Frage an Gustav Herzog bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Gustav Herzog
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Frage von Matthias K. •

Frage an Gustav Herzog von Matthias K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Herzog,

am 26.04.2012 soll über eine Änderung der Geschäftsordnung des dt. Bundestages beschlossen werden mit dem Ziel, das Rederecht der Parlamentarier so zu beschneiden, dass nur noch die Fraktionen entscheiden wer reden darf und wer nicht. Somit werden abweichende Meinungen zukünftig unterdrückt. Werden Sie dieser Änderung zustimmen, falls ja, würden mich Ihre Gründe hierzu interessieren.

Danke für Ihre Mühe.

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Cronenberger,

vielen Dank für Ihre Frage zum Rederecht im Deutschen Bundestag. Wie Sie sicher wissen, ist die Änderung der Geschäftsordnung (GO) in der beschriebenen Form vom Tisch.

Dennoch antworte ich Ihnen gerne und möchte vorab kurz das Prinzip der Redezeitenverteilung im Bundestag erläutern: Sowohl in den Ausschüssen des Bundestages als auch im Plenum spiegeln die Redezeiten, die den einzelnen Fraktionen zugeteilt werden genau den Willen der Wähler wider, genauso wie das Wahlergebnis- je größer die Fraktionen, desto mehr Redezeit erhalten sie in den Gremien. Im Plenum folgen die Dauer und die Reihenfolgen auf den Mehrheitsverhältnissen basierend streng mathematischen Regeln. Innerhalb dieser Redezeiten sprechen dann die Kolleginnen und Kollegen, die schon vorab in den fachpolitischen Diskussionen die Standpunkte ihrer Arbeitsgruppe intern der Fraktion gegenüber und im Ausschuss den anderen Fachkollegen gegenüber dargestellt und ausdiskutiert haben. Im Plenum kann sich dann der Zuschauer auf der Tribüne und im Fernsehen ein Bild von Fraktionspositionen machen, die oft aus langen Diskussionsprozessen in der abschließenden Form gereift sind. Das ist im Interesse der Bürgerinnen und Bürger, die vor allem wissen wollen, wofür eine bestimmte Partei/ eine bestimmte Fraktion steht. Die berühmt-berüchtigte „Kakophonie“ führt bekanntermaßen nicht zu der gewünschten Klarheit von Positionen…

Natürlich ist es ebenso legitim, dass sich Abgeordnete im Plenum abgrenzend zur Fraktionsposition äußern dürfen. Die GO sieht dafür die Persönlichen Erklärungen vor, die am Schluss einer Debatte mündlich oder schriftlich abgegeben werden. Davon wird in guter Tradition und regelmäßig Gebrauch gemacht, auch ich habe das mehrfach praktiziert. Die von der Presse als Beispiel zitierten Fälle von Rednern der Regierungsfraktionen CDU und FDP, die gegen die Fraktionsposition zu Eurohilfen gesprochen haben, wurden nach Prüfung des Ansinnens vom Bundestagspräsidenten in der laufenden Debatte dazu berechtigt. Solche Fälle sind äußerst selten. Für diese wäre in Zukunft zu überlegen, von wessen Redezeit (siehe oben) die Zusatzbeiträge abgezogen werden. Das wäre zur Klärung gut, mehr „Reformbedarf“ in der GO sehe ich beim besten Willen nicht.

Erlauben Sie mir zum Schluss noch eine ironisch-kritische Anmerkung: Die reine Möglichkeit einer Einschränkung der Redezeit hat mehr mediale und individuelle Aufmerksamkeit hervor gerufen als die Inhalte von Redebeiträge allgemein. Ich möchte nicht wissen, wie viele (bzw. wenige) Journalisten, Blogger und Bürgerinnen und Bürger, die sich jetzt so schrecklich aufgeregt haben, überhaupt in den letzten Monaten oder sogar in der ganzen laufenden Legislaturperiode mal vollständig EINE Debatte auf Phönix oder im Internet verfolgt haben. Daher bedaure ich schon, dass die ganze ärgerliche Geschichte überhaupt entstehen konnte, aber andererseits hege ich die Hoffnung, dass angeregt durch die öffentliche Diskussion wieder mal der eine oder andere einschaltet oder den Rekorder laufen lässt, wenn im Bundestag debattiert wird!

In diesem Sinne beste Grüße

Gustav Herzog