Frage an Jan Mücke bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

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Jan Mücke
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Frage von Uwe K. •

Frage an Jan Mücke von Uwe K. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Mücke,

am 29. September 2011 soll über den Europäischem Stabilitätsmechanismus (ESM) abgestimmt werden. Mich würde interessieren ob sie für oder gegen das entsprechende Bundesgesetz zu stimmen.

Auch wenn immer wieder betont wird, dass die dort bereit gestellten Gelder lediglich Kredite und zum grössten Teil nur Bürgschaften sind, so stellt sich doch die Frage, wie diese Kredite und Bürgschaften durch die Nehmerländer abgesichert sind. Finnland hat vor gemacht wie eine solche Absicherung aussehen könnte. Deutschland scheint auf Sicherheiten seitens der Nehmerländer zu verzichten. Anbetracht fehlender Sicherheiten muss man aber davon ausgehen, das Teile des durch die Bundesrepublik in den ESM eingzahlten Vermögens in bestimmten Fällen für Deutschland verloren gehen kann. Wie erklären und Begründen sie ein solches Verhalten, welches in der Privatwirtschaft als Veruntreuung strafrechtlich verfolgt würde, in Anbetracht der Tatsache, dass Mittel für soziale Aufgaben in Deutschland gekürzt oder teilweise ganz gestrichen werden und gleichzeitig Milliardenbeträge an Länder in Europa - de facto - verschenkt werden die weit über die für soziale
Aufgaben notwendigen Mittel hinaus gehen.

Mit freundlichen Grüssen
Uwe Kunzak

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Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Kunzak,

haben Sie vielen Dank für Ihre E-Mail vom 8. September 2011, auf welche ich Ihnen gerne etwas ausführlicher antworten möchte. Zunächst möchte ich Ihnen aber mitteilen, dass der Deutsche Bundestag am 29. September über den EFSF (Europäische Finanz-Stabilisierungs-Fazilität) abgestimmt hat. Eine mögliche Abstimmung zum ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus) ist erst nach dem Ende des FDP-Mitgliederentscheids denkbar. Vor diesem Hintergrund möchte ich in meiner Antwort vor allem auf den EFSF eingehen.

Die aktuellen Ereignisse verdeutlichen die Dimension, die diese mittlerweile weltweite Schuldenkrise für uns alle hat. Diese Staatsschuldenkrise in Europa stellt die Europäische Union vor ihre bislang schwierigste Aufgabe. Die FDP stellt sich dieser Aufgabe von Beginn an mit der nötigen Verantwortung gegenüber den Steuerzahlern in Deutschland, aber auch gegenüber dem europäischen Einigungsprozess und der EU insgesamt.

Entgegen der häufig verwendeten Wortwahl geht es derzeit nicht um eine Krise des Euro. Der Wert unserer gemeinsamen Währung ist ungeachtet der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise sehr stabil. Es handelt sich vielmehr um Finanzierungskrisen in einigen Mitgliedstaaten der Eurozone. Aufgrund der inzwischen verbreitet hohen Schuldenquoten von deutlich über 60% des jährlichen Bruttoinlandsproduktes und zum Teil erheblichen Wachstumsproblemen fürchten viele Experten die Gefahr einer „Ansteckung“ anderer Länder der Eurozone. Daher muss die Politik auf europäischer Ebene gemeinsame Lösungen für die betroffenen Länder finden und das Vertrauen der Finanzmärkte insgesamt wiederherstellen.

Vor dem Hintergrund Ihrer Aufforderung, einem weiteren Rettungsschirm die Zustimmung zu verweigern, muss man sich die Frage stellen, was die Alternative zu den Stabilisierungs-maßnahmen und Vorhaben der christlich-liberalen Koalition in ihrer Konsequenz bedeuten würde.

Die erste Folge einer ungeordneten Insolvenz eines Mitgliedsstaates wäre, dass Inhaber der entsprechenden Staatsanleihen diese Papiere abschreiben müssten. Dies würde Banken, Versicherungen, Rentenfonds und damit fast jeden Privatanleger insbesondere bei Fragen der Altersvorsorge treffen.

Die zweite, weitaus gravierendere Folge wäre, dass der Kapitalmarkt einen negativen Lerneffekt erzielt und fortan bei bestimmten Staaten Kredite nur noch gegen erhebliche Zinsaufschläge zur Kompensation des Ausfallrisikos gewährt. Hierdurch würden andere schwächere Staaten aufgrund immer höherer Refinanzierungskosten gewissermaßen einen Insolvenzbeschleuniger erfahren. Die Folge könnte eine Kaskade wirtschaftlich zusammenbrechender Staaten sein, die aus dem Euroraum aussteigen, ihre eigene Währung einführen und diese erheblich abwerten müssten. Eine solche Kaskade würde wiederum die Banken, Versicherungen, Rentenfonds und damit hauptsächlich Privatanleger treffen, da die Anleihen trotz eines Währungswechsels noch immer in Euro dotiert sind und entsprechend kaum zum vollen Wert abgelöst werden dürften.

In der Folge droht der Zusammenbruch eines ganzen Wirtschaftsraums, der insbesondere die hauptsächlich am Export orientierte, deutsche Volkswirtschaft treffen würde. In der Konsequenz eines derartigen Szenarios wäre mit starker Inflation und Massenarbeitslosigkeit auch hierzulande zu rechnen. Wer dann am langen Ende der Leidtragende dieser Entwicklung sein dürfte, ahnen Sie sicher bereits: der Steuerzahler in Deutschland!

Vor diesem Hintergrund erscheint der ernsthafte Versuch, einen in Schwierigkeiten geratenen Mitgliedsstaat zunächst zu stützen und ihm gleichzeitig eine Sanierungskur zur Erreichung gesunder Strukturen und damit dauerhafter eigener Stabilität angedeihen zu lassen, weitaus weniger risikoreich für unsere deutschen Interessen. Daher müssen wir mit geeigneten Institutionen und Regeln vorsorgen, die eine Kettenreaktion vermeiden und den Zusammenbruch des Wirtschaftsraums gar nicht erst zulassen. Solidarität ist jedoch keine Einbahnstraße! „Conditio sine qua non“, also absolute Bedingung jedweder Hilfeleistungen muss ein tragfähiges und zukunftsweisendes Anpassungsprogramm für den hilfesuchenden Mitgliedstaat sein, das ihm rasch zu eigener Kreditwürdigkeit am Kapitalmarkt verhilft.

Wer Hilfe beansprucht, weil er seine strukturellen Hausaufgaben in der Vergangenheit liegen ließ, kann auf Solidarität anderer Staaten nur hoffen, wenn er seinerseits Solidität bei seinem Sanierungsprogramm zeigt. Deshalb haben wir als FDP durchgesetzt, dass vor jedweder Hilfsmaßnahme immer ein zwischen dem Mitgliedstaat und IWF, der Kommission und der EZB einvernehmlich ausgehandeltes Sanierungsprogramm stehen muss.

Aus meiner Sicht muss aber klar sein, dass es nicht fortgesetzte Hilfen für ein Land geben darf, falls sich herausstellen sollte, dass dieses seine Schulden nicht aus eigener Kraft wird zurückzahlen können. Es darf nicht dazu kommen, dass ein insolventes Land dauerhaft von der internationalen Gemeinschaft finanziell unterhalten wird. Hier kommt der Schuldentragfähigkeitsanalyse des Internationalen Währungsfonds eine entscheidende Bedeutung zu.

Für die FDP-Bundestagsfraktion ist ferner die Wahrung der Parlamentsrechte besonders wichtig. Das Recht, über Einnahmen und Ausgaben des Staates zu entscheiden, ist das Königsrecht des Parlaments. Es ergibt sich direkt aus dem Demokratiegebot, welches in Art. 20 Grundgesetz verankert ist.

Bei der Einrichtung des zukünftigen, dauerhaften Euro-Stabilisierungsmechanismus „ESM“ wird die FDP-Bundestagsfraktion, auch vor dem Hintergrund der entsprechenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, auf ein Maximum an parlamentarischer Entscheidung drängen. Wir wollen, dass alle Entscheidungen des ESM, die das Haushaltsrecht des Deutschen Bundestages berühren, durch einen strikten Parlamentsvorbehalt abgesichert und damit demokratisch legitimiert werden.

Wenn Notenbanken, wie die EZB oder die Bundesbank, Staatsanleihen kaufen, kann man das zwar unerfreulich finden, die FDP wird sich jedoch nicht in die Notenbankpolitik einmischen und damit das bisher bewährte System unabhängiger Notenbanken infrage stellen.

Weil bei aller Sensibilität der Finanzmärkte Risiko und Lasten gerecht verteilt sein müssen, setzt sich die FDP für eine angemessene Beteiligung privater Gläubiger im Falle einer Staatsinsolvenz ein. Hierfür gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, von denen es gilt, die für den Steuerzahler Bestmögliche zu ermitteln und einzusetzen. Einen wirklichen Einstieg in eine freiwillige und gleichwohl substanzielle Beteiligung privater Gläubiger hat der Gipfel vom 21. Juli hervorgebracht. Wie ich finde kann insbesondere die FDP hierauf sehr stolz sein, zumal es nicht zuletzt auf unser Drängen hin erst zu dieser Gläubigerbeteiligung gekommen ist.

Wenn Sie aber einen harten Schuldenschnitt fordern, müssen Sie sich auch mit den wahrscheinlichen Folgen einer „Default“ - Wertung am Kapitalmarkt beschäftigen. Genau taxieren jedoch lassen sich die bereits eingangs beschrieben Folgen eines europäischen Flächenbrandes nicht. Als Abgeordnete des Deutschen Bundestages tragen wir bei diesem Thema viel Verantwortung und müssen uns mit den Folgen unseres Handelns oder Unterlassens sehr genau beschäftigen.

Nach unserer Abwägung, die wir sehr sorgfältig getroffen haben, sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass das fraglos bestehende Risiko einer weiteren Eurostabilisierung bei weitem geringer ist als das, was unserer Volkswirtschaft und unserem Land bei einem freien Spiel der Kräfte in dieser Erschütterungsdynamik in letzter Konsequenz drohen.

Lassen Sie mich aber auch darauf eingehen, wie die Opposition die Euroschuldenkrise meistern möchte. Hierbei sei erwähnt, dass SPD und Grüne übrigens maßgeblich selber zu dieser Verschuldungskrise beigetragen haben, indem sie die Aufnahme Griechenlands in die Eurozone ohne wirkliche Überprüfung der Erfüllung von Aufnahmebedingungen trotz berechtigter Zweifel und Warnungen seinerzeit geschehen ließen und den Stabilitäts- und Wachstumspakt in ihrer Regierungszeit aufgrund eigener haushaltspolitischer Inkompetenz in fataler Weise aufgeweicht haben.

Führende Vertreter von SPD und Grüne gerieren sich nun aber als große Lehrmeister und fordern die Einführung von Eurobonds, Schuldenrückkaufprogrammen und größeren Hilfsprogrammen zu günstigeren Konditionen für die Schuldnerländer. Sie beklagen das schlechte Image der Deutschen bei einzelnen Ländern im Mittelmeerraum und würden gerne noch umfangreichere Kredite, jedoch ohne Sanierungsbedingungen, an andere Länder vergeben. Wären sie an der Regierung beteiligt gewesen, hätten wir schon heute die Haftungsgemeinschaft in der Eurozone und damit dauernde, erhebliche Transfers des deutschen Steuerzahlers in andere Euro-Länder.

Deutschland hat seine strukturellen Hausaufgaben, nicht zuletzt mit der Agenda 2010, die die FDP konstruktiv als damalige Opposition begleitet hat, zu einem wesentlichen Teil, unter schmerzhaften Entbehrungen, bereits gemacht. Diesen anstrengenden Gesundungsprozess nun anderen Staaten ersparen zu wollen, wie SPD und Grüne es ganz offensichtlich vorhaben, indem sie aus falsch verstandener Solidarität bedingungslose Geldgeschenke machen wollen, ist nicht nur unehrlich gegenüber dem hilfebedürftigen Mitgliedsstaat, sondern vor allem ein Schlag ins Gesicht der Steuerzahler in Deutschland!

Die FDP-Bundestagsfraktion hingegen pocht bei diesem Balanceakt auf die bestmögliche Wahrung der Interessen der Steuerzahler in Deutschland. Bei den Maßnahmen zur Stabilisierung der Eurozone finden sich wesentliche, von der FDP immer wieder geforderte, Strukturmerkmale wieder. So haben wir erreicht,
- dass Hilfskredite nur unter strengen Auflagen gewährt werden dürfen,
- dass der Internationale Währungsfonds mit seiner unabhängigen Expertise und seinen strengen Kriterien beteiligt wird und
- dass Hilfsmaßnahmen nur einstimmig ausgelöst werden dürfen, d.h. dass Deutschland hier ein Vetorecht hat.

Die FDP hat bisher verhindert, dass sog. „Eurobonds“ beschlossen werden, die eine gesamtschuldnerische Haftung der Staaten der Eurozone für Schulden anderer Eurostaaten vorsehen. Es war keineswegs selbstverständlich, dass sich ein kleinerer Koalitionspartner in einem von 27 EU-Mitgliedstaaten bei den Verhandlungen auf europäischer Ebene soweit durchsetzen konnte.

Die FDP wird sich als Europapartei auch weiterhin mit aller Energie dafür einsetzen, dass die der Verschuldungskrise zugrundeliegenden Probleme gelöst und nicht auf die nächste Generation verschoben werden. Denn es ist keineswegs derjenige der bessere Europäer, der mit immer neuen Hilfsprogrammen die Solidarität der solider wirtschaftenden Länder überfordert und damit auch diese in den Abgrund der Überschuldung treibt, bis die Eurozone daran zerbricht.

Daher setzen wir uns auf europäischer Ebene für eine erhebliche Stärkung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes ein. Wir werden auch weiterhin dafür kämpfen, dass die Steuerzahler trotz der Verschuldungskrise so wenig wie möglich belastet werden.
Die FDP ist und bleibt die Partei der Europäischen Integration und der Wirtschaftskompetenz. Gemeinsame Konzepte für stabilitätsorientierte Haushalts- und Wirtschaftspolitiken im Euro-Währungsgebiet sind die Grundlage dafür, Verschuldungskrisen einzudämmen und künftig zu vermeiden. Nur so können wir Europa gemeinsam erfolgreich gestalten, die Europäische Integration fortsetzen und verfestigen.

Weitere Fragen, die uns wichtig sind, können Sie den Beschlüssen des Deutschen Bundestages vom 17.03.2011 und vom 10.06.2011 (BT-Drs. 17/4880, 17/6163) unter www.bundestag.de sowie dem Beschluss des FDP-Bundesparteitags vom 15.05.2011 unter www.liberale.de entnehmen.

Sehr geehrter Herr Kunzak, ich verstehe Ihre Bedenken und versichere Ihnen, dass weder mir noch meinen Fraktionskollegen die Zustimmung zur Ausweitung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (EFSF) leicht gefallen ist. Auch für uns sind die gegebenen Bürgschaften wegen ihrer Dimension mit Unbehagen verbunden. Gleichzeitig sind wir aber auch der festen Überzeugung, dass alle Alternativen – wenn sie denn überhaupt hinreichend dargelegt wurden – katastrophale Auswirkungen auf Deutschland, die Europäische Union und die restliche Welt hätten. Nur wenn wir die Schulden- und Wirtschaftskrise jetzt erfolgreich überwinden, können wir mittelfristig gefestigte Märkte und reformierte Länder erreichen.

Die Ausweitung des EFSF mag nicht alternativlos sein, allerdings ist die Aussicht auf den Niedergang des europäischen Binnenmarktes, einen unkalkulierbaren Bankrott von EU-Mitgliedern sowie eine jahrelange weltweite Rezession keine zu verfolgende Alternative. Wer glaubt, dass Deutschland allein in der globalisierten Welt besser zurechtkommen würde, wird sich spätestens dann getäuscht sehen, wenn unsere exportorientierte Wirtschaft einbricht – entweder weil unsere Waren durch unsere Währung unerschwinglich für andere Länder sind oder weil es schlicht keine Nachfrage mehr durch die darbende Wirtschaft gibt.

Aufgrund dieser Einschätzung habe ich dem EFSF in der Abstimmung am 29. September zugestimmt.

Gleichzeitig begrüße ich aber den von der liberalen Basis auf den Weg gebrachten Mitgliederentscheid zum ESM. Diese intensive Auseinandersetzung mit dem geplanten dauerhaften europäischen Krisenmechanismus zur Rettung verschuldeter Staaten bzw. zur Durchsetzung einer geordneten Staateninsolvenz wird mögliche Schwächen des ESM klar offenbaren. Die Ergebnisse dieser Prüfungen werden die liberale Position in den anstehenden Beratungen zum ESM maßgeblich beeinflussen.

Darüber hinaus bitte ich um Beachtung des letzten Urteils des Bundesverfassungsgerichtes zum EFSF unter www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20100609_2bvr109910.html . Hier wird klar geregelt, dass der Bundestag auch bei zukünftigen europäischen Vereinbarungen vor jeder finanziellen Verpflichtung um Zustimmung gefragt wird. In den damit verbundenen parlamentarischen Prozessen werden wir Abgeordnete unsere Beteiligungs- und Kontrollmöglichkeiten ausschöpfen und gegen jeden Einfluss von außen verteidigen. Das Budgetrecht des Parlaments würde auch durch den ESM-Vertrag unangetastet bleiben.

Vor diesem Hintergrund bitte ich um Ihr Verständnis für meine Position und verbleibe

mit meinen besten Grüßen

Jan Mücke