tatsächlich sind wir für die Abschaffung des § 218 StGB. Eine Frau, die eine Schwangerschaft nicht austragen will, darf dafür nicht bestraft werden. Sie muss das selbst entscheiden. In dem Moment, in dem der Embryo im Bauch lebensfähig ist, existiert erst ein Kind. In diesem Fall gibt es keine Abtreibung mehr. Es könnte nur eine Frühgeburt eingeleitet werden. Die Tötung eines solchen Kindes während oder nach der Geburt ist und bleibt selbstverständlich eine Straftat.

Marx hat übrigens nicht gesagt, dass die Religion Opium für das Volk sei, sondern Opium des Volkes, wie Sie es auch geschrieben haben. Er meinte also nicht, dass die Religion von oben der Bevölkerung angeordnet wird, sondern dass sie sich selbst dieses Opium sucht. Abgesehen davon schätze ich ein, dass verbindliche Moralnormen in der Gesellschaft heute ohne die Kirchen und Religionen undenkbar wären. Insofern fürchte ich als Nichtgläubiger eine gottlose Gesellschaft nicht weniger als andere. In meiner Partei gibt es eine Arbeitsgemeinschaft von Christinnen und Christen. Beispielhaft will ich Ihnen sagen, dass Oskar Lafontaine und Ulrich Maurer katholisch, Bodo Ramelow evangelisch sind. Es gibt also nicht wenige Gläubige in meiner Partei.

Selbstverständlich würden wir bei einer Beteiligung an der Regierung
Wert darauf legen, gute Beziehungen zu allen Staaten zu unterhalten.
Dazu gehörten auch gute Beziehungen zu den USA. Man muss nur seinen
eigenen Standpunkt vertreten können. Ich denke mir, dass gute
Beziehungen zu Präsident Obama wesentlich leichter sind als zu Präsident
Bush, dem ich selbstverständlich sehr deutlich meine Meinung gesagt
hätte, wenn es dazu je eine Möglichkeit gegeben hätte.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Gysi

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