Frage an Gustav Herzog bezüglich Arbeit und Beschäftigung

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Gustav Herzog
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Frage von Volker U. •

Frage an Gustav Herzog von Volker U. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

Sehr geehrter Herr Abgeordneter,
Spiegel-online von heute: "Medizinisches Personal hat hohes Risiko für schwere Krankheitsverläufe". In diesem Beitrag wurde auf eine Studie der Universität Glasgow hingewiesen, wonach das medizinische Personal im Gesundheitswesen ein bis zu neunmal höheres Risiko trage, an Corona schwer zu erkranken, als Angehörige nicht-essenzieller Berufe. Zu ähnlichen Ergebnissen kam auch die WHO bereits im September.
Was raten Sie als Abgeordneter dem Gesundheitspersonal zu dessen Schutz und welche Anstrengungen unternehmen Sie als MdB , diese Mißstände schnellstmöglich zu beheben.
Vielen Dank für Ihre Antwort und bleiben Sie gesund.
Mit freundlichen Grüßen

V. U.

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Sehr geehrter Herr Ultes,

herzlichen Dank für den Hinweis auf diese interessante Studie!

Da ich Ihren Verweis auf die WHO-Studie aus dem September ein wenig missverständlich finde, möchte ich zunächst einmal einen entscheidenden Unterschied zwischen dieser Studie und jener von Mutambudzi et al. von der Uni Glasgow deutlich machen und dadurch den Mehrwert, den die neue Studie leistet, hervorheben.

Die WHO-Studie fokussiert das Infektionsrisiko des medizinischen Personals und legt nahe, dass dieses weit höher liegt als in der Gesamtbevölkerung (https://www.who.int/news/item/17-09-2020-keep-health-workers-safe-to-keep-patients-safe-who). Dass Personen in medizinischen Berufen zwangsweise täglich mit einer Vielzahl von Menschen, darunter sowohl symptomatische als auch prä- und asymptomatische Coronainfizierte, in direkte Berührung kommen und sich nicht - wie Sie oder ich - ins Home Office zurückziehen können, bietet sich hierfür als eine mögliche plausible Erklärung an.

Mutambudzi et al. bauen auf diesen Infektionserkenntnissen auf und betrachten statt des Infektionsrisikos das Risiko, im Zuge einer Infektion einen schweren Verlauf erleiden zu müssen, und fokussieren sich hierbei auf die Altersgruppe der 49- bis 64-Jährigen. Dass auch bei diesem Kriterium festgestellt wurde, dass medizinisches Personal deutlich stärker betroffen ist, lässt sich nicht mehr allein darüber erklären, dass es kaum Social Distancing betreiben kann. Hinzukommt, dass Mutambudzi et al. - gemäß meinem Laien-Verständnis von Methodik - für andere Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit eines schweren Verlaufs erhöhen könnten, beispielsweise Alter, Vorerkrankungen, Lebensweise, Wochenarbeitszeit und sozioökonomische Merkmale, kontrolliert haben (Mutambudzi et al. 2020: 3). Das heißt, auch Unterschiede im gesundheitlichen Ausgangszustand zum Beispiel können nicht die Erklärung dafür sein, dass ausgerechnet medizinisches Personal häufiger schwer erkrankt.

Bereits im April mutmaßten Expert:innen, dass die Schwere des Krankheitsverlauf von der Virusdosis, welcher eine Person ausgesetzt ist, abhänge. Dies könnte also ein möglicher erklärender Faktor sein: Medizinisches Personal, das Covid-19-Patient:innen direkt behandelt und pflegt, ist in seiner Arbeit höheren Viruslasten ausgesetzt als die Durchschnittsbevölkerung, die sich vielleicht bei jemandem mit leichtem Verlauf ansteckt. "Zu schweren Krankheitsverläufen [bei medizinischem Personal] kam es vor allem in der Anfangszeit der Pandemie, als Schutzmaterial an vielen Orten knapp war" (https://www.ndr.de/ratgeber/gesundheit/Coronavirus-Schwerer-Covid-19-Verlauf-bei-hoher-Virusdosis,coronavirus1530.html).

Der Aspekt der Schutzausrüstung wird auch von Mutambudzi et al. aufgegriffen, die als Handlungsempfehlungen schlussfolgern, dass die Ausstattung des medizinischen Personals mit Schutzausrüstung unbedingt gewährleistet werden muss. Und an diesem Punkt möchte ich auf Ihre konkreten Fragen eingehen: Zunächst einmal bin ich in keiner Weise medizinisch ausgebildet und sehe mich deshalb nicht in der Lage, dem medizinischen Personal irgendetwas zu raten, was es nicht selbst sehr viel besser weiß. Bezüglich der Frage, was ich vorhabe, um den Umstand, dass medizinisches Personal häufiger einen schweren Verlauf erleidet, zu beheben, muss meine Antwort etwas differenzierter ausfallen.

Da die Studie von Mutambudzi et al. selbst feststellt, dass es noch keine eindeutige wissenschaftlich belegte Erklärung für diese Beobachtung gibt, fällt es mir schwer, klare Lösungsvorschläge zu benennen. An dem vermuteten biologischen Zusammenhang zwischen Virusdosis und Schwere des Krankheitsverlaufs kann weder ich noch irgendjemand sonst etwas tun, solange es noch kein Gegenmedikament gibt.

Das, was wir machen können, ist die Empfehlung zu befolgen und ausreichend Schutzausrüstung zur Verfügung zu stellen. Dies wird inzwischen meines Wissens getan und sichergestellt - im Gegensatz zum Beginn der Pandemie. Die Studie selbst räumt ein, dass sich die Umstände seit dem Erhebungszeitraum (März bis Juli) geändert haben können, beispielsweise die Ausstattung mit Schutzausrüstung besser geworden ist (Mutambudzi 2020: 7) - zusätzlich zu ohnehin gegebenen Unterschieden in der Pandemiebekämpfung zwischen Deutschland und UK. Die Schutzausrüstung bewahrt das medizinische Personal vor ggf. hohen Viruslasten und verhindert so schwere Verläufe oder von Vornherein die Infektion. Dass dies gewährleistet ist, ist ein entscheidender Vorteil.

Ein anderer Faktor, der möglicherweise dazu beiträgt, dass medizinisches Personal häufiger schwere Krankheitsverläufe hat, bereitet mir etwas mehr Sorgen. Über Berufsgruppen hinweg konnten Mutambudzi et al. (2020: 5) einen Zusammenhang zwischen Schichtarbeit sowie körperlicher Arbeit einerseits und einem schweren Verlauf andererseits feststellen. Besonders seit der zweiten Infektionswelle arbeitet das medizinische Personal in unseren Krankenhäusern unter Hochdruck. Schon zuvor bestehender Personalmangel verschärft sich noch weiter, was zu langen Überstunden, Schlafmangel, hohem Stress, kaum Pausen und einer hohen physischen wie psychischen Belastung - bis hin zum Gefühl, selbst mit ersten Coronasymptomen zur Arbeit kommen zu müssen - führt. Das alles sind Faktoren, die das Immunsystem erheblich schwächen und dadurch einen schweren Verlauf begünstigen können.

Herr Ultes, das ist der eigentliche Missstand, den es zu beheben gilt. Ich möchte an dieser Stelle nicht von großen Gesetzesvorhaben zur Verbesserung der öffentlichen Gesundheitsversorgung und der Arbeitsbedingungen in der Krankenpflege anfangen, die wir als SPD-Bundestagsfraktion auf den Weg gebracht oder uns zum Ziel gesetzt haben. Denn diese lösen das ganz akute Problem, das wir in dieser Krise haben, leider nicht. Hierauf können wir gerne zu einem anderen Zeitpunkt zu sprechen kommen.

Stattdessen möchte ich an alle Bürger:innen appellieren, so gut es nur irgendwie geht, zur Eindämmung der Pandemie beizutragen. Denn wir sind gerade die Einzigen, die der Überarbeitung und Gefährdung des medizinischen Personals entgegenwirken können. Jede:r Einzelne von uns trägt die Verantwortung, das Gesundheitssystem nicht fahrlässig weiter zu überlasten. Ich hoffe sehr, dass wir im neuen Lockdown in der Lage sein werden, die Infektionszahlen so stark zu senken, dass wir die Kontrolle über die Pandemie zurückerlangen und so möglichst viele Menschenleben retten können. Bis zur Impfung ist es nicht mehr lang!

Ein positiver Aspekt der Befunde von Mutambudzi et al. ist schließlich auch, dass sie die Grundzüge der Impfstrategie, die die Ständige Impfkommission empfohlen hat, bestätigen und uns darüber hinausgehende Orientierung bieten können. Das erhöhte Risiko sowohl einer Infektion als auch eines schweren Verlaufs für medizinisches Personal unterstreicht die Wichtigkeit, dass dieses auf jeden Fall zu den ersten gehören muss, die geimpft werden. Die Erkenntnis, dass Polizist:innen und Lehrkräfte wahrscheinlich kein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf haben (Mutambudzi 2020: 5), stützt außerdem die Empfehlung, diese Gruppen nicht der allerersten Impfgruppe zuzuordnen. Ein weiterer interessanter Befund ist der, dass Sozialarbeiter:innen ebenfalls ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf haben (Mutambudzi 2020: 5). Es könnte also darüber nachgedacht werden, Sozialarbeiter:innen in der Impfstrategie höher zu priorisieren, als dies bisher angedacht war.

Ich hoffe, ich konnte Ihre Fragen zufriedenstellend beantworten, und bedanke mich erneut für den Studienhinweis.

Mit freundlichen Grüßen,

Gustav Herzog