Frage an Gustav Herzog bezüglich Soziale Sicherung

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Gustav Herzog
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Frage von Volker U. •

Frage an Gustav Herzog von Volker U. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrter Herr Abgeordneter,

der Tageszeitung "Die Rheinpfalz" vom 20.2.2015 konnte ich entnehmen, daß gemäß aktuellem Bericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, dieser zum Fazit gelangt, daß einerseits die Wirtschaft floriert, andererseits die Armutsquote mit 15,5% ihren bisherigen Höchststand erreicht hat. Insbesondere seien Alleinerziehende und Langzeitarbeitslose besonders schlimm vom Armutsrisiko betroffen. Ebenso ist ihr Wahlkreis davon mit 16,4% überproportional hoch betroffen. Sollte nicht die von Ihnen permanent glorifizierte Agenda 2010 mit den Hartz IV- Gesetzen Armut und Langzeitarbeitslosigkeit beseitigen und nicht das Gegenteil dessen bewirken? Erbitte dazu Ihre Antwort. Vielen Dank.

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Ultes,

wie schön, dass Sie mich auch 2015 mit Ihren Fragen beehren. Und wie in der Vergangenheit will ich Ihnen auch diesmal wieder ausführlich und inhaltsreich antworten.

Schwer nachvollziehen kann ich Ihre Anmerkung, ich würde „permanent die Agenda 2010 glorifizieren“. Dies stimmt nicht mit meinen differenzierten Beiträgen in der Vergangenheit überein. Offenbar lässt Ihre abgrundtiefe Abneigung gegen das damalige Reformprojekt keine andere Sichtweise zu.

Der aktuelle Bericht des Paritätischen Wohlfahrverbandes (PW) wird in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 21. Februar kommentiert mit der Überschrift „Falsch berechnet“. Den Ausführungen kann ich mich aus fachlichen, politischen und auch aus zutiefst menschlichen Gründen anschließen:

- Die statistische Annahme der Studie ist der relative Ansatz, also wer 60% oder weniger des durchschnittlichen Netto-Einkommens in Deutschland verdiene sei arm, bzw. im Armutsrisiko. Dies sagt viel über Verteilung, aber wenig über tatsächliche Armut aus. Beispiel: Würde man die Einkommen der gesamten Bevölkerung verdoppeln, so hätten diejenigen, die aktuell nach dem Modell des PW als arm gelten das Einkommen, das heute diejenigen haben, die mehr als den Durchschnittslohn erhalten, würden aber wegen des weiter bestehenden prozentualen Verhältnisses von 60% trotzdem als arm gelten. Weiteres Beispiel: eine Absenkung des Einkommensniveaus der Mittel- und Oberschicht würde das durchschnittliche Einkommen sinken lassen, was zur Folge hätte, dass weniger Menschen im Geringverdiener- und Sozialtransferbereich unter die 60%-Relationsgrenze fielen.

- Der oben beschriebenen relativen Armut steht die s.g. absolute Armut gegenüber. Sie wird auch existenzielle Armut genannt, weil sie dort virulent wird, wo das Existenzminimum erreicht, bzw. unterschritten wird, sich die Betroffenen existenzsichernde Güter (Nahrung, Wasser, Unterkunft) nicht leisten können. Ganz vereinfacht kann man sagen, dass sich die Frage nach dem Grad einer absoluten Armut anhand der Kaufkraft stellt und bei ein und demselben Netto-Einkommen von 892 Euro (bei dem Betrag ist man laut der Studie als Single arm, da das Durchschnittseinkommen bei 1873 Euro netto liegt) spreizt sich die tatsächliche Kaufkraft/Lebenshaltungskosten in Deutschland deutlich zwischen den Regionen, zwischen ländlichem Raum und Großstädten, zwischen den Bevölkerungsgruppen und ihren spezifischen Bedürfnissen.

- Wichtig ist doch die Frage, welche Chancen die von einem Armutsrisiko betroffenen Menschen haben, ihre materielle Situation durch Arbeit zu verbessern? Daher ist für uns Sozialdemokraten der Begriff der Chancengerechtigkeit ganz exponiert zum klassischen Begriff der Verteilungsgerechtigkeit hinzugekommen! Kleine Beispiele zur Verdeutlichung: Alleinerziehende Langzeitarbeitslose konnten in vielen Fällen erst in diese Situation der Langzeitarbeitslosigkeit kommen, da für sie keine Vereinbarkeit von Kind und Beruf gegeben war. Andere Transferempfänger kommen trotz guten Willens zur Arbeit aufgrund von Mangel an Qualifikationen nicht aus ihrer persönlichen Sackgasse.

Was also tun?

- Qualifizierte Kinderbetreuung gebührenfrei, wie in Rheinland-Pfalz!
- Bildung von Anfang an
- Längeres gemeinsames Lernen
- Chancen, dass jeder/r einen Schulabschluss machen, ggf. auch im 2., 3. oder 4. Anlauf
- Ein „sozial geschützter Arbeitsmarkt“ bei den Kommunen, bzw. Lohnzuschussprogramme

Mit freundlichen Grüßen

Gustav Herzog