Frage an Gustav Herzog bezüglich Recht

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Frage von Thomas J. •

Frage an Gustav Herzog von Thomas J. bezüglich Recht

m vierten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite wird auf Beschluss von Bundestag/Bundesrat die Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes) eingeschränkt.

Meine Frau und ich waren uns bisher seit den 1970iger Jahren unserer Wohnung sicher, da unverletzlich.

Was kann ein solcher Beschluss von Bundestag und Bundesrat für uns zukünftig bedeuten?

Haben Sie vielen Dank für Ihre Mühe und Rückantwort.

Mit freundlichen Grüßen
Elsbeth und Thomas Jutzy

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Sehr geehrte Frau Jutzy, sehr geehrter Herr Jutzy,

vielen Dank für Ihre Anfrage, auf die ich gerne eingehe. Ich kann Ihre Sorge nachvollziehen, möchte allerdings im Folgenden darlegen, warum Sie sich diese Sorge nicht machen müssen.

Mit der expliziten Nennung der möglichen Einschränkung des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung im vorgeschlagenen ergänzenden § 28b Absatz 9 des Infektionsschutzgesetz kommt der Gesetzgeber dem Zitiergebot gemäß Artikel 19 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes nach. Dort heißt es: Wenn ein Grundrecht durch ein Gesetz eingeschränkt werden kann, "muss das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen". Mit diesem Absatz wird also zunächst lediglich die formelle verfassungsmäßige Anforderung an ein solches Gesetz erfüllt.

Dass das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung durch das Infektionsschutzgesetz eingeschränkt werden kann, ist außerdem kein neuer Zusatz des aktuell vorliegenden und diskutierten Gesetzentwurfs für ein Viertes Bevölkerungsschutzgesetz. Diese Einschränkung ist und war schon in den vorigen Fassungen des Infektionsschutzgesetzes enthalten.

Dies heißt allerdings selbstverständlich nicht, dass nun die Polizei, das Gesundheitsamt oder sonstige Behörden machen können, was sie wollen, und beispielsweise stichprobenartig Privatwohnungen betreten dürfen, um zu kontrollieren, ob wirklich nur die zugelassene Anzahl von Personen und Haushalten anwesend ist. Ganz im Gegenteil unterliegen alle Maßnahmen weiterhin explizit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

§ 29 Absatz 2 Satz 3 des Infektionsschutzgesetzes sieht beispielsweise bereits jetzt vor, dass infizierte oder infektionsverdächtige Personen verpflichtet sind, "den Beauftragten des Gesundheitsamtes zum Zwecke der Befragung oder der Untersuchung den Zutritt zu seiner Wohnung zu gestatten [.]". Die Gesellschaft für Freiheitsrechte, deren ausführliche und gut verständliche Übersicht zu Grundrechten in der Pandemiebekämpfung (freiheitsrechte.org/corona-und-grundrechte/) ich nur empfehlen kann, macht die Verhältnismäßigkeitsabwägung dementsprechend am Beispiel eines:r Amtsärzt:in deutlich, der oder die im Auftrag des Gesundheitsamts die Wohnung einer mutmaßlich infizierten Person betritt, um diese zu untersuchen. Der Eingriff in das Grundrecht der mutmaßlich infizierten Person auf Unverletzlichkeit ihrer Wohnung ist in diesem Fall gerechtfertigt, "da der Staat mit entsprechenden Kontrollmaßnahmen das Recht Dritter auf Leben und körperliche Unversehrtheit schützen will. Dies wiegt in dem Fall schwerer als die Unverletzlichkeit der Wohnung der mutmaßlich infizierten Person."

Das Betreten privater Wohnungen durch die Polizei, selbst wenn dort mehr Leute zusammenkommen, als entsprechend der jeweiligen Coronaverordnung erlaubt ist, ist auch in "Coronazeiten" unverhältnismäßig und damit nicht rechtmäßig, sofern kein verlässlich begründeter Verdacht auf eine akute Gesundheitsgefahr besteht. Das Grundgesetz selbst sieht zwar in Artikel 13 Absatz 7 die Möglichkeit vor, "auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutze gefährdeter Jugendlicher" Einschränkungen des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung vorzunehmen. Dieses Kriterium der "dringenden Gefahr" ist allerdings nur gegeben, wenn verlässlich davon ausgegangen werden kann, dass sich eine infektiöse Person unter den Teilnehmer:innen einer ordnungswidrigen Zusammenkunft befindet. Ist diese dringende Gefahr nicht gegeben, gibt es auch keine Rechtsgrundlage für die Polizei, die Wohnung zu betreten.

Um auf Ihre konkrete Frage zurückzukommen: Sie sind und bleiben auch weiterhin in Ihrer Wohnung sicher. Die im Infektionsschutzgesetz aufgeführte Möglichkeit, das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung einzuschränken, kann Sie zusammengefasst in zwei Situationen betreffen:

Erstens - wenn Sie sich mit SARS-CoV-2 infizieren oder der Verdacht besteht, dass Sie sich infiziert haben könnten, müssen Sie ggf. eine:n Vertreter:in des Gesundheitsamts in Ihre Wohnung lassen, um sich testen oder untersuchen zu lassen, sofern keine anderen Wege der Untersuchung möglich oder gewünscht sind.

Zweitens - wenn Sie Flugblätter in Ihrer Nachbarschaft verteilen, mit denen Sie alle Ihre Nachbar:innen zu einer Corona-Durchseuchungsparty mit Ihrem positiv getesteten, hochinfektiösen Arbeitskollegen als Stargast in Ihre Wohnung einladen, darf die Polizei aufgrund des verlässlich begründeten Verdachts (Flugblatt) auf eine dringende Gesundheitsgefahr (die Anwesenheit des hochinfektiösen Kollegen) die Party in Ihrer Wohnung auflösen und Ihnen ein Bußgeld verhängen.

Sofern keins dieser beiden Szenarien in dieser oder vergleichbarer Form eintritt, hat die vorgesehene Möglichkeit auf Einschränkung des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung keinerlei Auswirkungen für Sie.

Frau Jutzy, Herr Jutzy, ich hoffe, ich konnte Ihre Sorge schmälern und Unsicherheiten bezüglich des Bevölkerungsschutzgesetzes aufklären.

Mit freundlichen Grüßen,

Gustav Herzog