Sehr geehrter Herr Mächerle, dank der liberalen Gesetzgebung seit 2002, floriert in Deutschland die Prostitution mit all ihren Auswirkungen. Wie stehen Sie zum sogenannten Nordischen Modell?

Henning Mächerle
DKP
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Frage von Katharina A. •

Sehr geehrter Herr Mächerle, dank der liberalen Gesetzgebung seit 2002, floriert in Deutschland die Prostitution mit all ihren Auswirkungen. Wie stehen Sie zum sogenannten Nordischen Modell?

Studien wie die von Farley et al. (2003, http://prostitutionresearch.com/pdf/Prostitutionin9Countries.pdf ) zeigen allerdings auf, dass die Mehrheit der Prostituierten zum einen in der Kindheit Gewalt und sexuellen Missbrauch erlebt haben und zum anderen unter posttraumatischen Belastungsstörungen leidet.
Mit dem ProstSchutzGesetz von 2017 wurde die Situation leider nicht besser. Noch immer herrschen in Deutschland katastrophale Zustände.
Wie wollen Sie deutschen und ausländischen Prostituierten helfen, aus der Prostitution auszusteigen?
U. Gerheim zeigt in seiner Studie „Die Produktion des Freiers“ auf, dass bei einigen Freiern durch kontinuierliche Prostitutionsnachfrage ein „Empathie- und Respektsverlust in Bezug auf körperliche und sexuelle Grenzsetzung“ (S. 303) festgestellt werden kann. Das hat Folgen für alle Frauen. Mit welcher Strategie wollen Sie zum Wohle der Gesellschaft die Prostitutionsnachfrage zurückdrängen?
Mit freundlichen Grüßen,
K. A.

Antwort von
DKP

Ich glaube es lässt sich kaum über Prostitution sprechen, ohne zu Fragen in welchem gesellschaftlichen Rahmen das Ganze statt findet. Marx schreibt 1844 in den Ökonomische und philosophische Manuskripte, „Prostitution ist nur ein besonderer Ausdruck der allgemeinen Prostitution des Arbeiters". In einer Reichstagsdebatte vom 24. Januar 1927 sprach die KPD Abgeordnete Martha Arendsee davon "dass die Prostitution ein wesentlicher Bestandteil des kapitalistischen Staates" sei und "die Hauptschuld an der Ausbreitung der Prostitution (...) in der niedrigen Bezahlung der Frauenarbeit" liege. Grundsätzlich müssen fast alle Menschen unter kapitalistischen Verhältnissen ihre Arbeitskraft verkaufen. Prostitution hat in vielen Fällen mit Armut und wenig mit freiem Willen zu tun. Allerdings ist der kapitalistische Staat eine denkbar schlechte Adresse um die Situation von Prostituierten zu verbessern. Aber natürlich sollte er nicht aus seiner Verantwortung entlassen werden. Die Verbesserung der Lage von Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter setzt voraus, dass sie sich legal bewegen und organisieren können. Jede Massnahme die getroffen wird muss mit den Betroffenen vorher besprochen werden. Ich bin gegen das Nordischen Modell, weil es eine Form der Prohibition ist. Die Erfahrung mit solchen Rechtsinstituten - siehe USA 1919 - 1933 - zeigt das durch das Verbot eines Bedürfnisses, das Bedürfnis selbst nicht verschwindet. Ganz im Gegenteil die Aktivitäten werden in die Illegalität abgedrängt und der Bereich der organisierten Kriminalität entsteht oder professionalisiert sich und die direkte Gewalt nimmt zu. Die Erfahrungen aus Schweden scheinen diesen Punkt zu bestätigen. Am 01.01.1999 trat das "Gesetz zum Verbot des käuflichen Erwerbs sexueller Dienstleistungen" in kraft. 2010 gab es eine Überprüfung des Erfolges. Durch den "Nationale Rat zur Verbrechensprävention" (BRÅ). Dieser geht davon aus, dass sich ein grosser Teil sexueller Dienstleistungen ins Internet verlagert hat. Die "Nationale Behörde für Gesundheit und Soziales", schreibt: "Der Gesamteindruck [...] ist, dass der Sexhandel während eines kurzen Zeitraums direkt nach Inkrafttreten des Gesetzes praktisch von der Straße verschwunden ist. Später kam er zurück. Wenn auch in geringerem Ausmaß [...]. Inzwischen sind ungefähr zwei Drittel der Straßenprostituierten wieder da, wenn man es mit der Situation vor dem Inkrafttreten des Sexkaufverbots vergleicht." Selbst der Erfolg im Bereich des Menschenhandels relativiert sich. Susanne Dodillet von der Universität Göteborg gibt zu Bedenken, dass es in Schweden auch vor dem Sexkaufverbot vergleichsweise wenig Prostitution gab. Deutschland ist in Europa schon seit Anfang der 90er-Jahre ein Drehkreuz für Menschenhandel, was vor allem geopolitische Gründe hat und nicht auf das Sexkaufverbot zurückzuführen ist. Schweden hat auch vor Inkrafttreten dieses Verbots im Vergleich zu Deutschland nur eine untergeordnete Rolle im internationalen Menschenhandel gespielt. Nach Angaben vom BRÅ kann das Sexkaufverbot zwar ein Hindernis für Menschenhandel sein, aber auch ein Werkzeug zur Verbesserung der Marktbedingungen, weil durch das Gesetz die Preise für Sex gestiegen sind und die damit der mögliche Profit. Dies wiederum steigert die Attraktivität Schwedens für Kriminelle. In einer Pressemitteilung aus dem Jahr 2010 teilt die schwedische Polizei mit: "Die schwere organisierte Kriminalität, darunter Prostitution und Menschenhandel, hat im letzten Jahrzehnt an Stärke und Komplexität zugenommen. In Schweden stellt sie ein ernstes soziales Problem dar und die organisierte Kriminalität erwirtschaftet durch die Ausbeutung und den Handel mit Menschen unter sklavenartigen Bedingungen große Geldsummen." Ich halte da die Positionen des Vereins Hydra im Sinne der Betroffenen für wirkunsvoller. Die gehen davon aus: "Dass die Lebenssituation von Prostituierten nicht durch die 'Ächtung der Prostitution' (...) verbessert wird, sondern vielmehr durch eine konsequente Legalisierung und Entstigmatisierung der Prostitution, (...). Nur in der Legalität können sich Sexarbeiter_innen wirksam gegen Übergriffe, Ausbeutung und Honorarbetrug wehren. Und nur die Legalität ermöglicht es auch, konkret über die Verbesserung von Arbeitsbedingungen nachzudenken." Ich würde auch den Begriff der Sexarbeit, dem Begriff der Prostitution vorziehen, weil er den Warencharakter der Arbeit deutlich macht. Der Begriff der Prostitution sieht völlig vom gesellschaftlichen Rahmen in dem diese stattfindet ab. Unter kapitalistischen Bedingungen ist Prostitution eine legitime Form der Arbeit und Erwerbstätigkeit, die auch als solche geregelt werden soll. Viele Probleme von Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter entstehen erst durch die gesellschaftliche Ächtung, durch die Stigmatisierung werden diese Menschen sozial marginalisiert und in ein Doppelleben gezwungen. Wichtig scheint mir auch Lebensbedingungen welche Menschen zur Prostitution zwingen oder sie zu Opfern von Menschenhandel machen möglichst zu vermeiden. Hier einige Voraussetzungen dafür: - gleicher Lohn für Männer und Frauen - ein Mindestlohn von mindestens 15 Euro - Verbot der Zuhälterei, oligopolartigen Bordellbetriebes  (Ausbeutung fremder Arbeitskraft) und Menschenhandel - Offene Organisierung der Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter in Gewerkschaften und Zusammenschluss zu Genossenschaften - Alle Menschen mit illegalem Aufenthaltsstatus können sich ohne Angst vor Abschiebung legalisieren lassen. - ein Einwanderungsrecht was Armut als Migrationsgrund ausdrücklich anerkennt. Soweit erst einmal. Ich hoffe deine Fragen damit etwas beantwortet zu haben. Wenn du weitere Fragen hast oder noch Diskussionsbedarf kannst du dich gerne melden.

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